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# taz.de -- Unter HeilpraktikerInnen: Verantwortung im Quantenfeld
> Auf dem Heilpraktiker-Kongress kann man das Neueste der Branche testen:
> Timewaver, die Quanten-Auren messen, Honig, den man auf Wunden schmiert
> und Vorträge über Erzengel.
Bild: Zuckerkügelchen gegen alles mögliche gibt es in der Apotheke. Warum nic…
Hamburg taz | Ich fühle mich hinterhältig. „Oh, wie schön, dass Sie da
sind!“, sagt die Organisatorin des Norddeutschen Heilpraktikerkongresses
sichtlich erfreut. Sie steht im Foyer des Hamburger Congress Centers, ihre
Augen strahlen, ihre Wangen schimmern rosig. Eine Journalistin der taz
interessiert sich für den Heilpraktikerkongress und möchte darüber
berichten – „Toll“, sagt sie, „herzlich willkommen.“ Ich bemühe mich…
lächeln und gebe ihr etwas steif die Hand. „Danke“, sage ich, stopfe eilig
den Kongressplan, den sie mir überreicht hat, in meine Tasche, lächele sie
noch einmal verkrampft an und verdrücke mich in Richtung Messeeingang. Rein
in den Strom der HeilpraktikerInnen.
„Möchten Sie probieren?“, fragt mich eine Frau hinter einem Messestand. Sie
verkauft Geräte, die wie Wasserkocher aussehen. Sie hält mir einen
Pappbecher mit Wasser hin. Ich greife zu. Es schmeckt, wie Wasser eben
schmeckt: nach nichts. „Wir sind alle übersäuert“, erklärt mir die Frau.
Stress, ungesunde Ernährung, Alkohol, das alles seien Faktoren. Deshalb sei
es umso wichtiger, dass wir basisches Wasser trinken.
Die Geräte sind gar keine Wasserkocher, sondern Wasserionisierer. Sie
funktionieren nach dem Prinzip der Elektrolyse und machen Leitungswasser
basisch. Eine durchlässige Membran in der Mitte des Geräts trennt das
Plastikgehäuse in zwei Kammern: In der einen befindet sich eine Kathode, in
der anderen eine Anode. Dazwischen wandern die Ionen aufgrund der
elektrischen Spannung umher – ganz normale Physik also.
„Aktivwasser“ nennen Naturheilkunde-Fans das ionisierte Wasser, das dabei
rauskommt. Ein Wasserionisierer kostet heute auf der Heilpraktikermesse nur
380 Euro. Im Internet findet man zahlreiche Angebote, für manche muss man
2.480 Euro hinblättern.
1.700 BesucherInnen sind an diesem Wochenende auf dem
Heilpraktikerkongress, werden die OrganisatorInnen hinterher sagen.
Mindestens zwei Drittel sind Frauen. Die meisten sind Mitte 40 aufwärts,
die meisten tragen Jeans und Bluse, die eine oder andere hat einen
Bauwollponcho oder einen Blumenwollrock an. Ich streune zwischen den
Messeständen umher und falle offenbar nicht als Fremde auf. „Hier,
probieren Sie dieses“, rufen mir ambitionierte HeilpraktikerInnen von ihren
Ständen aus zu, drücken mir Prospekte und Probierdosen von allen möglichen
Mittelchen in die Hand. Ich fühle mich ein bisschen erschlagen.
An den Tischen im Cafeteriabereich sitzen ein paar Leute herum. Eine Frau
isst eine Wurst mit Senf im Weißbrötchen und trinkt dazu eine Cola. Ihr
Anblick wirkt etwas verstörend in diesem gesunden Umfeld. Oder ist es
vielleicht gar nicht so gesund? Am Nachbartisch löffelt eine ältere Dame
probiotischen Joghurt. Schon besser. Ein Mann und eine Frau sitzen einzeln
an ihren Tischen und starren auf ihre Handys.
„Gelegentlich blockiert Ihr Gehirn“, sagt Carsten Lucht. Er sieht mich
durchdringend an und guckt dann wieder konzentriert auf den Bildschirm
seines Laptops. Der Computer wertet gerade meine Quanten-Aura aus.
Carsten Lucht ist 41 und trägt Barfußschuhe. Bis vor zwei Jahren habe er
als Selbstständiger Web-Kampagnen gemacht, sagt er, aber dann hatte er
einen Herzinfarkt. „Zu viel Stress.“ Lucht ist groß, trägt ein schwarzes
Sakko über seinem orangefarbenen Hemd und dazu Jeans. Mit seinem Ziegenbart
und dem kahl rasierten Kopf sieht er gar nicht so aus, wie ich mir die
Heilpraktikerbranche vorgestellt habe.
Lucht überreicht mir seine Visitenkarte: Er ist Gesundheitsberater. „Ich
wollte verstehen“, sagt er, und erzählt, wie er angefangen hat, sich mit
alternativen Heilmethoden wie Homoöpathie zu befassen und seinen alten
Beruf an den Nagel gehängt hat. Sein Laptop wechselt zum Bildschirmschoner.
Bunte Buchstaben wabern über das Display und setzen sich zu einem Satz
zusammen: „Alles wird gut.“
Timewaver nennt sich das Gerät, das Lucht und sein Chef bei
niedergelassenen HeilpraktikerInnen und HomöopathInnen anpreisen wollen. Es
sieht aus wie ein mobile Herdplatte aus weißem Plastik. Drei kreisrunde
Flächen sind darin eingelassen. Zwei Kabel führen von dem Herdplatten-Gerät
zum Laptop. Der Timewaver kostet 20.000 Euro.
Das Gerät, erklärt mir Lucht, könne kinesiologische Daten abbilden, ohne
dass man dafür einen aufwendigen Test durchführen müsse. Es messe die
Schwingungen der Quanten-Aura der Patientin und gleiche sie mit einer
Datenbank ab. Mir ist nicht ganz wohl dabei. Was passiert wohl noch alles
mit meinen Daten? Wobei – welche Daten überhaupt? Keine Ahnung, was meine
Quanten-Aura über mich preisgibt. Ich ziehe meine Hand von der
Plastikherdplatte zurück. Der Computer arbeitet.
„Das Quantenfeld ist eine Ebene zwischen Raum und Zeit“, erklärt mir Lucht.
„Unser Quantenfeld umgibt uns und wir treten darüber mit anderen Menschen
in Kontakt.“ Ich gucke ihn wortlos an. Meint der das ernst? Lucht redet
davon, dass es Dinge gebe, die man sich eben nicht vorstellen könne und
derer wir uns nicht bewusst seien. Er behauptet, die australischen
Aborigines hätten das besser drauf gehabt. „Hmm“, mache ich, weil mir
nichts anderes einfällt. Lucht scrollt in einer Tabelle auf seinem
Bildschirm herum. „Also“, sagt er dann und fängt an, die Ergebnisse meiner
Quanten-Auramessung aufzudröseln.
Mein Stresslevel ist im unteren Bereich, aber es mangelt mir an Erholung.
Das Gerät empfiehlt ein Arthritis-Mittel. Aha. Alternativ auch möglich,
laut der Tabelle: Schüssler Salze oder Bachblüten. Außerdem stellt das
Gerät Zinkmangel fest. „Zink habe ich heute schon genommen“, sage ich,
innerlich triumphierend, dass der Timewaver falsch liegen muss. „Na also,
dann wissen Sie ja, das es ein Thema bei Ihnen ist“, erwidert Lucht. So
kann man das natürlich auch sehen.
„Und dann ist da noch irgendwas mit Verantwortung“, murmelt er.
Verantwortung? Was denn? Zu viel? Zu wenig? So genau könne man das nicht
sagen, sagt Lucht und guckt konzentriert auf seine Tabelle. „Müsste man
sich mal therapeutisch ansehen“, sagt er. „Oder einfach mal in die
Meditation gehen.“ Das helfe auch gegen die Hirn-Blockade.
Ich wandere weiter zwischen den Messeständen umher, wo
ArzneiherstellerInnen und VertreterInnen eigens ausgedachter Heilmethoden
ihre Produkte anbieten. Ich bekomme allmählich Kopfschmerzen. An einem
Stand bietet jemand Honig von neuseeländischen Bienen an, das Töpfchen für
schlappe 80 Euro. Manuka-Honig hat angeblich Heilkräfte – man soll ihn sich
auf offene Wunden schmieren. Am Messestand liegen laminierte Bilder. Darauf
zu sehen sind offene Füße und eitrig aussehende Hautstellen. Es sind Bilder
von Honigbehandlungen.
In einem Vorlesungssaal redet ein Facharzt für Allgemeinmedizin und
Naturheilverfahren von der okkulten Entsprechung der Edelmetalle in unserem
Sonnensystem. 50 Leute blicken nach vorn und hören dem untersetzten Mann im
beigen Anzug zu, der vom Mondprinzip redet und davon, dass Mikrokosmos
gleich Makrokosmos bedeute. Als er in seinem Vortrag bei höheren Wesen und
Erzengeln ankommt, wird mir langsam schummrig.
Ich trete durch den Ausgang auf den Vorplatz des Kongresszentrums.
Nieselregen sprüht mir ins Gesicht. Ich krame meine Fahrradschlüssel aus
meiner Tasche hervor. Die ist vollgestopft mit Messe-Werbe-Artikeln: Eine
Schachtel Omega 3 Kapseln, ein Beutel grüner Tee, ein Glas Heilhonig,
unzählige Prospekte und Visitenkarten und ein grüner Apfel, dem ich nicht
traue. Ganz unten in meiner Tasche finde ich Ibuprofen, schlucke eine
Tablette mit Wasser runter und fahre nach Hause.
15 May 2017
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
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