| # taz.de -- Jagd auf Homosexuelle in Ägypten: Let's talk about einvernehmliche… | |
| > Bei einem Konzert der Band Mashrou’ Leila in Kairo wurden fast 60 | |
| > Menschen verhaftet. Dafür wird erstmals öffentlich über Homosexualität | |
| > diskutiert. | |
| Bild: Kein Problem: Fans mit Flagge bei einem Mashrou'-Leila-Konzert | |
| Kairo taz | Die Verhaftungswelle begann mit einem Konzert der libanesischen | |
| Band Mashrou’ Leila. 30.000 Menschen, meist Jugendliche, waren vor drei | |
| Wochen zu dem Event in Kairo gekommen. Das besondere an der Band: | |
| Leadsänger Hamed Sinno hat ein Tabu in der arabischen Welt gebrochen. Er | |
| steht offen zu seiner queeren Identität. | |
| Damit ist Sinno zu einem der Idole der arabischen LGBT-Szene geworden, | |
| einer Szene, die in Ägypten aus Angst vor Repressionen weitgehend im | |
| Untergrund agiert. Während des Konzerts in Kairo schwenkte eine Gruppe | |
| Jugendlicher Regenbogenfahnen, das Symbol der sexuellen Vielfalt. | |
| „Ich war mit meinen Freunden auf dem Konzert, und neben uns war jemand, der | |
| zwei Flaggen dabeihatte. Also nahm ich eine davon und hielt sie hoch, in | |
| Solidarität mit dem Sänger der Band, gegen den eine Schmutzkampagne läuft, | |
| weil er schwul ist“, schrieb Ahmad Alaa dazu später auf Facebook und fügte | |
| hinzu: „Ich hätte es mir nie im Leben ausgemalt, dass die Sache solche | |
| Ausmaße annimmt. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass Homosexuelle wie | |
| jeder Mensch das Recht haben, ihre Sexualität frei auszuüben, das ist ein | |
| grundsätzliches Menschenrecht.“ | |
| Alaa ahnte offenbar nicht, welche Folgen die Aktion haben würde. In den | |
| sozialen Medien gingen nach dem Konzert Videos, die die Jugendlichen | |
| zeigen, viral. Auch konservative ägyptische Medien stürzten sich auf das | |
| Thema. Allerdings wurde dort nicht die Vielfalt zelebriert. In ägyptischen | |
| Talkshows war vielmehr von der „homosexuellen Krankheit“ die Rede, der | |
| Einhalt geboten werden müsse. | |
| Mashrou’ Leila, die wohl bekannteste Indie-Rockband der arabischen Welt, | |
| die auch regelmäßig in Europa und den USA Konzerte gibt, darf nun nicht | |
| mehr in Ägypten auftreten. Das sagte der zuständige Verband für Musiker am | |
| Montag der Deutschen Presseagentur. Um in Ägypten spielen zu dürfen, | |
| brauchen ausländische Bands eine Erlaubnis des Musikerverbands, der | |
| Zensurbehörde und eines Sicherheitsbüros im Innenministerium. | |
| ## Ein bewusst inszenierter Skandal | |
| Die ägyptische Menschenrechtlerin Dalia Abdel Hamid spricht in einem | |
| Interview mit der taz von einem bewusst inszenierten Skandal, um gegen die | |
| ägyptische LGBT-Szene vorzugehen. Mit den in Ägypten gleichgeschalteten | |
| Medien sei eine Verhaftungswelle vorbereitet worden, sagt sie. | |
| „Die Medien traten in Aktion und holten alle ihre Waffen heraus und fordern | |
| dazu auf, diese Menschen zu verhaften, weil das gesellschaftlich nicht | |
| akzeptabel ist. Und alle gaben ihre Statements ab, von den Parlamentariern | |
| bis hin zu den christlichen und islamischen Geistlichen. Sie alle wetzten | |
| ihre Messer“, sagt Abdel Hamid. | |
| Was folgte, war eine noch nie da gewesene Jagd auf Homosexuelle in Ägypten. | |
| Ahmad Alaa, einer der Fahnenschwenker, wurde verhaftet und steht inzwischen | |
| vor einem Staatssicherheitsgericht. Aber nicht nur diejenigen, die | |
| Regenbogenflagge hochgehalten hatten, wurden von den Sicherheitsbehörden | |
| gesucht. Mit Alaa wurden mindestens 56 weitere Menschen verhaftet, die | |
| verdächtigt werden, der queeren Szene anzugehören. | |
| ## „Polizisten ködern im Netz Menschen“ | |
| „Was die Sicherheitskräfte in solchen Fällen gerne machen, ist, dass sich | |
| Polizisten Profile in den einschlägigen Chat-Räumen und Dating-Apps im | |
| Internet schaffen. So ködern sie die Menschen und laden sie zu einem | |
| Treffen ein, wo sie dann festgenommen werden“, erzählt die | |
| Menschenrechtlerin Abdel Hamid. | |
| Zehn der Festgenommenen wurde bereits in einem ungewöhnlich schnellen | |
| Verfahren der Prozess gemacht. Sie erhielten Gefängnisstrafen von einem bis | |
| zu sechs Jahren. Es gibt im ägyptischen Gesetzbuch keine Paragrafen, die | |
| Homosexualität untersagen. Bisher wurden Homosexuelle wegen öffentlicher | |
| Verführung, Ausschweifung, Unmoral oder Blasphemie verurteilt. Nun werden | |
| die Fahnenschwenker erstmals auch beschuldigt, einer Gruppierung | |
| anzugehören, die die nationale Sicherheit bedroht. | |
| „Es wurde sogar konstruiert, dass sie die Verfassung verletzt hätten, in | |
| der es in Artikel zwei heißt, dass die Prinzipien der Scharia die | |
| Hauptquelle der Gesetzgebung darstellen sollen“, erklärt Alaa Faruk, einer | |
| der Anwälte, der die Verhafteten verteidigt. „Viele Richter urteilen in | |
| diesen Fällen nicht gemäß dem Gesetz. Das gilt besonders für die untere | |
| Ebene der Gerichte. Ich hatte einen Fall, da sagte der Richter, er | |
| verurteile meinen Mandanten, weil er den Thron Gottes zum Wackeln gebracht | |
| habe. Es gibt kein solches Gesetz“, erzählt er. | |
| ## Analuntersuchung ist Folter | |
| Einige der Verhafteten mussten außerdem eine Analuntersuchung über sich | |
| ergehen lassen, um so angeblich gleichgeschlechtlichen Sex nachweisen zu | |
| können. Eine Prozedur, die Menschenrechtsgruppen als Folter bezeichnen. | |
| Amnesty International hat mindestens fünf solcher Fälle dokumentiert, die | |
| auch von ägyptischen Behörden offen zugegeben werden. | |
| Die Menschenrechtlerin Abdel Hamid setzt das Ganze in einen weiteren | |
| politischen und gesellschaftlichen Kontext: „Es gibt Leute, die sagen, wenn | |
| sie eine ‚IS‘-Fahne gehisst hätten, wären sie nicht so verfolgt worden.“ | |
| Das Traurige sei, dass die Menschen, die für Frieden, Vielfalt und für die | |
| Akzeptanz des anderen eintreten, bekämpft würden. Und das in einer | |
| polarisierten Gesellschaft, mit großen politischen Differenzen, während die | |
| Repression anhält und die Leute unter der wirtschaftlichen Krise leiden. | |
| „Der Staat verwendet seine Ressourcen, um gegen die Menschen vorzugehen, | |
| die für Vielfalt eintreten“, beklagt sie. | |
| Es ist nicht die erste Verhaftungswelle gegen Homosexuelle in Ägypten. | |
| Allein ihre Organisation habe innerhalb von fünf Jahren über 230 Fälle | |
| dokumentiert. Trotz der massiven neuerlichen Repression macht Abdel Hamid | |
| aber auch etwas Positives aus. Hatten sich Menschenrechtler, Anwälte und | |
| Intellektuelle bisher immer gescheut, das Thema Homosexualität | |
| aufzugreifen, habe nun eine Debatte begonnen. | |
| ## „Warum einvernehmlichen Sex kriminalisieren?“ | |
| „Es wird neuerdings über einvernehmlichen Sex diskutiert. Es werden Fragen | |
| gestellt: Warum interveniert der Staat hier und nicht bei häuslicher Gewalt | |
| oder bei weiblicher Genitalverstümmelung oder bei Vergewaltigung in der Ehe | |
| oder bei Kinderehen, die alle nicht einvernehmlich geschehen“, beschreibt | |
| sie die Diskussion. „Manche Leute fragen: Warum sollen ausgerechnet | |
| einvernehmliche Beziehungen kriminalisiert werden?“, sagt sie. | |
| Inzwischen haben die Behörden eine Informationssperre verhängt. | |
| Homosexuellen ist es verboten, öffentlich in den Medien aufzutreten, wenn | |
| sie ihrer sexuellen Identität nicht abschwören und diese als Schande und | |
| Krankheit bezeichnen. Nicht nur die islamische Al-Azhar-Universität in | |
| Kairo verurteilt Homosexuelle. Auch die koptische Kirche organisierte eine | |
| Konferenz mit dem Titel: „Der Vulkan der sexuellen Abweichung“. | |
| 13 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim El-Gawhary | |
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