# taz.de -- Familiennachzug für schwules Paar: Zäher Prozess für die Liebe | |
> Sie haben sich in Kairo kennengelernt und in Dänemark geheiratet. | |
> Behörden erschweren Mustafa und Oliver, in Deutschland zusammenzuleben. | |
Bild: Sonne und Liebe auf der Parkbank – was Mustafa und Oliver haben, haben … | |
Kurz vor seinem 30. Geburtstag erfährt Mustafa endlich, dass er fürs Erste | |
in Deutschland wird leben können. An diesem Tag geht er mit seinem Mann Eis | |
essen, im Park – mit einer Flasche Sekt. Dann gehen sie ins Neue Museum in | |
Berlin. Mustafa bleibt vor der Nofretete stehen, ihm kommen die Tränen. | |
„Nofrete ist unsere Botschafterin in Berlin“, sagt er, als er wenige Tage | |
nach seinem Geburtstag an seinem Küchentisch sitzt. Die Sektflasche steht | |
nun geleert im Regal. | |
Mustafa wurde in Ägypten geboren, in Kairo. Mustafa ist schwul, in einem | |
Land, [1][in dem das ein Problem ist]. Bedingt durch die Politik, bedingt | |
durch die Gesellschaft. Und doch lernte er im März 2015 seinen Ehemann in | |
Ägypten kennen. Oliver wurde in Deutschland geboren, ist an einer Uni | |
angestellt, durch die er in Kairo für drei Jahre an einer Hochschule lehrt. | |
„Mit einem mulmigen Gefühl“ sei er in diese Stadt gereist. Gut einen Monat | |
nach der Ankunft passiert es dann, in einem Nachtclub. | |
„Wir haben uns direkt gesehen“, erzählt Oliver. Mustafa fragte: „Bist du | |
schwul?“. Oliver antwortet: „Vielleicht“. Als Mustafa dann gesagt habe, | |
dass er sich bitte für eine Sexualität entscheiden solle, bevor er den Club | |
wieder verlässt, wusste Oliver, dass er keine Angst haben muss. Und dass er | |
diesen Menschen mag. | |
[2][Es kann gefährlich in Ägypten sein], als homosexueller Mensch zu leben. | |
Immer wieder kommt es zu Razzien, bei denen schwule Männer verhaftet | |
werden. Und doch lernen sich die beiden Männer in diesem Umfeld lieben. Sie | |
verbringen viel Zeit miteinander – jedoch ohne öffentlich ihre Zuneigung zu | |
zeigen. In der Gesellschaft ist das Thema ein Tabu. | |
## Der eigene Vater droht mit Erschießung | |
„Als mein Vater uns zusammen erwischt hat, drohte er, Oliver zu erschießen, | |
wenn er noch mal das Haus betritt“, erzählt Mustafa in der Wohnung in | |
Berlin, in der er heute mit Oliver wohnt. Beide heißen eigentlich anders, | |
wollen in diesem Text aber anonym bleiben. Im September 2017 heiraten sie | |
in Dänemark, bis zur Genehmigung der [3][„Ehe für alle“ in Deutschland] | |
wollen sie nicht warten. Was dann folgt, hatten sich beide als einen | |
Routinevorgang vorgestellt, doch es wird ein langwieriger Prozess: der | |
Antrag auf Familiennachzug. | |
Im gleichen Monat der Hochzeit vereinbaren sie bei der Deutschen Botschaft | |
in Kairo einen Termin um das Visum zum Familiennachzug zu beantragen. Sie | |
erbitten, dass Mustafa, der gerade mit einem Touristen-Visum in Berlin ist, | |
nicht wieder zurückreisen muss, um den Familiennachzug vor Ort zu | |
beantragen. | |
Darauf jedoch geht die Botschaft nicht ein. Dass das durchaus möglich | |
gewesen wäre, bestätigt der taz eine Anwältin für Asylrecht, die aufgrund | |
rechtsradikaler Anfeindungen nicht namentlich genannt werden möchte. Gerade | |
wenn eine Gefahr für eine Person im Heimatland bestehe, wie es bei Mustafa | |
der Fall ist, hätte die Behörde das bewilligen können. | |
## Mangelndes Mitwirken unterstellt | |
„Bei meinem Termin in der Deutschen Botschaft in Kairo sagte mir eine | |
Mitarbeiterin, dass es doch überhaupt keine Probleme für schwule Männer in | |
Ägypten gäbe“, erzählt Mustafa. Er fühlt sich nicht ernst genommen. | |
Dieses Gefühl verstärkt sich noch, als im Februar 2018, ganze fünf Monate | |
nach der ersten Kontaktaufnahme mit der Botschaft in Kairo, das Gesuch auf | |
Familiennachzug abgelehnt wird. Der Grund: Oliver sei unter der Adresse, | |
die er angegeben hatte, nicht erreichbar. | |
Zweimal habe die Ausländerbehörde in Berlin versucht, einen Brief | |
zuzustellen. Beide gingen zurück an den Absender. Der Antrag wird daraufhin | |
an die Botschaft nach Kairo zurückgeschickt und diese urteilt: mangelndes | |
Mitwirken, anscheinend kein wirkliches Interesse. Wahrscheinlich eine | |
Scheinehe. | |
Zuvor jedoch standen sowohl Mustafa als auch Oliver mehrfach per E-Mail und | |
Telefon in Kontakt mit den Behörden in Deutschland und Ägypten. Ihnen wurde | |
sogar angedroht, der Fall würde fallen gelassen, wenn sie noch mal | |
ungefragt Kontakt aufnähmen. Da Oliver in Berlin noch auf Wohnungssuche | |
war, wechselte er öfter seinen Wohnsitz. | |
Niemand hatte ihm gesagt, dass es der postalische Weg sein würde, auf dem | |
er schlussendlich erreichbar sein müsste. Denn zuvor waren sie schon oft | |
per E-Mail oder Telefon kontaktiert worden. Den Unterlagen zur Beantragung | |
des Visums lag sogar der Untermietvertrag bei, auf dem ersichtlich war, | |
wann das Mietverhältnis endet. | |
## „Ausländer-Raus-Behörde“ | |
Die Anwältin für Asylrecht kennt solche Geschichten sehr gut. Die Behörden | |
bewegten sich sehr selten auf Antragsteller zu. Es wäre ein Einfaches | |
gewesen, Oliver oder Mustafa anzurufen um zu erfragen, wieso die Briefe | |
zurückkommen. | |
Sie geht sogar so weit zu vermuten, dass Kalkül dahintersteckt. Dass es | |
sich um eine „Ausländer-raus-Behörde“ handelt, nicht eine Ausländerbehö… | |
Zu oft habe sie erlebt, dass Behörden durch Desinformation dafür gesorgt | |
haben, dass Fälle abgelehnt werden und die Betroffenen das Urteil nicht | |
anfechten. | |
Als die Ablehnung kam, war für Mustafa klar, dass es das war. „Ich habe zu | |
Oliver gesagt, dass wir uns dann ein anderes Land suchen müssen.“ Die | |
schlechtesten Chancen hätten wohl beide nicht. Beide haben eine | |
Hochschulausbildung, haben schon in diversen Ländern gearbeitet. | |
Und doch wollen sie eben in Deutschland leben. Also legen sie direkt | |
Widerspruch ein, holen sich Rechtsbeistand. Etwas, das die wenigstens | |
Menschen tun, wie die Rechtsanwältin bestätigt. Die meisten seien | |
verunsichert. Gingen davon aus, dass die deutschen Behörden doch recht | |
haben müssen. Geben auf. | |
## Unterschiedliche Angaben | |
Zu keinem Zeitpunkt ist es Mustafa und Oliver möglich zu erfahren, wer | |
eigentlich ihren Fall bearbeitet. Bekommen keinen Namen, keine Möglichkeit, | |
jemanden direkt zu kontaktieren. Sie erhalten immer wieder unterschiedliche | |
Angaben dazu, wie lang die Bearbeitung dauern würde. Welche Unterlagen noch | |
gebraucht werden. Welche Termine wann wahrzunehmen sind. Immer wieder rufen | |
sie nach dem Widerspruch bei den Behörden an, schreiben E-Mails. Fast alle | |
bleiben unbeantwortet. | |
Im Juni dieses Jahres wird der Antrag endlich bewilligt. Mustafa bekommt in | |
Berlin seine Aufenthaltsgenehmigung, zunächst für drei Jahre. In den neun | |
Monaten, die dieser Prozess dauerte, musste er mehrfach von Berlin nach | |
Kairo zurückreisen – spätestens dann, wenn das Touristenvisum wieder | |
auslief. | |
Oder wenn er einen Termin wahrnehmen musste, von der Botschaft | |
herbeizitiert wurde. Er konnte in dieser Zeit keine Arbeit aufnehmen, lebte | |
in ständiger Unsicherheit. Sowohl Mustafa als auch Oliver haben inzwischen | |
jegliches Vertrauen in die deutschen Behörden verloren. | |
Auf Nachfrage bei der Berliner Ausländerbehörde antwortete eine Sprecherin | |
der Innenverwaltung. Ein so „abstrakter Einzelfall“ könne nicht bewertet | |
werden – es handele sich beim Aufenthalts-, Ausländer- und Asylrecht um | |
komplexe Angelegenheiten. Eine konkrete Stellung könne man nicht beziehen. | |
## Noch immer droht eine Verhaftung | |
Als Mustafa endlich die Unterlagen in der Deutschen Botschaft in Kairo | |
abholen konnte, die er dann in Berlin vorlegen musste, führte er ein | |
Telefonat. „Du kannst immer noch verhaftet werden“, habe ein Mitarbeiter da | |
gesagt, so laut, dass andere es hören konnten. Er hatte sich wohl „zu | |
schwul“ benommen, war zu auffällig gewesen. Mustafa hat diesen Ausspruch | |
nicht als Warnung verstanden, sondern als Drohung. | |
Das erzählt Mustafa in seiner Berliner Wohnung, mit dem Wissen, dass er das | |
jetzt erst einmal hinter sich hat. Oliver ist gerade auf Forschungsreise. | |
Was er jetzt in Berlin machen möchte? Ein ägyptisches Restaurant eröffnen. | |
Ein Ort, an dem Menschen sich kennenlernen können. Doch vorher muss er noch | |
nach Kanada fliegen. Da hat sein Bruder gerade ein Kind bekommen. | |
21 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Matthias Kreienbrink | |
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