# taz.de -- Ex-Homöopathin über Globuli: „Es war mein Lebenstraum“ | |
> Natalie Grams hat ihre homöopathische Praxis geschlossen. Jetzt leitet | |
> sie das kritische „Informationsnetzwerk Homöopathie“. | |
Bild: Homöopathische Apotheke: für jede Krankheit ein paar Kügelchen | |
taz: Frau Grams, was sind die populärsten Missverständnisse in Bezug auf | |
die Homöopathie? | |
Natalie Grams: Das größte Missverständnis von Homöopathen und ihren | |
Patienten ist, dass sie die Globuli für Arzneimittel halten. Man schreibt | |
den Kügelchen eine spezifische Wirksamkeit zu, die sie nicht haben. Wenn | |
sie funktionieren, dann nur als Träger einer Suggestion. Ein weiteres | |
großes Missverständnis ist das Prinzip der Potenzierung. Samuel Hahnemann, | |
der Begründer der Homöopathie, dachte, je mehr man ein Mittel verdünnt und | |
schüttelt, umso „geistartiger“ wirke es. Wir wissen heute: Da entsteht | |
keine bleibende Energie, das Mittel wird einfach nur immer stärker | |
verdünnt. | |
Auch für Sie war das lange eine Selbstverständlichkeit. | |
Ich habe das nicht weiter hinterfragt, wie sicherlich die meisten | |
Homöopathie-Begeisterten. | |
Haben Sie selber „potenziert“? | |
Nein, die Herstellung ist längst industrialisiert, das wird nicht mehr | |
alles liebevoll von Hand geschüttelt. Allerdings hat der Homöopath, bei dem | |
ich gelernt habe, seine Medikamente noch teilweise selbst mit einem in | |
Leder gebundenen Buch potenziert. | |
Wieso einem Buch? | |
Hahnemann hat gesagt, man solle nicht einfach einen Tropfen Flüssigkeit ins | |
nächste Gefäß geben, sondern man müsse dieses dann zum Erdmittelpunkt hin | |
auf ein Buch mit Ledereinband klopfen. Durch diese Erschütterungen sollte | |
Energie ins Wasser kommen und die Ursprungssubstanz in eine „geistartige | |
Kraft“ verwandeln. | |
Ist den Patienten klar, auf welchen Prinzipien homöopathische Medikamente | |
basieren? | |
Viele denken, das ist sanfte Pflanzenmedizin. Noch so ein Missverständnis. | |
Erstens sind die Ursprungssubstanzen nicht alles Pflanzen, es sind auch | |
Tuberkelbazillen darunter, Skorpiongift oder Quecksilber. Und selbst wenn | |
es eine schöne Pflanze wie Arnika ist: Ab der Verdünnung D6 ist im | |
Medikament davon nichts mehr vorhanden. Viele Menschen fallen aus allen | |
Wolken, wenn man ihnen sagt, dass Globuli keinen Wirkstoff und erst recht | |
keine Energie enthalten. | |
Sie haben das als Homöopathin natürlich nicht dazugesagt. | |
Ich hatte es ja auch anders beigebracht bekommen. Es hieß immer: Man | |
versteht das noch nicht genau, vielleicht hat es mit Quantenphysik zu tun | |
oder mit Nanopartikeln, da muss man noch forschen. Aber da gibt es nichts | |
mehr zu forschen: Ein Stoff in Abwesenheit wirkt nicht, auch nicht über | |
Quantenphysik. Der größte Witz ist ja, dass man das Wasser, das angeblich | |
Informationen enthält, auf Zuckerkügelchen aufbringt, verdampfen lässt und | |
sagt: Jetzt ist die Information im Zucker. Physikalisch-chemisch ist das | |
unmöglich. Man muss es einfach glauben. Aber früher hätte ich jeden in der | |
Luft zerrissen, der die Homöopathie als Glaubenslehre bezeichnet. | |
Trotzdem hört man immer wieder Erfolgsgeschichten. | |
Homöopathen sagen bei einem Heilungserfolg: Das waren die Globuli, fertig. | |
In Wirklichkeit ist das ein sehr komplexes Geschehen. Erstens vermittelt | |
der Homöopath dem Patienten: Ich werde dir helfen. Das ist der | |
Placebo-Effekt, der sich über die Globuli weitertransportiert. Zweitens | |
vergeht Zeit. Am Anfang hat der Homöopath scheinbar nicht das richtige | |
Mittel gefunden, man guckt noch mal … irgendwann gehen die Beschwerden weg, | |
und dann heißt es: Aha, dieses war das richtige. Dabei war es der | |
natürliche Krankheitsverlauf. | |
Verteidiger führen an, dass Homöopathie auch bei Kindern oder Haustieren | |
wirkt. | |
Das funktioniert, weil Kinder und auch Tiere eine sehr feine Wahrnehmung | |
für ihre Bezugsperson haben. Babys könnten gar nicht überleben, wenn sie | |
nicht Antennen für ihre Eltern hätten, und sie nehmen wahr, wenn die sich | |
entspannen und anders mit ihnen umgehen. Im Übrigen wird ein zahnendes | |
Kind, das Schmerzen hat, nach einiger Zeit keine Schmerzen mehr haben – mit | |
oder ohne Globuli. | |
Riskant wird Homöopathie, wenn andere Therapien abgelehnt werden. Richtig? | |
Ich selbst kann mir zum Glück nicht vorwerfen, dass ich als Homöopathin | |
jemandem Schaden zugefügt hätte. Patienten mit Krebserkrankungen habe ich | |
gesagt: Machen Sie auf jeden Fall die Chemotherapie, die Nebenwirkungen | |
behandeln wir homöopathisch. Aber ich habe Homöopathen erlebt, die ganz | |
offen sagen: Eine Chemotherapie vergiftet Ihren Körper, das sollten Sie | |
nicht tun. Seit einiger Zeit beteilige ich mich an einer Auseinandersetzung | |
in einem Internetforum mit einem Arzt, der in der Santa-Croce-Klinik im | |
Tessin Krebspatienten homöopathisch behandelt. | |
Ausschließlich homöopathisch? | |
Das wird eben nicht richtig klar. Nachdem ihn Fachleute in die Mangel | |
genommen haben, sagt er jetzt: Die Kombination macht‘s. Was er seinen | |
Patienten sagt, weiß ich nicht. | |
Konsequente Homöopathen müssten auch HIV-Infizierte mit Globuli behandeln, | |
oder? | |
Jan Scholten, einer meiner Lehrer, hat Komplexmittel aus der sogenannten | |
Lanthanidengruppe gegen HIV entwickelt. Er vertreibt die auch ganz offen. | |
Gut, als Arzt wird er nicht auf seine Webseite schreiben „Setzen Sie Ihre | |
antiviralen Medikamente ab“. Aber es wird suggeriert, dass Homöopathie auch | |
gegen so krasse Erkrankungen etwas tun kann. | |
Hahnemann kannte ja Viren und Bakterien noch gar nicht. Wie blenden denn | |
heutige Homöopathen dieses Wissen aus, zumal studierte Mediziner? | |
Man fährt zweigleisig im Kopf. Dem Patienten sagt man: Jetzt unterstützen | |
wir erst mal Ihre Selbstheilungskraft mit Globuli, dann kann Ihr Körper | |
besser mit den Bakterien umgehen. Wenn das nicht funktioniert, können wir | |
immer noch ein Antibiotikum geben. Dabei hat Hahnemann gesagt, dass | |
Homöopathie und „Allopathie“, wie er die konventionelle Medizin nannte, | |
sich komplett ausschließen. Aber in der Homöopathie macht im Grunde ohnehin | |
jeder, was er gut findet. Es gibt keine Richtlinien und keine Gremien, die | |
die Behandlungspraxis kontrollieren. | |
Viele Menschen nehmen Globuli ganz nach eigenem Gutdünken. | |
Auch das gehört zu den Risiken: dass man auf die Homöopathie vertraut und | |
selbst schlimme Erkrankungen damit behandelt, etwa eine Lungenentzündung. | |
Oder dass man möglicherweise mit seinem Kind viel zu spät zum Arzt geht. | |
Wie kamen Sie zur Homöopathie? | |
Wie viele andere durch eine eindrückliche persönliche Erfahrung: Ich war | |
krank, ging zur Homöopathin – und danach ging es mir besser. Da bin ich | |
hängen geblieben. Die Homöopathie hat ja, sagen wir mal, eine gewisse | |
Magie. Ich habe dann angefangen, zweigleisig zu fahren, und neben dem | |
Medizinstudium eine Homöopathieausbildung gemacht. Ab 2009 habe ich nur | |
noch homöopathisch gearbeitet, erst in einer anderen Praxis, nach zwei | |
Jahren in meiner eigenen. | |
Aber dann hatten Sie die Idee, ein Buch zu schreiben. | |
Das war eine Reaktion auf [1][“Die Homöopathie-Lüge“], ein heiß | |
diskutiertes Buch, das 2012 erschien. Gelesen habe ich es nur, weil ich | |
dafür interviewt worden war und wissen wollte, ob ich darin vorkam. Sonst | |
hätte ich dieses böse Buch nie aufgeschlagen. Aber was die Autoren | |
behaupteten, hat mich so schwer erschüttert, dass ich einen Gegenentwurf | |
schreiben wollte. Dazu habe ich mich genötigt gesehen, die ganzen | |
Kritikpunkte auch mal zu hinterfragen und die Studien zu lesen. Genau das | |
vermeidet man sonst als Homöopath. | |
Mit dem Ergebnis … | |
… dass ich nach einem Jahr Recherche nicht mehr hinter der Homöopathie | |
stehen konnte. | |
Wie war das für Sie, den Glauben an eine Methode zu verlieren, die sie | |
praktizierten? | |
Extrem belastend. Allerdings wurde ich in dieser Zeit schwanger und habe | |
mich dann regelrecht in die Babypause hinein gerettet. Die Praxis habe ich | |
anschließend nicht mehr aufgemacht. | |
Wie haben Ihre Patienten reagiert? | |
Ich habe sie angeschrieben und erklärt, dass mein Buchprojekt eine andere | |
Richtung genommen hat und ich nichts mehr anbieten kann, wohinter ich nicht | |
stehe. Ich glaube, die meisten haben es verstanden, ich habe wenig | |
Unverständnis zurückbekommen. Etliche haben das persönliche Gespräch | |
gesucht. Ob und wie viele Patienten ich überzeugen konnte, weiß ich nicht, | |
aber es waren gute Gespräche. | |
Wie war die Reaktion Ihrer ehemaligen Kollegen? | |
Ich habe zu keinem mehr Kontakt. Sie haben ihn abgebrochen, mit zum Teil | |
üblen Beschimpfungen: „Verräterin“, „Nestbeschmutzerin“, „du hast d… | |
Homöopathie nicht verstanden“. Das ist auch die typische Reaktion im Netz, | |
wo ich durch mein Blog sehr präsent bin. „Sie hatten ja nur keine Erfolge“ | |
heißt es da, oder „Sie wollen sich eine goldene Nase mit Ihrem Buch | |
verdienen“. Kaum einer geht auf meine Argumente ein, die Kritik richtet | |
sich gegen mich als Person. | |
Gibt es Verschwörungstheorien, dass Sie von der Pharmaindustrie gekauft | |
wurden? | |
Ja, für manche ist der einzig mögliche Grund für mein Verhalten, dass ich | |
sehr viel Geld bekommen habe. Das ärgert mich besonders, weil ich gerade | |
viel Geld gebrauchen könnte (lacht). | |
In Ihrem Buch haben Sie eine mögliche Neuausrichtung der Homöopathie | |
skizziert. Sie müsse sich quasi ehrlich machen. Glauben Sie, dass das | |
funktionieren kann? | |
Sagen wir so: Ich hab‘s wirklich versucht. Ich habe versucht, mit | |
Homöopathen ins Gespräch zu kommen, auch mit dem Deutschen Zentralverein | |
homöopathischer Ärzte. Ich habe vorgeschlagen, sich darauf zu verständigen, | |
was an der Homöopathie belegbar wirkt, und sich vom Rest zu verabschieden. | |
Ich hatte gedacht, ich könne eine Brücke bauen zwischen dem Wissen der | |
Medizin und dem Wissen, das wir aus der Homöopathie ziehen können, aber das | |
ist nicht gelungen, und ich habe auch nicht den Eindruck, dass es erwünscht | |
ist. | |
Ist der Widerstand so ausgeprägt, weil da ein Glaube ins Wanken gerät, oder | |
weil da Existenzen bedroht wären? | |
Sicher beides. Auch für mich war das sehr schwer. Eigentlich war es mein | |
Lebenstraum: Meine Praxis lag sehr günstig, ich hätte mir Arbeit und Kinder | |
hervorragend einteilen können, und man verdient ja auch gut. Ich hatte mich | |
aber auch sehr stark mit der Homöopathie identifiziert. Das war ein Teil | |
von mir. Den aus sich rauszurupfen, hat psychologisch gesehen eine enorme | |
Tragweite. | |
In Ihrem Buch schreiben Sie: „Die Homöopathie ist schlecht in der Theorie, | |
aber gut in der Praxis.“ | |
Ich bin inzwischen noch weiter weggekommen von dieser Gutheißung der | |
Homöopathie, aber was ich meinte, war, dass die Homöopathie mit dem | |
Patienten so umgeht, wie er sich das wünscht. Das kann die Medizin | |
tatsächlich von der Homöopathie lernen. | |
Macht dieser andere Bezug zum Patienten die Homöopathie so beliebt? | |
Die Homöopathie boomt seit das Entgeltsystem im deutschen Gesundheitswesen | |
extrem gestrafft wurde. Die Verweildauer im Krankenhaus und im Sprechzimmer | |
ist viel kürzer geworden. Viele suchen sich die vermisste Zuwendung nun | |
woanders, und ich verstehe jeden, der das tut. Nur ist die Alternative der | |
Homöopathie keine medizinische. | |
Seit Januar gibt es das Informationsnetzwerk für Homöopathie, bei dem Sie | |
die Leitung haben. Wie kam es dazu? | |
Als ich gemerkt habe, dass ich die Homöopathen kein bisschen erreiche, war | |
ich erst mal sehr frustriert, habe aber gemerkt, dass auch viele andere die | |
Homöopathie auf fundierte Weise kritisieren. Im Netz kam es zur spontanen | |
Idee, das Gründungstreffen in Freiburg zu veranstalten. Da kamen auf | |
Initiative von Dr. Norbert Aust Homöopathiekritiker aus Deutschland und | |
Österreich zusammen, ohne eine Selbstbeweihräucherung daraus zu machen. | |
Sind noch mehr Ex-Homöopathen dabei? | |
Ich bin die einzige (lacht). Die anderen sind Ärzte, Apotheker, Physiker, | |
Chemiker, auch Psychologen. | |
Haben Sie das Gefühl, eine Schlüsselfigur zu sein, weil Sie sozusagen die | |
Seiten gewechselt haben? | |
Ich würde sagen, ich vereine beide Seiten. Ich habe auch als einzige in der | |
Gruppe die Erfahrung gemacht, dass Homöopathie mir geholfen hat und ich | |
Patienten damit helfen konnte. Das stelle ich nicht in Abrede, und ich | |
denke, es macht mich wertvoll für dieses Gremium. | |
Was haben Sie konkret vor? | |
Die Projekte sind noch in der Mache. Das eine ist die „Homöopedia“, eine | |
Plattform, die sich an Wissenschaftler und Ärzte wendet, auf der | |
Studiendesigns vorgestellt oder Ergebnisse diskutiert werden. Das andere | |
ist eine Webseite für Patienten, wo auf allgemeinverständliche Art die | |
gängigsten Irrtümer richtig gestellt werden. Dabei wollen wir durchaus auch | |
zeigen, was an der Homöopathie funktioniert. | |
Rechnen Sie mit Besuchern der Seite, die gar keine kritische | |
Auseinandersetzung suchen? | |
Deswegen nennen wir sie nicht „Anti-Homöopathie-Seite“, dann klickt ja | |
niemand drauf. Im Netz gibt es viele positive Informationen zur | |
Homöopathie, dazu möchten wir ein Gegengewicht schaffen. Aber wir wollen | |
niemandem seinen Glauben oder die Globuli wegnehmen. | |
Na ja, den Glauben nehmen Sie den Leuten möglicherweise schon. | |
Aber wir sagen nicht einfach: An die Homöopathie zu glauben ist blöd. Wir | |
wollen dazu auffordern, diesen Glauben auf einer Faktenbasis zu überdenken. | |
Was erhoffen Sie sich von der Politik? | |
Noch haben wir uns nicht direkt an die Politik gewandt. Manche | |
Gesundheitspolitiker haben uns aber bereits Unterstützung zugesagt, und wir | |
hoffen, weitere zu erreichen. Wir wollen ja langfristig an die | |
Sonderstellung der Homöopathie als „Besondere Therapierichtung“ ran. | |
Das ist … | |
… eine Ausnahmeregelung im Arzneimittelgesetz, die besagt, dass Sie für | |
Globuli keinen Wirknachweis erbringen müssen. Homöopathie „wirkt“, einfach | |
weil Homöopathen sagen, dass sie wirkt. Aber dass manche Hersteller enormen | |
Aufwand betreiben müssen, um die Wirksamkeit ihrer Arzneien nachzuweisen, | |
und andere gar nicht, das kann einfach nicht sein. | |
Haben Sie noch Globuli im Haus? | |
Ja, im Regal liegen einige Altbestände. Ich gebe ja immer wieder mal | |
Interviews, da sollen manchmal Fotos mit den Fläschchen gemacht werden. | |
Aber Sie setzen sie nicht mehr ein? | |
Nein. Wobei ich zugeben muss, dass ich manchmal noch den Impuls habe. Wenn | |
die Kinder viel krank sind, denke ich: Komm, jetzt gibst du ihnen noch mal | |
ihr Konstitutionsmittel. Das ist totaler Quatsch, das weiß ich inzwischen. | |
Aber sich von dieser Hoffnung zu lösen, die auch ganz viele Patienten | |
haben, ist nicht so leicht. Mit dieser – leider unerfüllbaren – Hoffnung | |
arbeitet die Homöopathie. | |
8 Apr 2016 | |
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[1] http://www.piper.de/buecher/die-homoeopathie-luege-isbn-978-3-492-95873-8-e… | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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