| # taz.de -- Schwul sein in in einem arabischen Land: Der Tag beginnt mit Scham | |
| > Saleem Haddad hat einen Roman über eine schwule Liebesgeschichte in einem | |
| > arabischen Land geschrieben. Wir haben mit ihm gesprochen. | |
| Bild: Haddads Roman entwickelt keinen harmlosen Sog, sondern einen Mahlstrom | |
| Wir identifizieren uns mit demjenigen Aspekt unserer Persönlichkeit am | |
| eindringlichsten, von dem wir fühlen, dass er gerade am stärksten unter | |
| Beschuss geraten ist. „Im Nahen Osten ist das meine Queerness“, sagt Saleem | |
| Haddad. „Und im Westen: dass ich Araber bin.“ Am Telefon spricht Saleem | |
| Haddad über sich und seinen Debütroman „Guapa“, der eben auf Deutsch | |
| erschienen ist. | |
| Darin erzählt Haddad von einem jungen Mann namens Rasa, der unter Beschuss | |
| ist, weil er Männer liebt. Sein Lieben, sein Leben werden von allen infrage | |
| gestellt, von Staat, Gesellschaft und Familie. In den Ländern des Nahen | |
| Ostens mache man queere Menschen zu Dämonen, sagt Haddad. | |
| Saleem Haddad wurde 1983 in Kuwait geboren. Er ist der Sohn einer | |
| deutschirakischen Mutter und eines palästinensischlibanesischen Vaters. | |
| Aufgewachsen ist er in Jordanien, studiert hat er in Kanada, heute lebt er | |
| mit seinem festen Freund in London. Haddad hat für verschiedene NGOs, | |
| darunter Ärzte ohne Grenzen, Recherche betrieben und Öffentlichkeitsarbeit | |
| gemacht. Er hat Polizeigewalt dokumentiert, Zeugenaussagen von Geflüchteten | |
| aufgezeichnet, Medikamente organisiert. | |
| ## Das Wort „eib“ durchzieht den Roman | |
| Seine Wege führten ihn nach Syrien, Ägypten, Libyen, in den Jemen und den | |
| Irak. „Als der Arabische Frühling kam, wollte ich politischer arbeiten, an | |
| der Revolution“, sagt Haddad. Das tat er dann auch, unter anderem mit | |
| Aktivist*innen für Frauenrechte: „Um sicherzustellen, dass ihre Stimmen im | |
| politischen Übergangsprozess gehört wurden.“ Es grenzt an Wunder, dass | |
| Haddad während dieser Zeit, von 2011 bis 2014, noch die Energie fand, | |
| täglich morgens drei Stunden früher aufzustehen, um an seinem Roman zu | |
| schreiben. | |
| 2016 erschien das Buch auf Englisch – ein Jahrzehnt nach dem Coming-out von | |
| Abdellah Taïa, dem großartigen marokkanischem Autor, der lange als die | |
| einzige schwule Autorenstimme Arabiens gelten musste. | |
| „Der Morgen beginnt mit Scham“, lautet der erste Satz im Buch von Saleem | |
| Haddad. Denn Rasa, der Icherzähler, hatte einen Mann bei sich im Bett. Bis | |
| Teta, die Großmutter, schreiend und gegen die Tür von Rasas Zimmer | |
| hämmernd, dessen Welt ins Wanken bringt. Und noch heftiger die des Mannes | |
| bei ihm, Rasas festem Freund Taymour. Obwohl: fest, das ist die Frage hier. | |
| Zwar küssen sich die beiden seit drei Jahren; doch will Taymour die Dehors | |
| wahren. Stichwort: Schmach, Gesichtsverlust. Auf Arabisch sagt man eib, es | |
| ist das Wort, das diesen Roman durchzieht. Ein Begriff, der dehnbarer ist | |
| als das im Islam glasklar Verbotene: haram. | |
| ## Ein Tag und ein ganzes Leben | |
| Die Großmutter jedenfalls muss etwas geahnt oder gesehen haben beim Blick | |
| durchs Schlüsselloch. „An dem Schlamassel, in dem Taymour und ich stecken, | |
| sind alle mitschuldig“, heißt es später, „weil die Gesellschaft nun mal a… | |
| allen besteht und weil es die dummen Regeln der Gesellschaft sind, uns | |
| voneinander trennen.“ | |
| Der Plot, der sich in „Guapa“ entspinnt, umfasst einerseits nur einen Tag. | |
| Andererseits ein ganzes Leben davor, das von Gewicht ist, wenn es darum | |
| geht, die Gegenwart zu begreifen – und was an diesem Tag für Rasa auf dem | |
| Spiel steht. Wir erfahren, wie ein junger Taxifahrer, als Rasa 14 war, | |
| seinen Schwanz rausholte und sich Rasas Mund mit „salzigem Schleim“ füllte. | |
| Das erste Mal, mit einem, der sich selbst wohl nie als schwul bezeichnen | |
| würde. | |
| „Ich war jetzt zwei Personen in zwei verschiedenen Wirklichkeiten“, sagt | |
| Rasa ob seines Lügengewirrs, das die eib unter den Teppich kehren soll. Wir | |
| erfahren davon, wie Rasas Vater dem Krebs erlag, nachdem die Mutter (die | |
| stets Zwiebel schälte, um ihrem Weinen einen fassbaren Grund vorzuschieben) | |
| eine Weile zuvor im Kummerwahnsinn über Nacht das Land verlassen hatte. Das | |
| Land, ja welches Land eigentlich? Darüber hüllt sich der Roman in | |
| Schweigen. Es ist ein arabisches Land, zweifellos. | |
| Weiter erfahren wir davon, wie Großmutter Teta versucht, nicht auch noch | |
| Rasa zu verlieren, und ihn immerzu mit ihrem Regelwerk in Schach hält – | |
| sogar noch, als Rasa zum Studium für drei Jahre in die USA geht. | |
| ## Die Wurzel des Haderns | |
| Wie Saleem Haddad es versteht, all die Flashbacks im Lauf der 24 Stunden | |
| punktgenau zu platzieren! Das hat schon Proust’sche Qualitäten, wie er vor | |
| Augen führt, dass die Vergangenheit nicht vergangen ist, sondern Wurzel des | |
| Haderns in der Gegenwart. Aber wie die Vergangenheit auch etwas ist, das | |
| sich leichter formen lässt als die Gegenwart. | |
| Dieses Zittern zwischen den Zeiten ist psychisch plausibel und forciert | |
| obendrein die Spannung ungemein. Worauf Rasa an besagtem Tag zusteuert, ist | |
| (den Twist zwitschern wir nicht aus) vordergründig das Gegenteil von | |
| erbaulich. Obwohl darin letztlich auch eine Erkenntnis schlummert, die sein | |
| Leben zum Besseren wenden kann. | |
| Erst aber durchstehen wir diesen Tag mit Rasa, der als Dolmetscher (mit | |
| Vorliebe zur Kunst des gezielt falschen Übersetzens) mit einer | |
| US-Journalistin im Arabischen Frühling zu Oppositionellen fährt. Dabei | |
| quält ihn nicht nur der Gedanke an das In-flagranti vom Morgen. Er muss um | |
| seinen besten Freund, Maj, bangen, den die Polizei im schwulen | |
| Cruising-Cinéma verhaftet hat. | |
| Dazwischen blitzen Erinnerungen auf: In den USA verliebt sich Rasa | |
| aussichtslos in den Kommilitonen Sufyan und lernt Leute kennen, die | |
| entweder finden, er sei zu verwestlicht oder ein Proto-Araber. Saleem | |
| Haddad hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Als ich zum Studium nach Kanada | |
| ging und eben noch dachte, mein Leben würde werden wie die Fernsehserien | |
| aus den 1990ern, fühlte sich nach 9/11 alles eher so an wie in einem | |
| Actionfilm, in dem ich der Schurke bin. Ich war nicht mehr der Schwule, | |
| sondern dieses Ding, das man Araber nannte.“ | |
| ## Die neue Stimme für die arabischen Queers? | |
| Zurück in der Heimat, lernt Rasa Taymour, einen musikverrückten Mediziner | |
| aus gutem Hause lieben, den er, blutig geschlagen während einer | |
| Demonstration, mit auf sein Zimmer nimmt. Verstohlene Küsse, Zusammenstöße | |
| in überfüllten Bars. Nicht zuletzt im Guapa, der titelgebenden Bar mit | |
| ihren lasziven Drag-Performances. | |
| Es ist ein Prototyp dieser fürs Seelenheil kaum zu überschätzenden queeren | |
| Schutzräume, wie es sie überall gibt auf der Welt, in Orlando, aber auch im | |
| Oman. „Nach außen hin durfte man nichts sagen“, heißt es im Roman, „des… | |
| schuf ich in meinem Innern einen geheimen Käfig, in dem ich diese dunklen | |
| Gedanken lagerte. Ich fing sie ein wie Vögel und steckte sie in diesen | |
| Käfig für Zeiten, in denen ich sie brauchen konnte.“ | |
| In Jordanien und im Libanon ist Saleem Haddads Buch auf Englisch | |
| erhältlich. „Ich habe gehört, dass man es auch in Palästina bekommt“, sa… | |
| er. „Und in einer Buchhandlung in den Vereinigten Arabischen Emiraten.“ Er | |
| spürt den Druck, dass Leute nun erwarten, er sei die neue Stimme für | |
| arabische Queers: „Großartig ist das, dass sich queere Menschen aus | |
| arabischen Ländern mit meinen Figuren identifizieren können“, sagt er, | |
| „weil sie Vergleichbares erlebt haben.“ Aber es sei zum Scheitern | |
| verurteilt, als Einziger so viele unterschiedliche Menschen angemessen zu | |
| repräsentieren. | |
| ## Kein harmloser Sog – ein Mahlstrom | |
| Als er im vergangenen Jahr in Amman in Jordanien war, wurde ihm gesagt: „Du | |
| hast gar keine Wahl. Du wirst als diese Stellvertreterstimme wahrgenommen – | |
| ob es dir gefällt oder nicht.“ Und das verstehe er inzwischen auch, sagt | |
| er. Obwohl er sich damit etwas unbehaglich fühle. | |
| Der Roman stellt die Frage, wer oder was Rasa und Taymour davon abhält, | |
| zusammen zu sein. Welche Antwort gibt der Autor? „Ich glaube, Rasa könnte | |
| darin recht behalten“, sagt Haddad, „dass alle daran schuld sind, weil doch | |
| auch alle Teil der Gesellschaft sind.“ Andererseits mache Rasa es sich zu | |
| leicht, wenn er die Individuen ausblende. „Im Lauf des Buchs realisiert er, | |
| wann es darauf ankommt, als Individuum eine Entscheidung zu treffen – und | |
| sich die Schuld nicht mehr auf die Gesellschaft abwälzen lässt.“ | |
| Dass es darauf ankommt, wie sich ein Einzelner entscheidet, dafür steht | |
| auch Haddads Leben. Gerade arbeitet er wieder für NGOs: Wiederaufbau in | |
| Libyen. „Ich schreibe auch an einem neuen Buch, aber in letzter Zeit lagen | |
| die Prioritäten anderswo.“ Derweil wird sein Buch zu Menschen sprechen. Man | |
| kann sich nur wünschen, dass es bald auch auf Arabisch und Französisch | |
| erscheint: „Guapa“ entwickelt keinen harmlosen Sog, sondern einen | |
| Mahlstrom, der einem die letzte Träne entreißt, aber einen auch verzaubert | |
| lächeln lässt. | |
| 23 Mar 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Hochgesand | |
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