# taz.de -- Verschwörungs-Theoretiker auf dem Land: Mit dem Aluhut gegen „Ma… | |
> Nach Absage einer dubiosen Band war das Ebstorfer Tierschutz Open Air ein | |
> Festival der Andeutungen. Ein Besuch vor Ort | |
Bild: Flugzeugspuren am Himmel könnten auch von geheimen Eliten versprühte �… | |
LÜNEBURGER HEIDE taz | Der Himmel über Ebstorf ist blau und gänzlich frei | |
von Kondensstreifen an diesem Sonntagnachmittag. Das ist durchaus von | |
Bedeutung, wie sich zeigen wird. Die Stimmung ist entspannt: Ältere | |
Ehepaare in Dreiviertelhosen und Karohemden schlendern über den Platz, | |
genießen den sonnigen Tag und freuen sich darüber, dass mal was los ist. | |
Ein paar Kinder laufen zwischen den Ständen herum, ein paar Hunde | |
beschnüffeln sich und tapsen schwanzwedelnd durch die Gegend. Auch zwei | |
Polizisten spazieren über den Platz und zurück. | |
Das Tierschutz Open Air findet zum zweiten Mal in Ebstorf statt, einem | |
5.300-EinwohnerInnen-Ort in Niedersachsen, organisiert vom | |
Tierschutzzentrum Lüneburger Heide. Um die 15 Stände stehen auf dem | |
Dorfplatz um die Eisbude herum: KaninchenretterInnen, Arche Noah Kreta | |
e.V., Hunderettung auf Sardinien, die Albert Schweitzer Stiftung, ein | |
Imkerverein, ein Katzenverein. | |
Die meisten Leute hier wissen wahrscheinlich nichts über den Shitstorm, den | |
das Festival in den sozialen Medien ausgelöst hat. „Wenn Holocaustleugnen | |
unter freie Meinungsäußerung fällt“, hatte der Blog Indyvegan in | |
Voraussicht auf das Open Air getitelt. Hintergrund ist der geplante und | |
dann doch abgesagte Auftritt der Band Vita Vision. Die Musikgruppe war | |
kürzlich mit einem Song über Chemtrails in die Öffentlichkeit gestolpert, | |
der über 200.000 Klicks bei Youtube hat – allerdings wohl hauptsächlich, | |
weil Jan Böhmermann sich bei Facebook darüber lustig gemacht hat. | |
## Absichtlich versprühte Chemikalien | |
Die Chemtrails-Theorie ist eine der populärsten Verschwörungstheorien. Ihre | |
AnhängerInnen halten Kondensstreifen, die Flugzeuge am Himmel hinterlassen, | |
für absichtlich versprühte Chemikalien, mittels derer die Eliten der Welt | |
Kontrolle über das Klima und die Menschen ausüben. AnhängerInnen der | |
Theorie beobachten | |
den Himmel und posten ihre Interpretationen auf Verschwörungs-Blogs mit | |
Namen wie „Galaxiengesundheitsrat“, „Auf-dem-Weg-in-die-Freiheit“, | |
„Schluss-mit-Lügen“ oder „Gandhi-Auftrag.de“. Dort tauschen sie sich a… | |
über Geräte und Praktiken aus, die helfen sollen, Chemtrails und giftige | |
Wolkenschleier aufzulösen: Sogenannte Chembuster aus Alu-Rohren – am besten | |
nach Feng-Shui-Längenmaß bemessen –, Acrylharz, Bergkristallen und | |
Kupferdraht-Spiralen, ganz selbstverständlich „Galaxy-Spiralen“ genannt. | |
Bei Google Shopping zum Beispiel kosten Chembuster bis zu 4.599 Euro. Geht | |
aber auch billiger: Essig soll auch helfen. Eine Userin schreibt auf einem | |
Blog: „Meine Freundin verkippt immer eine Flasche Essig auf der Straße, | |
wenn ihr das Wetter manipuliert vorkommt.“ Andere tränken gleich ihre | |
Vorhänge mit Essig. | |
„Chemtrails – wer hat uns das angetan / Chemtrails – wer, sag mir, wer | |
verdient daran?“, fragt die Frontsängerin von Vita Vision, Zeyneb Ummsitta, | |
im Refrain des von Böhmermann verspotteten Liedes. Im Video sieht man | |
Bilder von Marionettenspielern, die Strippen vor internationalen | |
Bankgebäuden ziehen, während im Hintergrund die US-Flagge weht. Auf einem | |
Bankgebäude prangt ein Auge im Dreieck: je nach Auslegung ein Symbol für | |
Illuminati- oder Freimaurer-Verschwörungstheorien. Neben dem Bankgebäude | |
sieht man im Video Totenköpfe und ein hungerndes Kind. Die restlichen | |
Minuten des Videos füllen Kondensstreifen am abendrotgetränkten Himmel. | |
„Zeyneb Ummsitta ist dem neurechten Spektrum zuzuordnen“, schreibt das Blog | |
Indyvegan. Auf ihrer Facebookseite verlinkt Ummsitta diverse rechtsradikale | |
Seiten und solche aus dem Reichsbürger-Spektrum, den Verschwörungskanal | |
KenFM, Beiträge über die angeblich gleichgeschaltete Medienlandschaft und | |
antisemitische Inhalte über eine angebliche Steuerung des Finanzwesens | |
durch Juden. | |
Nun sind Ummsitta und ihre Band Vita Vision an diesem Sonntag aber nicht | |
nach Ebstorf gekommen. Wegen des Shitstorms hat die Band abgesagt. Die | |
Organisatorin Monika Kielmann hatte daraufhin eine Stellungnahme des | |
Tierschutzzentrums bei Facebook veröffentlicht: „Wir bedauern dies zutiefst | |
und sind über solche Machenschaften entsetzt!“, schrieb sie. Es könne nicht | |
angehen, dass Druck auf das Festival ausgeübt werde, nur weil „die Band | |
sich erdreistet hat, ihre persönliche Meinung in einem Lied zum Ausdruck zu | |
bringen“. | |
„Wir hätten sie gerne hier gehabt“, bestätigt eine der | |
Mitveranstalterinnen, die Lose für eine Tombola verkauft. Sie sieht aus wie | |
Ende dreißig, hat glatte schwarze Haare, viele kleine Ohrringe und einen | |
Nasenstecker. Um den Hals trägt sie einen silbernen Anhänger irgendwo | |
zwischen Gothic und völkischen Symbolen. Wie alle Mitglieder des Orga-Teams | |
trägt sie ein schwarzes T-Shirt mit dem weißem Aufdruck: „Nicht mit uns!“. | |
„Wir hatten im Vorfeld einige Schwierigkeiten wegen Diffamierungen im | |
Internet“, erklärt sie. Ein anonymes Blog habe der Band unterstellt, rechts | |
zu sein – aber das sei alles überhaupt nicht belegt. Mit dem Shirt wolle | |
man sich davon abgrenzen. Wovon jetzt genau – von dem Blog oder von dem | |
Vorwurf? „Ich finde, der Spruch passt generell ganz gut zu uns“, sagt sie. | |
Ein kleiner Button steckt an den T-Shirts, „Gegen rechts“, steht da drauf. | |
Aber man muss schon ziemlich nah rankommen, um das lesen zu können. Und | |
dann kann man den Slogan vom T-Shirt ja auch noch als Kommentar zu dem auf | |
dem Button lesen. | |
## Nudelsieb auf dem Kopf | |
Und was ist jetzt mit der Band? Bevor die Schwarzhaarige antworten kann, | |
funkt die Hauptveranstalterin dazwischen. „Es gibt kein Problem mit der | |
Band“, stellt Monika Kielmann in aggressivem Tonfall klar. „Und die ist | |
auch nicht rechts.“ Dann dreht sie sich weg. | |
Kielmann, kurze graue Haare, Brille, Jeans und „Nicht-mit-uns“-T-Shirt, | |
steigt mit ihrer Partnerin Bea Müller, auch vom Tierschutzzentrum | |
Lüneburger Heide, auf die Bühne. Kielmann trägt einen Aluhut, der in der | |
Szne zum Schutz vor Strahlung und Gedankenkontrolle durch böse Mächte | |
propagiert wird. Ihre Partnerin hat sich mit einem Nudelsieb auf dem Kopf | |
beholfen. Kielmann, die bei Facebook „Moki“ heißt, hat sich eine Kette aus | |
Maulkörben um den Hals gehängt. Freie Meinungsäußerung? Heutzutage | |
unmöglich – das denken viele, die sich von den „gleichgeschalteten Medien�… | |
und den einflussreichen Eliten fremdgesteuert fühlen. Jemand versucht, | |
ihnen einen Maulkorb zu verpassen – deshalb darf Vita Vision auch nicht | |
spielen. | |
Beide haben ihre Hände zur Merkelschen Raute verschränkt. Zwischen ihnen | |
steht eine als Biene verkleidete Frau, deren Kostüm mit allerlei Kram | |
behängt ist. Goldene Flügel, Plastikblumen, eine Quietsch-Ente, ein | |
Plastikkanister und anderer Krimskrams hängen daran. Sie trägt ein Gedicht | |
vor. Es geht um Internetterroristen, digitale Diktatoren, anonyme | |
Denunzianten, unwahre Andichtung, Internetmobboholics. Sie fragt, ob sie | |
jetzt gleich im Verdacht stehe, eine rechtsradikale Killerbiene zu sein. | |
Auf einer Bierbank vor der Bühne, wo höchstens 15 ZuhörerInnen sitzen, | |
fragt eine Frau ihre Nachbarin leise „Was wollen die denn jetzt damit | |
sagen?“ | |
Es gehe um Tierschützer und -retter, reimt die Biene weiter, um solche, | |
„die es wagen, etwas zu tun und etwas zu sagen“. „Ich weiß, wer dahinter | |
steckt“, sagt sie bedeutungsschwanger. Ratlose Gesichter auf den Bänken. | |
Die Organisatorinnen grinsen. „Ich darf doch hier unzensiert zum Ausdruck | |
bringen, was ich möchte“, fährt die Biene fort. Dann schwafelt sie über die | |
Arche Noah, und darüber, ob Noah dieses Mal wohl besser überlegen würde, | |
wen er vor der Sintflut rettet. Dann sagen die drei noch im Chor, dass sie | |
keine mediengesteuerten Marionetten sein wollen. „Wir schaffen das“, | |
kichern sie ins Mikrofon. | |
Die meisten Leute wirken ziemlich ratlos. Ohnehin scheinen viele eher | |
zufällig hier zu sein. Sie stehen an der Schlange für den Eisladen, der | |
eindeutig die Dorfattraktion ist, sitzen kaffeetrinkend auf den Bänken oder | |
unter den Sonnenschirmen des Gastronomiebetriebs. | |
Nur eine Familie fällt optisch aus dem Rahmen: Eine kleine Frau mit | |
rotblonden Haaren und schwarzer Sonnenbrille mit weißem Rand steht in der | |
Mitte des Platzes neben ihrem Mann und ihrem Sohn. Die beiden Männer sind | |
fast identisch gekleidet: Schwarzes Shirt, blaue Jeans, schwarze Schuhe. | |
Der Sohn trägt eine schwarze Sonnenbrille, alle drei gucken verbissen. Die | |
Männer stehen breitbeinig da und verschränken die Arme vor der Brust. Sie | |
mustern alle Gäste und haben alles im Blick – stundenlang. Die | |
Sonnenbrillen nehmen sie nicht ab. Auf dem rechten Arm der Frau ist ein | |
Hundetattoo, auf dem linken ist in Schwarz und Rot „Böhse Onkelz“ | |
tätowiert. Man denkt an abendliche Dorfversammlungen in Sachsen, Bautzen, | |
Heidenau, Clausnitz, Kaltland. | |
Auf der Bühne interviewt Bea Müller einen Imker. Er ist um die 70, hat | |
zottelige Haare und wahrscheinlich noch nie was von Vita Vision oder | |
Chemtrails gehört. Er spricht über das Bienensterben. Dann kommt Musik vom | |
Band. Erst „Imagine“ von John Lennon, dann eine Frauenstimme zu | |
Gitarrenklängen. „Das kennen wir doch!“, sagt die Schwarzhaarige mit dem | |
Gothic-Schmuck zu ihrer Sitznachbarin und stupst sie mit dem Ellenbogen an. | |
Sie grinsen sich an. | |
„Schon seit hunderttausend Jahren werden wir manipuliert“, singt Zeyneb | |
Ummsitta aus der Box. Man habe nur ein, zwei Lieder von Vita Vision in die | |
Playlist aufgenommen, erklärt die Schwarzhaarige. Den Chemtrails-Song | |
natürlich nicht, da könnte man sich ja gleich den Kopf abhacken. Sie selbst | |
sehe das aber nicht so kritisch. Sie möge die Texte der Band – sie | |
interpretiere sie halt anders als die Internetblogs mit ihren anonymen | |
Vorwürfen. Dann dreht sie sich wieder zu ihren Freunden. Aus der Box kommt | |
noch ein Song von Vita Vision. Und dann noch einer. Und noch einer. | |
Lesen Sie mehr über Verschwörungstheorien in unserem Schwerpunkt in der | |
taz.am wochenende Seite 44,45 oder [1][hier] | |
23 Sep 2016 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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