# taz.de -- Pro und Contra: Homöopathie als Kassenleistung? | |
> Darf man den Studien zur Wirksamkeit von Homöopathie glauben? Kann die | |
> alternative Heilmethode mehr erreichen als Schulmedizin? Oder ist | |
> Homöopathie nur Luxus? | |
Bild: Wirken Globuli und Co. – oder nicht? Da sind sich sowohl Ärzte als auc… | |
Pro: | |
Im Zeitalter unnützer Zwangsbevorratung mit Pharmazeutika zur Eindämmung | |
drohender Pandemien liegt es nahe, dass eine die Gemüter bewegende | |
Sommerdebatte gebraucht wird. | |
Die fortgesetzten Versuche zur Entmündigung von Verbrauchern, Konsumenten | |
oder Patienten machen in einer pluralistischen Gesellschaft stutzig. Wenn | |
sie dann auch noch unter den Stichworten Solidargemeinschaft und soziale | |
Gerechtigkeit vorgetragen werden, tatsächlich aber Rationierung und | |
zentralistische Bevormundung meinen, sollte sich die | |
Versichertengemeinschaft aktiv zu Wort melden. Und wird die Kampagne dann | |
auch noch mit dumpfen Vorurteilen und als wissenschaftlich hingestellten | |
Falschaussagen garniert, stellt sich schon die Frage, für wessen Interessen | |
sich ihre Lobbyisten eigentlich engagieren. | |
Es mag ja logisch erscheinen, dass jede Ausgabenbeschränkung die Kosten im | |
Gesundheitswesen dämpft. Ist aber nicht so, wenn der damit einhergehende | |
Qualitätsverlust und die oft vielfach höheren Folgekosten unberücksichtigt | |
bleiben. Jeder kann verstehen, dass die Streichung der Ausgaben der | |
gesetzlichen Krankenversicherung für Homöopathie, die sich im Bereich von | |
unter 1 Promille bewegen, das Ertragsproblem im Gesundheitswesen nicht wird | |
lösen können. | |
Eine Debatte unter Ausschluss von Patientinnen und Patienten, die man als | |
"hemmungslos Gläubige" diskreditiert und deren Therapiewunsch deshalb nicht | |
ernst genommen wird; eine Debatte, welche die fast 7.000 Vertragsärzte, | |
mithin 5 Prozent der niedergelassenen Ärzte in Deutschland, die die | |
Zusatzbezeichnung Homöopathie führen, als unwissenschaftliche Dilettanten | |
verunglimpft; und die schließlich jüngere Studien in Deutschland, der | |
Schweiz und anderen Ländern, in denen die Wirksamkeit der Homöopathie | |
zweifelsfrei belegt wird, einfach ausblendet, darf als "Sommerente 2010" in | |
die Annalen eingehen. Eine mündige Bürgergesellschaft wird sie ebenso wenig | |
beeindrucken wie das Gerede von ungefährlichen Atomkraftwerken, risikolosen | |
Finanzanlagen sowie die Aussagen von Politikern vor der Wahl. | |
IRIS MELLENTHIN-FRIED | |
ist Fachärztin für Allgemeinmedizin in Berlin-Kreuzberg | |
*************** | |
Contra: | |
Es gibt eine Menge Gründe, für homöopathische Medikamente als | |
Kassenleistung zu sein: PatientInnen wollen sie, weil die Methoden | |
vergleichsweise sanft auf den Körper einwirken. Ärzte geben ihre | |
Unterstützung, weil ihre Klientel eben jene Vorteile schätzt und für | |
unverzichtbar erachtet. Und für Krankenkassen ist eine homöopathische | |
Behandlung im Angebot ein echter Wettbewerbsvorteil im Kampf um die jungen, | |
weiblichen, gut verdienenden Patientinnen, die auf eine derartige | |
Behandlung Wert legen. Aus demselben Grund hat übrigens auch bei Parteien | |
die Homöopathie einen stetig hohen Rückhalt. | |
Denn machen wir uns nichts vor. Die Homöopathie wird besonders gerne von | |
jener relativ privilegierten Bevölkerungsgruppe genutzt, für die eine | |
naturbasierte Behandlung das kleine bisschen zusätzlicher Luxus ist, den | |
man sich zu gönnen nicht zu schade ist. Sachliche Argumente stützen dagegen | |
die Behandlungen nicht. Keine Studie hat je wissenschaftlich den Nutzen der | |
Homöopathie nachgewiesen. Selbstverständlich darf trotzdem jeder weiter | |
diese Form der Behandlung vorziehen. Aber inwieweit die Solidargemeinschaft | |
diese Kosten für die intellektuelle, junge Oberschicht übernehmen muss, | |
während an anderer Stelle im Gesundheitssystem gekürzt wird, ist mehr als | |
fraglich. | |
Natürlich machen die Kosten für Homöopathie im Vergleich zu den im | |
kommenden Jahr bei den gesetzlichen Krankenkassen fehlenden 11 Milliarden | |
Euro nur einen Bruchteil aus. Doch in manchem Fall hat die Homöopathie | |
Folgekosten. Dann nämlich, wenn andere Behandlungen verzögert werden, die | |
Homöopathie nicht anschlägt und eine viel teurere, langwierigere Therapie | |
folgen muss. Darüber sprechen die Krankenkassen jedoch nur ungern, wenn sie | |
die "minimalen" Kosten vorrechnen. Grundsätzlich muss Maßstab für eine | |
Kassenübernahme bei einem Medikament oder einer Behandlung sein, ob die | |
Therapie einem durchschnittlichen Beitragszahler nützt - und ob es allen | |
Schichten der Gemeinschaft zu angemessenen Teilen zugute kommt. Beides ist | |
bei Homöopathie nicht der Fall. | |
GORDON REPINSKI | |
ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz und zuständig für | |
Gesundheitspolitik | |
17 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
I. Mellenthin-Fried | |
G. Repinski | |
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Homöopathie | |
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