Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Songwriter-Pop: Herzeleid, Habibi
> Zutaten für den arabischen Twist: Der 21-jährige belgisch-ägyptische
> Popsänger Tamino singt auf dem Debütalbum „Amir“ wie ein androgyner
> Prinz.
Bild: „David Bowie fasziniert mich sehr“, sagt Tamino
„Mit Kammerorchester hätte sich das nicht gut angefühlt“, sagt Tamino-Amir
Moharam Fouad. Der 21-jährige belgische Künstler nippt an einem Glas
Jasmintee. Also hat er für sein Debütalbum „Amir“, auf dem er von
Radiohead-Bassist Colin Greenwood begleitet wird, selbst Gitarre,
Pianoforte und Synthesizer eingespielt und auf Nagham Zikrayat vertraut –
ein Ensemble, dem geflüchtete Musiker*innen aus Syrien und dem Irak
angehören. „Inspirierend, dass sie trotz allem mit Hingabe weiter Musik
spielen“, sagt Tamino, wie er sich als Künstler nennt.
Nagham Zikrayat (deutsch „musikalische Nostalgie“) haben warmes Vibrato in
ihren Violinen und Bratschen, im Cello und im Kontrabass; sie spielen in
der Tradition einer arabischen Firqa (wie sie im Ägypten der 1930er und
1940er populär wurde) auch Horn und Fagott – sowie die Rahmentrommel Riq,
die Flöte Nay und die Kurzhalslaute Oud – wichtige Zutaten für den
arabischen Twist. In der Musik von Tamino mischt sich ihre Soundsignatur
mit klassischen westlichen Poparrangements: Die EP „Habibi“ (von deren
fünf Songs sich nun vier auf dem Album „Amir“ wiederfinden“) kletterte
sofort auf Platz 1 der französischen Download-Charts; und im September
bekam Tamino beim Reeperbahnfestival den Nachwuchspreis verliehen.
Was macht Tamino, benannt nach dem Prinzen aus Mozarts „Zauberflötete“, so
besonders? Seine Idole sind Leonard Cohen und Nick Cave, Jeff Buckley und
Tom Waits. Doch Tamino kennt auch Töne, die die altehrwürdigen Herren nicht
draufhatten – weil sie in klassisch-westlichen Tonleitern gar nicht
existieren. Tamino, dessen Familie väterlicherseits aus Ägypten und dem
Libanon stammt, hat immer schon arabische Musik gehört. Die Rede ist von
Vierteltönen: Anders als in der westlichen Musik ist eine arabische Oktave
nicht in zwölf Halbton, sondern in 24 Vierteltöne unterteilt: doppelt so
feine Frequenznuancen.
Auch die Neue Musik in Europa begann sich ab 1920 für diese (aus ihrer
Sicht) Mikrointervalle zu interessieren, doch im Pop sind sie nahezu
unerhört. „Ich hab sie lange intuitiv gesungen, bevor ich musiktheoretisch
von ihnen erfuhr“, sagt Tamino. Inzwischen lernt er die besagte
Schalenhalslaute, die Oud, auf der sich eben jene Vierteltöne finden
lassen. Und noch ein Markenzeichen: Tamino, dessen Tenor auch in düstere
Tiefen absteigen kann, liebt das Falsett. Als ihm in der Pubertät die
Stimme brach und er die Kontrolle über manche Tonlagen verlor, blieb er der
ultrahohen Kopfstimme treu.
## Sexuell sei das nicht gemeint
Heute mag er auch die Androgynität daran. „Absolut! Dass es so zwischen den
Geschlechtern schwingt. Wenn wir über Gender reden: David Bowie fasziniert
mich sehr.“ Wichtig findet er auch den Sound junger Künstlerinnen wie Agnes
Obel und Julia Holter.
Am meisten schwärmt er von der Klangkünstlerin Inne Eysermans, die ihm für
sein Debütalbum verfremdete Soundscapes gebastelt hat. Das Quellenmaterial
stammt von Kassetten mit Aufnahmen seines Großvaters Moharam Fouad, der als
Sänger im Ägypten der 1960er weltberühmt war. Tamino spricht kein Arabisch,
aber er verwendet Worte wie „Habibi“, was Geliebte, aber auch Geliebter
heißen kann. Die meisten Songs handeln von Frauen, aber in „So it goes“
scheint das Gegenüber doch männlichen Geschlechts zu sein.
Die Lyrik Taminos ist allerdings eine chiffrierte. „Indigo Night“ erzählt
vom Sohn eines Reisenden, den die Mädchen des Dorfes umgarnen, was ihn aus
seiner Gleichgültigkeit der Welt gegenüber befreit – die ihm zuvor bloß
irreal erschien, wie, schöne neue Welt, auf einem Monitor. Auch von
Grasgeruch ist da die Rede. Und dennoch sagt Tamino im Gespräch: „Ich
möchte die Erweckung mysteriös belassen, aber sexuell meine ich sie
keinesfalls.“
## Raus aus dem Egotunnel
Auch der Drogenlesart sei er etwas überdrüssig. „Drogen sind ein allzu
leichter Weg, um kurzfristig an einen solchen Ort zu gelangen.“ Das
fasziniert wohl an Tamino: Da versinkt einer mit jugendlicher Kraft und
zart dramatischem Schmelz in der Stimme nicht nabelschauend im Elend –
seine Songs zeigen Wege in die Welt da draußen, abseits des nihilistischen
Egotunnels. „Ich verstehe mein Album nicht als düsteres, sondern als warmes
Werk“, sagt Tamino. Er wolle sie ja gar nicht abstreiten, die Melancholie
in manchen Texten. „Aber da ist doch auch diese Grandeur, diese Glorie.“
Und vielleicht stecke ja doch etwas Arabisches in ihm, sagt er: „Arabische
Sänger singen sich die Trauerseele aus dem Leib: Herzeleid und Herzschmerz.
Aber nicht zusammengekauert, sondern mit ausgestrecktem Rückgrat.“
Er gibt die Probe aufs Exempel, jammt die prototypische improvisierte Zeile
„my life sucks“ wie ein Jammerlappen – und dann noch mal, mächtig
melancholisch, wie ein Märchenprinz: „My life sucks.“ „Amir“, so der T…
des Albums, heißt übrigens Prinz. „Ein Prinz ist aristokratisch“, sagt
Tamino, „aber er hat noch viel zu lernen.“
12 Nov 2018
## AUTOREN
Stefan Hochgesand
## TAGS
Popmusik
Belgien
Ägypten
Geflüchtete
Julia Holter
Leonard Cohen
Bilderbuch
Popmusik
Popmusik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Album von Bilderbuch: Update mit Sandwishes
Größter Pop-Appeal seit Falco: Bilderbuch aus Wien hat überraschend ein
neues Album veröffentlicht. Es ist vielseitig, verspielt und groovt.
Album „Homotopia“ von Sam Vance-Law: Künstler für Zwischentöne
Sein Debütalbum „Homotopia“ nimmt Schwulsein ernst, ohne es zu ernst zu
nehmen. Sam Vance-Law weiß Tragik und Witz zu vereinen.
Australische Soul-Sängerin Nai Palm: Pop mit Ureinwohnern
Die Songs von Nai Palms „Needle Paw“ sind inspiriert von bulgarischen
Frauenchören, türkischem Psychedelic und Aborigines-Klagegesang.
Schwul sein in in einem arabischen Land: Der Tag beginnt mit Scham
Saleem Haddad hat einen Roman über eine schwule Liebesgeschichte in einem
arabischen Land geschrieben. Wir haben mit ihm gesprochen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.