| # taz.de -- Queere Presselandschaft in Deutschland: Wie Rotlichtbars mit Samtvo… | |
| > Das Aus der gedruckten „Männer“ beendet die Ära der Schwulenmagazine. U… | |
| > es macht deutlich, was hierzulande fehlt. | |
| Bild: Dagegen sehen die Printmagazine richtig blass aus | |
| Die Nachricht kam Mitte März und verpackt in rosa Bonbonpapier. Man wolle, | |
| teilte die Bruno Gmünder GmbH in dürren Worten mit, künftig noch mehr in | |
| die Zukunft investieren. Darum schlösse man das Kapitel Print nach dreißig | |
| Jahren ab. Die Zeitschrift Männer, 1987 als Männer aktuell gestartet, gebe | |
| es ab sofort nur noch als Website. | |
| Für die queere Presselandschaft in Deutschland ist das so etwas wie das | |
| Ende der Dinosaurier. Im größten Land Westeuropas, einem der wichtigsten | |
| Länder in Sachen LGBTQ, wird ab sofort kein schwules Kaufmagazin mehr | |
| gedruckt. | |
| Der Einschnitt ist umso bemerkenswerter und trauriger, als dass in keinem | |
| anderen Land die Tradition solcher Zeitschriften so weit zurückreicht – bis | |
| ins 19. Jahrhundert. Schon im Zug der ersten deutschen | |
| Homosexuellenbewegung erschien im Kaiserreich ab 1896 das von Adolf Brand | |
| herausgegebene Magazin Der Eigene, sogar noch ein Jahr vor der Gründung des | |
| Wissenschaftlich-Humanitären Komitees (WhK) durch Magnus Hirschfeld, der | |
| heute allgemein anerkannten Geburtsstunde der ersten deutschen | |
| Homosexuellenbewegung. | |
| Als Literaturzeitschrift gestartet, wurde die Zielgruppe schnell recht | |
| eindeutig mit Poesie, Prosa, Aktfotos und Zeichnungen bedient. 1933 fand | |
| Der Eigene mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ein abruptes | |
| Ende. | |
| ## Nach 1945 | |
| Auch nach 1945 blieb in Deutschland der Nazi-Paragraf 175 in Kraft und an | |
| schwule Zeitschriften war erst einmal nicht zu denken. Die Lücke füllte ein | |
| Magazin aus der Schweiz: Der Kreis erschien ab 1943, nachdem im Jahr zuvor | |
| Homosexualität in der Schweiz entkriminalisiert worden war. In den | |
| Sechziger wurde das Klima zunehmend liberaler, der eher konservative Kreis | |
| verlor den Anschluss an die Zeiten. | |
| In der damaligen BRD begann eine neue Ära schwuler Kaufzeitschriften erst | |
| wieder 1969 mit dem Magazin DU&ICH. Dessen erste Ausgabe erschien noch im | |
| gleichen Monat September, in dem der Paragraf 175 entschärft und männliche | |
| Homosexualität nicht mehr gänzlich verboten war. In den Siebzigern blühte | |
| das Genre: him applaus, Unter uns, Adam oder Don hießen die Hefte und | |
| lebten in der Regel von einer skurrilen Mischung aus schlüpfrigen | |
| Softcore-Erotik-Fotos, überraschend politischen Beiträgen und einem | |
| riesigen Kleinanzeigenteil, halb schwuler Heiratsmarkt, halb | |
| Callboy-Strich. | |
| Ganze Generationen junger schwuler Männer haben bis in die Neunziger hinein | |
| mit diesen Heften am Bahnhofskiosk ihr Coming-out gemacht. Das war kein | |
| billiger Spaß, die dünnen Heftchen kosteten ein halbes Vermögen. Da kaum | |
| ein Unternehmen in den als anrüchig geltenden Magazinen werben wollte, | |
| finanzierten sie sich fast ausschließlich über die Verkäufe. | |
| ## 90er: Stadtmagazine | |
| Der Abstieg des schwulen Kaufmagazins begann im Grunde schon in den | |
| Neunzigern mit dem Aufstieg der zunächst schwul-lesbischen und später | |
| queeren Stadtmagazine. Sie waren gratis, regional, penisfrei, | |
| anzeigenkompatibel, überall in der Szene verfügbar und dem Lebensgefühl | |
| selbstbewusster schwuler Männer in Großstädten um vieles näher – so | |
| aufgeräumt wie die trendigen Szene-Cafés, in denen sie auslagen. Im | |
| Vergleich dazu wirkten die schwülstigen Kaufmagazine wie Rotlichtbars mit | |
| Samtvorhängen und Türspion. | |
| Insofern war die späte Gründung Männer aus dem Haus Gmünder schon der | |
| Versuch, ein Genre zu modernisieren, das den Zug der Zeit zunehmend | |
| verschlief. Doch die Qualität des Magazins wechselte so sprunghaft wie die | |
| Chefredakteure und den Geruch, nur ein monatlicher Katalog für die übrigen | |
| Produkte des Verlagshauses zu sein, wurde Männer auch lange nicht los. | |
| In anderen Ländern gelang dagegen zur selben Zeit der Sprung in den | |
| Mainstream. Ob Gay Times und Attitude in Großbritannien oder OUT in den | |
| USA, aber auch Tetû in Frankreich: Professionell gemachte Magazine, die | |
| neben Politik zunehmend Society- und Lifestyle-Themen in den Mittelpunkt | |
| rückten, eroberten dort eine viel größere, zahlungskräftigere und urbanere | |
| Leserschaft als in Deutschland. Anzeigenkunden zeigten sich für die | |
| Zielgruppe offener als in dem mittelständisch und konservativ geprägten | |
| Deutschland. | |
| Versuche, solche Konzepte auch hierzulande umzusetzen, wie das kurzlebige | |
| FRONT-Magazin, kamen zu spät, das aus einem schwulen Verlag heraus | |
| entwickelte Mate-Magazin existiert zwar weiter, positioniert sich heute mit | |
| seinem Themenspektrum von Mode bis Architektur im Lifestyle-Segment und ist | |
| von Bedeutung und Inhalt kein klassisches schwules Magazin mehr. | |
| ## Das langsame Sterben | |
| Spätestens ab 2010 begann das langsame Sterben der letzten ihrer Art. ADAM | |
| wurde 2011 sang- und klanglos eingestellt. DU&ICH, 2003 noch einmal vom | |
| Totenbett zurück relauncht und über ein paar Jahre hinweg sogar relativ | |
| erfolgreich, hielt bis 2014 durch. Mit dem Aus von Männer ist nun das Ende | |
| erreicht. Die Leserschaft, generell eher in Kleinstädten und über fünfzig, | |
| wurde einfach immer weniger. | |
| Lesbische Kaufmagazine wie L-Mag oder Straight halten sich dagegen noch | |
| relativ tapfer. Vor allem die treuen Abonnentinnen machen den Unterschied, | |
| aber auch die Tatsache, dass Frauen statistisch gesehen mehr lesen. | |
| Vielleicht ist es aber auch das unter Lesben stärker verbreitete Gefühl, | |
| mit der eigenen Presse solidarisch sein zu wollen, das am Ende den | |
| Unterschied zwischen Leben und Tod ausmacht. | |
| Schwierig bleibt die Frage zu beantworten, ob die schwule Welt dem Tod | |
| ihrer Kaufmagazine hinterhertrauern sollte oder nicht. Für Nacktbildchen | |
| jeder Façon lässt das Internet keine Wünsche offen. Die Gratismagazine | |
| halten sich nach einer schmerzhaften Phase der Konsolidierung wacker am | |
| Markt und ihre Leser*innen auf dem Laufenden. Mit Queer.de existiert | |
| zumindest im Netz ein LGBTQ-Nachrichtenportal. Große Verlage wie Springer | |
| oder Holtzbrinck nutzen zunehmend die geringen Online-Kosten, um queere | |
| Inhalte ins Netz zu stellen. Aus Österreich stammt der Vanguardist, der die | |
| Tradition schwuler Lifestyle-Magazine seit 2009 sehr ordentlich in ein | |
| Online-Format überträgt. | |
| ## Ein LGBTQ-Leitmedium fehlt | |
| Vielleicht ist der endgültige Niedergang also gar nicht so schlimm, sondern | |
| eher so unvermeidlich wie der Übergang von Droschke zu Taxi zu Uber. | |
| Dennoch wird nach dem Ende der gedruckten Männer in Deutschland immer mehr | |
| offenbar, wie sehr ein weithin sichtbares Leitmedium für die gesamte | |
| LGBTQ-Zielgruppe fehlt, ein Ort für gut gemachten Journalismus, für | |
| Reportagen und Porträts, aber auch für gesellschaftliche Debatten zu | |
| Genderfragen, Fragen des Umgangs mit Sexualität. | |
| Ein Magazin, dessen Stimme auch im heteronormierten Rest der Gesellschaft | |
| wahr- und ernst genommen wird – auch weil die Gleichstellung zum Stillstand | |
| gekommen ist und die Reaktion stärker mobil macht. Vor allem aber fehlt | |
| auch ein Medium, das sich an all jene schwulen Männer richtet, die sich in | |
| der für sie unübersichtlichen LGBTQ-Welt nicht zurechtfinden und das ihnen | |
| eine Heimat bietet, die schwule Kaufmagazine zuletzt offensichtlich so | |
| nicht mehr bieten konnten. | |
| Ganz auf ihre Freuden verzichten müssen die deutschen Fans des gedruckten | |
| Schwulenmagazins vorerst allerdings noch nicht. Wie schon nach dem Krieg | |
| mit dem Kreis, so retten die Nachbarn aus der Schweiz auch jetzt und zum | |
| zweiten Mal die Tradition. Mannschaft, das letzte deutschsprachige Magazin | |
| seiner Art, wurde vor sechs Jahren von einem kleinen Verlag in Bern | |
| gegründet und befindet sich seit anderthalb Jahren auch an deutschen | |
| Kiosken. | |
| Anmerkung: Der Autor war von 2002-2006 Chefredakteur des Magazins DU&ICH | |
| und von 2006-2009 Verleger und Chefredakteur des Magazins FRONT. Die erste | |
| Version des Textes ist noch um das Mate-Magazin ergänzt worden. | |
| 18 Apr 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Dirk Ludigs | |
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