# taz.de -- Streit um Wirksamkeit von Homöopathie: "Heilsversprechen sind unse… | |
> Der aktuelle Streit über Homöopathie wird ideologisch geführt, sagt | |
> Claudia Witt, Professorin für Alternativmedizin. Ein Gespräch über | |
> Zucker, Placebo und Götter in Weiß. | |
Bild: Besonders bei Kindern beliebt: Die Zuckerkügelchen mit angeblicher Wunde… | |
taz: Frau Witt, vertragen sich Schulmedizin und Homöopathie? | |
Claudia Witt: Schulmedizin als Basis zu haben, bedeutet ja auch, zu | |
erkennen, wann Schulmedizin besser ist oder beides kombiniert werden kann. | |
In der Regel nehmen Patienten alternative Medizin, also Homöopathie, | |
Akupunktur oder auch andere Naturheilverfahren, zusätzlich zur Schulmedizin | |
in Anspruch. | |
Ergibt das Sinn? | |
Das ergibt absolut Sinn, viel mehr Sinn als Entweder-oder. Eine chronische | |
Erkrankung wird ja heutzutage komplex behandelt. Bei Rückenschmerzen gibt | |
man nicht nur Schmerzmittel, sondern es gibt Empfehlungen, wie sich ein | |
Patient verhalten soll, Physiotherapie und dazu noch eine Schmerztherapie. | |
Und wenn der Patient dann auch noch Akupunktur oder was anderes dazu | |
kombiniert, dann hat er trotzdem eine solide konventionelle Versorgung und | |
das andere sozusagen on top. Krebspatienten zum Beispiel nehmen Homöopathie | |
zusätzlich und nicht anstelle einer Chemotherapie in Anspruch. Alles andere | |
sind wirklich absolute Ausnahmefälle. | |
Wählen viele Menschen nicht Homöopathie, weil sie von der Schulmedizin | |
frustriert sind? | |
Ich kenne keine Studien darüber, weshalb sich Patienten für die Homöopathie | |
entscheiden. Der Frust wäre eine reine Hypothese. Ich kann es also nicht | |
wirklich bestätigen. Sie merken schon, bei uns geht es nicht um Meinung, | |
wenn man forscht und dazu Stellung nimmt. Es geht darum, ob es Daten gibt | |
oder nicht. Ich unterrichte auch Forschungsmethodik und fange meine Kurse | |
immer mit dem Spruch an: "In God I trust, everyone else has to show data." | |
Ich bin einfach nicht mit Vermutungen, sondern mit Daten zu überzeugen. | |
Wie sehen Sie die aktuelle Debatte über die Finanzierung von Homöopathie | |
durch Krankenkassen: Ist das ein Glaubenskrieg? | |
Ich halte sie vor allem für unsachlich geführt. Der Punkt ist: Die gesamte | |
Diskussion wird im Moment eben nicht auf Basis von Daten geführt. Sondern | |
sehr ideologisch, auf der Ebene von Vermutungen. Eigentlich ist es eine | |
Debatte über die Wirksamkeit der Homöopathie, besonders von homöopathischen | |
Arzneimitteln. Da hat man sich dann eine Diskussionsebene gesucht, bei der | |
man möglichst viel Staub aufwirbeln konnte. | |
Etwa die Hälfte aller Krankenkassen bietet Zusatzleistungen für alternative | |
Medizin an. Warum zahlen Kassen für etwas, von dem kein medizinischer | |
Wirkmechanismus nachgewiesen ist? | |
Die Krankenkassen kennen die Studien, die gezeigt haben, dass es den | |
Patienten mit homöopathischen Behandlungen besser geht. Ich vermute, sie | |
orientieren sich am Gesamtergebnis. Da die Versicherten zum Teil gern | |
Homöopathie haben wollen, ist es also auch ein Wettbewerbsvorteil für die | |
Krankenkassen. | |
Sollte das Geld aus unserem Gesundheitssystem nicht lieber für die | |
Behandlung von ernsthaften Erkrankungen ausgegeben werden? | |
Die Patienten, die zum homöopathischen Arzt gehen, haben ernsthafte | |
Erkrankungen. Die Fakten sind da sehr klar. Sie haben chronische Leiden und | |
sind schon lange schulmedizinisch vorbehandelt. Wir reden hier nicht über | |
Bagatellerkrankungen. Da nutzen die Patienten zwar auch Homöopathie, gehen | |
aber selbst in die Apotheke und kaufen sich die homöopathischen | |
Arzneimittel. Damit gehen sie normalerweise nicht zum homöopathischen Arzt. | |
Sparen wir denn tatsächlich Geld, wenn wir homöopathische Präparate aus dem | |
Leistungskatalog der Kassen streichen? | |
Das würde ich auch gern wissen. Also, wenn der gesundheitspolitische | |
Sprecher der SPD, Karl Lauterbach, diese Zahlen hätte, würde ich mich sehr | |
freuen, wenn ich sie von ihm bekommen könnte. Er ist schließlich derjenige, | |
der nun Homöopathie aus dem Angebot der Krankenkassen streichen will. | |
Dabei zahlen doch gar nicht alle Kassen für Homöopathie. | |
Ja, es ist keine generelle Krankenkassenleistung. Die einzigen Daten, die | |
ich in Deutschland zu den Kosten von Homöopathie kenne, sind die aus einer | |
Studie, die unser Institut zusammen mit der Innungskrankenkasse Hamburg | |
gemacht hat. Da haben wir homöopathische und konventionelle Behandlung für | |
bestimmte Krankheiten verglichen und danach auch die Kosten analysiert. | |
Dabei haben wir gesehen, dass das zusätzliche Angebot von Homöopathie im | |
Rahmen dieses Modellprojekts nicht zu mehr Kosten geführt hat, da es an | |
anderen Punkten Einsparungen gab. Aber das ist eine kleine Studie und nicht | |
repräsentativ. Man bräuchte eigentlich Analysen im größeren Stil, um diese | |
Diskussion überhaupt auf einer sinnvollen Datenbasis zu führen. So etwas | |
geht nicht aus dem Bauch heraus. | |
Sie haben an der Berliner Charité Deutschlands einzige Professur zur | |
Forschung für alternative Medizin inne. Wo stehen Sie denn in der Debatte? | |
Hauptsächlich bin ich Forscherin. Ich behandle ja auch bewusst keine | |
Patienten, um mir den Abstand zu bewahren. Ich diskutiere aber viel mit den | |
Ärzten, die alternativmedizinische Therapien anwenden, damit unsere | |
Studien, die verschiedene medizinische Therapien vergleichen, auch die | |
Realität abbilden. Aber ich möchte selber nicht beides tun: behandeln und | |
neutral analysieren müssen. Um von einem negativen Ergebnis nicht so | |
frustriert zu sein - und vielleicht auch von einem positiven nicht so | |
erfreut -, dass es die weitere Forschung zu sehr in eine Richtung drängt. | |
Sehen Sie sich als Vermittlerin? | |
Das ist zumindest etwas, was ich als Wissenschaftlerin versuche. Geht es um | |
Homöopathie, merkt man ganz klar: Jeder hat eine Meinung dazu und die ist | |
entweder pro oder kontra. Und wenn man wie ich in der Mitte steht, ist das | |
gegebenenfalls beiden Seiten nicht unbedingt recht. Im Moment wird sehr | |
laut geschrien. Das heißt aber nicht, dass die, die am lautesten schreien, | |
immer recht haben. | |
Sprechen wir doch mal über die Wirksamkeit. Wie funktionieren eigentlich | |
Globuli? | |
Es gibt bis jetzt keine plausible Antwort, wie etwas wirken könnte, in dem | |
quasi nichts drin ist. | |
Ist wirklich kein Wirkstoff in homöopathischen Präparaten? | |
Man muss bei der Homöopathie zwei Formen unterscheiden: Es gibt sogenannte | |
Niedrigpotenzen, also zum Beispiel die Komplexmittel, in denen verschiedene | |
Arzneimittel zusammengemischt werden. Da ist noch was drin. Die emotionale | |
Diskussion dreht sich aber um die sogenannten Hochpotenzen, die so hoch mit | |
einem Alkohol-Wasser-Gemisch verdünnt sind, dass wirklich nichts mehr vom | |
Ausgangsstoff erhalten ist. Eingenommen werden dann meist Zuckerkügelchen | |
aus Saccharose, die mit dieser Flüssigkeit benetzt wurden. | |
Sind es dann Placebo-Effekte, die etwas bewirken? | |
Man kann davon ausgehen, dass der Placebo-Effekt auf jeden Fall eine große | |
Rolle spielt. Er tritt aber auch in der Schulmedizin auf. Egal, was Sie | |
einem Patienten geben: die Umgebung, die Art, wie Arzt und Patient | |
miteinander kommunizieren, aber auch die Erwartung des Patienten und des | |
Arztes, wirken sich auf das Therapieergebnis aus. | |
Muss man also an Homöopathie glauben, damit sie hilft? | |
Das ist eine gute Frage. Dazu wäre Forschung notwendig. Aus der Akupunktur | |
wissen wir, dass Patienten mit höherer Erwartung auch ein besseres | |
Therapieergebnis haben. Das konnten wir aus unseren Studien analysieren. | |
Aber in der Homöopathie sind die Daten, um diese Analyse zu machen, bisher | |
nicht vorhanden. | |
Warum gibt es dazu keine Studien? | |
Es gibt für die Homöopathie Studien zu verschiedenen Fragen. Wir konnten in | |
unseren beobachten, dass die Effekte von homöopathischen und | |
schulmedizinischen Behandlungen vergleichbar waren. Studien, die | |
homöopathische Arzneimittel mit einem Placebo vergleichen, zeigen aber | |
widersprüchliche Ergebnisse. Die meisten dieser Studien, vor allem die | |
älteren, haben methodische Schwächen. Sie sind also nicht wirklich | |
beweiskräftig. Bisher ist nicht eindeutig belegt, dass sich homöopathische | |
Arzneimittel von Placebo unterscheiden. | |
Sie erforschen seit 1997 die Heilkraft von Alternativmedizin. Und konnten | |
nur herausfinden, dass es hilft, wissen aber nicht, warum? | |
Ja. Man weiß nicht, wie es wirkt. Aber es gibt Belege dafür, dass es | |
Patienten, die sich homöopathisch behandeln lassen, besser geht. In dem | |
Warum stecken viele Fragen: Natürlich die nach dem Wirkmechanismus, aber | |
auch ob andere Faktoren, die in der komplexen Homöopathiebehandlung eine | |
Rolle spielen, von Wirkung sind. | |
Ist es frustrierend, an etwas zu forschen, von dem Sie keine Ahnung haben, | |
wie es funktioniert? | |
Ich hab ja früher auch Grundlagenforschung zur Homöopathie gemacht, also | |
versucht herauszufinden, wie die genauen Wirkmechanismen sind. Am Ende war | |
es schon frustrierend, zu etwas zu forschen, was sozusagen eine Blackbox | |
ist. Deshalb bin ich in die klinische Forschung gewechselt. Diese ist viel | |
fassbarer, weil man dort misst, ob es dem Patienten besser geht oder nicht. | |
Nehmen Sie selbst eigentlich auch Globuli? | |
Ich bin, Gott sei Dank, sehr gesund, ich nehme eigentlich kaum Medikamente. | |
Wenn ich mal akut Kopfschmerzen habe und funktionieren muss, dann nehm ich | |
eine Schmerztablette. | |
Also, Sie stehen dem Ganzen grundsätzlich erst mal skeptisch gegenüber. | |
Die Skepsis hat sich dann irgendwann in Neugierde verwandelt. Wenn sie auf | |
der einen Seite wissen, dass etwas naturwissenschaftlich eigentlich gar | |
nicht funktionieren kann, auf der anderen Seite aber sehen, wie es einem | |
guten Bekannten mit einer homöopathischen Behandlung deutlich besser geht, | |
nachdem er lange vorher schulmedizinisch in Behandlung war, dann wird man | |
neugierig. Grundsätzlich bin ich deshalb erst mal allen Therapien gegenüber | |
offen. | |
Das genügte als Anstoß, sich auf alternative Medizin zu spezialisieren? | |
Ja. Es hat mich einfach fasziniert und zur Forschung angeregt. Schon in | |
meiner Jugend hatte ich viele Freunde, die Homöopathie genutzt haben. Wenn | |
man dann im Studium steckt und sich den ganzen Tag mit dem Thema Medizin | |
auseinandersetzt, will man schon begreifen, was da eigentlich los ist. | |
Es war für Sie also nie ein Widerspruch, sich für klassische Medizin und | |
für Homöopathie zu interessieren? | |
Der Widerspruch ist ein naturwissenschaftlicher. Den habe ich bis heute. | |
Ich hatte Chemie und Mathematik im Abitur, ich bin sehr | |
naturwissenschaftlich geprägt. | |
Haben Sie denn auf Ihre Fragen von damals Antworten gefunden? | |
Eher Teilantworten, die wieder neue Fragen aufwerfen. Mein Mann ist Maler, | |
ich interessiere mich auch für moderne Kunst. Auch hier machen mich | |
Arbeiten neugierig, die erst einmal nicht so klar zugänglich sind. | |
Vielleicht liegt es daran, Dinge erforschen zu wollen. Eine Art | |
Entdeckerehrgeiz. | |
Aber noch mal: Warum sollte man Homöopathie so viel Bedeutung beimessen, | |
sie erforschen? | |
Es gibt keinen Bereich in der Medizin, der von der Bevölkerung so stark in | |
Anspruch genommen wird und in dem gleichzeitig dazu so wenig Forschung | |
stattfindet wie in der alternativen Medizin. Es gibt ja nach wie vor | |
überhaupt keine öffentliche Förderung für die Erforschung. Dabei ist | |
Forschung und mehr Wissen auf dem Gebiet sehr wichtig. | |
Vom aktuellen Stand der Forschung betrachtet: Kann Zucker denn nun heilen, | |
wenn man ihn auf die richtige Art verschreibt? | |
Aber ja, die Art, wie der Arzt mit dem Patienten spricht und wie viel Zeit | |
ihm dafür bleibt, hat einen Einfluss. Ich zucke aber immer ein bisschen, | |
wenn es um Heilen oder Heilsversprechen geht. Bei chronischen Erkrankungen | |
geht es häufig um Linderung. Da reden wir ja meistens über eine | |
Verringerung der Beschwerden oder darüber, dass die Beschwerden nicht so | |
schnell fortschreiten. | |
Wenn dem Arzt eine derart wichtige Rolle zukommt, wie Sie sagen: Ist das | |
nicht die Forderung nach der Rückkehr der Götter in Weiß? | |
Sie sind ja, Gott sei Dank, jetzt nicht mehr die Götter. Die Menschen | |
glauben nicht mehr an den weißen Kittel allein, sondern schauen auf die | |
Fähigkeiten, die der Arzt erworben hat. Und so ist der Arzt für den | |
Patienten nicht mehr unfehlbar, sondern er ist ein Fachmann, der im besten | |
Fall auch ein Fachmann in der Arzt-Patienten-Interaktion ist. | |
Sind die Patienten denn heute mündiger als noch vor fünfzig Jahren? | |
Auf jeden Fall. Ich denke, das hat viel mit der Entwicklung insgesamt zu | |
tun. Patienten sind viel kritischer, viel aufgeklärter, auch weil durch das | |
Internet sehr viele Informationen zugänglich sind. Und viele Patienten | |
wollen ja die Entscheidung gemeinsam mit dem Arzt treffen und nicht dass | |
der Arzt für sie entscheidet. | |
Wären nicht die aufgeklärteren Menschen die, die bei der Schulmedizin | |
bleiben? | |
Man weiß, dass die Patienten, die alternative Medizin wählen, besser | |
gebildet sind als der Durchschnitt. Eine höhere Rate an Abiturienten im | |
Vergleich zur Normalbevölkerung nutzt Homöopathie. | |
Wer lässt sich denn homöopathisch behandeln? | |
Es sind vorwiegend chronisch Kranke, die nahezu alle schulmedizinisch | |
vorbehandelt sind. Mehr Frauen als Männer. Die Patienten sind etwas jünger | |
als der durchschnittliche Patient beim Allgemeinmediziner. Die häufigsten | |
Erkrankungen, die beim Homöopathen behandelt werden, sind bei den Frauen | |
chronische Kopfschmerzen, bei den Männern Heuschnupfen, bei Kindern | |
Neurodermitis. | |
Was bekommen die Menschen beim Homöopathen, was sie beim Allgemeinmediziner | |
nicht kriegen? | |
Auf jeden Fall Zeit. Das ist denke ich ein wesentlicher Faktor. Ein | |
homöopathisches Erstgespräch dauert in der Regel eine bis eineinhalb | |
Stunden. Dann ist ein weiteres Merkmal, dass der Arzt ihnen zuhört und sie | |
aussprechen lässt. In einer allgemeinmedizinischen Praxis ist dazu nicht | |
die Zeit. Viele Allgemeinmediziner hätten gern mehr Zeit mit ihren | |
Patienten, aber das Gesundheitssystem honoriert ihnen das nicht. Da muss | |
sich grundlegend etwas in unserem System ändern. Zeit ist wichtig, um einen | |
Patienten vollständig über seine Krankheit aufzuklären, und es gibt auch | |
Forschung, die zeigt, dass der Behandlungsverlauf besser ist, wenn | |
Patienten mehr von ihrem Arzt erfahren haben. | |
Wo ist denn die Grenze der Homöopathie? | |
Besonders schlimm ist, wenn unseriöse Heilsversprechen gemacht werden. Das | |
gilt nicht nur für die Homöopathie. Das gilt für die alternative Medizin | |
insgesamt. Wenn ein Patient eine schwerwiegende unheilbare Erkrankung hat, | |
zum Beispiel Krebs, und der Arzt macht Heilsversprechungen, dann ist das | |
eindeutig unseriös. | |
## 29, schmeißt lieber Antibiotika ein, glaubt aber an die Kraft des | |
Placebo-Effekts | |
26 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Maria Rossbauer | |
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Homöopathie | |
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