# taz.de -- Debatte um Heilpraktiker:innen: Von Bachblüten bis Feng Shui | |
> In der Heilpraktikerbranche fachen neue Rechtsgutachten die Diskussion um | |
> Wirksamkeit und Ausbildungen an. Verbände fordern mehr Regularien. | |
Bild: Die Fachausbildungen sind kaum reglementiert und müssen bei privaten Tr�… | |
BERLIN taz | Silke Blumenthal litt schon als Kind unter einer erblich | |
bedingten Neurodermitis, mit Hautausschlag, blutenden Wunden, quälendem | |
Juckreiz. „Ich bekam immer wieder Cortison, viel Cortison, mit allen | |
Nebenwirkungen“, erzählt die 48-jährige Verwaltungsangestellte. | |
Vor drei Jahren begann sie eine Behandlung bei einer Heilpraktikerin, mit | |
ausführlichen Gesprächen und einer Ernährungsberatung unter Zuhilfenahme | |
der sogenannten Bioresonanzmethode. „Die Symptomatik besserte sich | |
erheblich“, erzählt Blumenthal, „der letzte Krankheitsschub ist Jahre her�… | |
Cortison nimmt sie derzeit nicht. | |
Blumenthal ist eine von Millionen von Patient:innen, die zu | |
Heilpraktiker:innen gehen. Viele davon haben chronische Erkrankungen | |
und schon lange Behandlungen durch die Schulmedizin hinter sich. Die | |
Hautärztin hatte Blumenthal erklärt, sie sei „austherapiert“, es gebe als | |
Behandlungsoption nur noch Cortison und Bestrahlungen. | |
„Da wusste ich, es geht schulmediznisch nicht weiter, ich brauche eine | |
Alternative“, erzählt die Patientin, die in Wirklichkeit anders heißt, aber | |
nicht mit Krankheitsgeschichte und ihrem richtigen Namen in der Zeitung | |
stehen möchte. | |
In der Praxis von Heilpraktikerin Petra Linnenbrügger im westfälischen | |
Halle bekam Blumenthal ein langes Erstgespräch. Dann wurde sie über | |
Elektroden an ein Bioresonanzgerät angeschlossen, das ihre | |
„elektromagenetischen Felder“ aufzeichnete. Das Gerät glich ihre Messwerte | |
mit Messwerten von bestimmten Lebensmitteln ab. | |
Der Test ergab Unverträglichkeiten von Milch, Eiern, Weizenmehl, | |
Zitrusfrüchten. Blumenthal verzichtete in der Folge auf diese Lebensmittel | |
und aß mehr Gemüse, Kartoffeln, Dinkelbrot und süßte mit Stevia. | |
Zwischenzeitlich ließ sie sich immer wieder an das Gerät anschließen, um | |
innere „Blockaden“ zu lösen. | |
Heute hat sie einige der vorher verbannten Lebensmittel wieder in den | |
Speiseplan aufgenommen. In größeren Abständen geht sie weiterhin zu | |
Linnenbrügger, zu stützenden Gesprächen darüber, wie sie mit aktuellen | |
Stresssituationen besser umgehen kann. „Diese psychologische Hilfestellung | |
ist ganz wichtig“, sagt Blumenthal, „das entlastet mich“. Für einen | |
anderthalbstündigen Termin zahlt sie 83 Euro. Etwa die Hälfte davon | |
übernimmt die private Krankenkasse. | |
Für Petra Linnenbrügger ist die Verwaltungsangestellte eine ihrer | |
langjährigen Patient:innen. „Da weiß ich dann einiges über den | |
psychologischen Hintergrund, da findet dann auch etwas Lebensberatung | |
statt“, erzählt die Heilpraktikerin der taz. | |
Ob auch nur eine Ernährungsumstellung, gekoppelt mit geduldiger Zuwendung | |
und stützenden Gesprächen, einen Behandlungserfolg ergeben hätte, ohne | |
Anwendungen mit dem Bioresonanzgerät, kann niemand sagen. Heilversprechen | |
gibt Linnenbrügger nicht. | |
Auf [1][ihrer Webseite] steht unter jedem Verfahren ein relativierender | |
Hinweis, zum Beispiel: „Die Bioresonanzmethode gehört zur Alternativmedizin | |
und wird von der evidenzbasierten Medizin, landläufig auch Schulmedizin | |
genannt, nicht anerkannt. Wissenschaftlich anerkannte Beweise für die | |
Wirkung und Wirksamkeit dieses Verfahrens liegen mit Ausnahme der | |
Allergiebehandlung nicht vor.“ Es erinnert ein bisschen an den Warnhinweis | |
auf einer Zigarettenschachtel. | |
Die Verfahren bei den rund [2][47.000 Heilpraktiker:innen] in | |
Deutschland werden in der Regel nicht von den gesetzlichen Kassen bezahlt. | |
Mit der Frage, ob diese Behandlungen nicht vielleicht in die Irre führen | |
und vielleicht sogar in großem Stil schaden und man den Beruf der | |
Heilpraktiker:in daher abschaffen solle, beschäftigt sich ein unlängst | |
veröffentlichtes [3][Rechtsgutachten im Auftrag des | |
Bundesgesundheitsministeriums]. | |
Gutachter Christof Stock, Jurist, kam zu dem Schluss, dass es sich in | |
einigen bekannten und vor Gericht verhandelten Fällen schädlicher | |
Behandlungen nur um wenige Einzelfälle handele. Für eine Abschaffung des | |
Heilpraktikerwesens bestehe kein „verfassungsrechtlich legitimer“ Grund. Er | |
erklärte, man müsse den Wunsch von Teilen der Bevölkerung respektieren, | |
„Maßnahmen der Alternativheilkunde auch von nichtärztlich Berufstätigen zu | |
erhalten“. | |
Ein „Register der Alternativheilkunde“ sei „denkbar“, das „probate Me… | |
auflistet oder auch vor der Anwendung gesundheitsschädlicher Methoden | |
warnt“, heißt es in dem Gutachten, das sich aber nicht näher mit einzelnen | |
Verfahren und deren Wirksamkeit beschäftigt. Stock forderte eine | |
„Neuregelung der fachlichen Voraussetzungen“ im Heilpraktikerberuf mit klar | |
formulierten „positiven Zugangsvoraussetzungen“. | |
Heilpraktiker:innen brauchen bisher nur eine amtsärztliche Erlaubnis, | |
um praktizieren zu dürfen. In der Prüfung in einem Gesundheitsamt werden | |
keine konkreten Behandlungsverfahren abgefragt, die Anwärter:innen | |
müssen in der Prüfung vor allem nachweisen, dass sie wissen, welche | |
Krankheiten sie nicht behandeln dürfen. Zur Vorbereitung dienen teure zum | |
Beispiel zweijährige Teilzeitstudiengänge an privaten Schulen, die man | |
selbst bezahlen muss. | |
Die Fachausbildungen in den verschiedenen Verfahren müssen darüber hinaus | |
bei privaten Trägern absolviert werden. Sie sind kaum reglementiert und | |
reichen von Akupunktur und Autogenem Training über Bachblüten-Therapie, | |
Bioresonanz, Chiropraktik, Gesprächstherapie, Homöopathie, Lymphdrainage, | |
Klangtherapie, Feng Shui, Pflanzenheilkunde bis hin zu Schamanismus und | |
Yoga. | |
Dabei wird immer wieder über Wirksamkeit und Unwirksamkeit debattiert. | |
Einigen Verfahren wie zum Beispiel autogenem Training, Lymphdrainage, | |
visuellen Entspannungsphantasien, Musiktherapie, Yoga und der Anwendung von | |
Johanniskraut und Knoblauch hat der Arzt und Medizinforscher [4][Edzard | |
Ernst] in einem kürzlich erschienenen Buch mit Verweis auf Studien | |
Wirksamkeit attestiert. Das ist insofern bemerkenswert, da Ernst ansonsten | |
als scharfer Kritiker der Alternativmedizin gilt. | |
Der Berufs- und Fachverband Freie Heilpraktiker hat seinerseits ein | |
Gutachten bei Rechtsanwalt René Sasse in Auftrag gegeben. Dabei geht es | |
aber explizit nicht darum, vermeintlich „wirksame“ von „unwirksamen“ | |
Verfahren zu unterscheiden. | |
„Ausbildungsvorschriften für die Alternativmedizin müssen berücksichtigen, | |
dass diesem Sektor das Bestreben nach medizinischer Evidenz fremd ist“, | |
schreibt Sasse ganz offen. Die „Binnenanerkennung“ der Verfahren innerhalb | |
der Heilpraktikerschaft ersetze „weitgehend die wissenschaftliche Evidenz“. | |
Sasse hält aber eine „staatliche Teil-Reglementierung der Ausbildung“ in | |
„Bezug auf medizinisches Grundlagenwissen“ für machbar. Anwärter könnten | |
etwa verpflichtet werden, zur Überprüfungsvorbereitung „an bestimmten | |
Ausbildungskursen über schulmedizinisches Grundlagenwissen“ teilzunehmen | |
und darob an einer Heilpraktikerschule eine „Erfolgskontrolle“ zu | |
absolvieren. Auch schlägt Sasse vor, dass man vor der Ausbildung ein | |
mehrmonatiges „Pflichtpraktikum“ in einer bestehenden Heilpraktikerpraxis | |
durchläuft. | |
Siegfried Kämper, Vizepräsident des Bundes Deutscher Heilpraktiker (BDH), | |
fände mehr Reglementierung in der Ausbildung gut. „Es wäre schon hilfreich, | |
wenn in der Prüfung etwa bestimmte Verfahren, wie die Akupunktur, | |
regelmäßig abgefragt würden. Auch der Nachweis, invasive Verfahren, zum | |
Beispiel mit Spritzen, zu beherrschen, müsste reglementiert werden können“, | |
sagte er der taz. Ob es zu mehr staatlicher Regulierung in der | |
Heilpraktikerausbildung kommt, bleibt abzuwarten. Keine der Parteien hat | |
sich in ihren Wahlprogrammen dazu geäußert. Das Thema ist heikel und ein | |
Feld für Glaubenskämpfe. | |
Stock betonte in seinem Gutachten das „Selbstbestimmungsrecht“ der | |
Patient:innen, [5][die in der Mehrzahl ihre Behandlungen selbst bezahlen]. | |
Silke Blumenthal musste sich von ihren Bekannten, von denen einige | |
Ärzt:innen sind, kritische Fragen zu ihrer Behandlung anhören. Sie | |
akzeptiere, wenn jemand sage, für ihn sei das nichts, meint sie. Für sie | |
zähle das gute Ergebnis, „ob das über die Psyche passiert oder organisch, | |
ist mir egal. Mir hilft das Gefühl, etwas gegen meine Krankheit unternehmen | |
zu können“. | |
10 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.pelinn.de/willkommen.html | |
[2] https://www.heilpraktiker-fakten.de/heilpraktikerfakten/heilpraktiker-in-de… | |
[3] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikation… | |
[4] https://edzardernst.com/ | |
[5] https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/25-Patienten-die-Woche-fuer-Heilpra… | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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