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# taz.de -- Suche nach Identität: Und Fatti liebte
> Fatti war Frau und Mann, deutsch und türkisch – und Einwandererkind im
> Harz. Was alle übersahen: Sie war auch schwer krank. Eine Spurensuche.
Bild: Jugend im Harz, eine Enge, aus der sich Fatti nie wegtraute
Er. Sie. Es. Kadın, Frau. Eril, männlich. Er. Sie. Ben, Ich. Es. Der Kampf.
Der Wunsch. Allah.
Döndü L. beugt sich über einen schwarzen Karton. Sie hat alte Fotos
rausgesucht. Es sind die Bilder ihrer Schwester, die auch ihr Bruder sein
wollte. Das Feuer im Ofen lodert, die Fenster des hell möblierten
Wohnzimmers sind leicht beschlagen.
„Es war ihr letzter Wunsch, dass man ihre Geschichte erzählt.“ Döndü L.
will ein Versprechen einlösen. Es fällt der zarten, kleinen Frau mit den
braunen Locken und den großen Augen schwer zu sprechen. Es soll eine Reise
in die Vergangenheit werden, auch in ihre. Fattis Leben ist die Geschichte
eines Menschen, der es nie schaffte, sich, den eigenen Körper und die
Wahrnehmung der anderen in Einklang zu bringen.
Döndü L. Mann Markus tritt ins Wohnzimmer. Noch am Sterbebett haben sie mit
Fatti gesprochen, haben sie selbst sprechen lassen, aufgenommen mit dem
Handy. Markus L. stellt es an.
Fattis Stimme erklingt, der Kardiograf piept im Hintergrund. Fatti erzählt,
wie sie als Kind auf dem Dorf im Norden der Türkei ihr Kopftuch versteckte,
sobald sie das Haus verließ. Da war sie acht Jahre alt. „Wenn ich nach
Hause kam, gab es erst mal Dresche.“ Mit Kopftuch könne sie nicht richtig
hören, verteidigte sie sich. „Das war nicht gelogen. Ich wollte kein
Kopftuch tragen. Wenn du nicht willst, spürst du Schmerzen, die du gar
nicht hast.“
## Aus Fatma wird Fatti
Mit den Jungs im Dorf spielte sie Fußball. „Ich war die einzige, die mit
ihnen Fußball gespielt hat.“ Mehmet, der an der Moschee wohnte, war ihr
bester Freund. Der verstand Fatma, wusste was los ist, nannte sie Fatti, so
wie sie sich selbst und alle sie von da an nannten. Ausgenommen ihrer
Eltern.
Döndü L. steht im langen Mantel vor dem deutschen Holzhaus, in dem sie
aufgewachsen ist. Eine Siedlung an einem Berg, eine Straße mit leichter
Steigung. Hier nach Goslar kam der Vater Anfang der 1970er, als
Gastarbeiter zum Bergwerk am Rammelsberg. „Es war alles ganz anders“, sagt
Döndü L. und peilt den Hinterhof an. Ein kleiner Bach fließt dort, die
Schwester will zum Hinterhaus. „Das war das Bad.“ Dort haben sie sich
gemeinsam gebadet, der Vater, die Mutter, die Geschwister, alle außer
Fatti. Ihr Schamgefühl, es war so groß, dass nicht mal ihre Geschwister
ihren Körper hätten sehen dürfen.
Fatti war zehn Jahre alt, als sie nach Deutschland kam, sprach kein Wort
Deutsch. Zu sechst lebten die Geschwister in einem Raum einer
3-Zimmer-Erdgeschosswohnung. Der Vater, ein Prügler, ein Wächter über Sitte
und Ordnung, sagt Döndü L.: „Fatti war ihm die Liebste, die fing mit keinem
Mann was an, das wussten meine Eltern.“
Das Ziel der Familie damals: Geld machen, solange es geht. Alle dachten,
der Zeitpunkt würde kommen, an dem es zurück aufs Dorf in die Türkei geht.
„Wir sollten nicht Deutsch lernen, wir sollten sparen.“ Fatti war gut
darin. Wenn sie nicht in der Schule war, sammelte sie akribisch Schrott in
der ganzen Stadt und verkaufte es. Als Fatti 18 Jahre alt wurde, besaß sie
50.000 DM, und doch wollte der Vater sie mit einem Cousin verheiraten.
Fatti drohte mit Selbstmord. „Seitdem trug sie immer ein Messer bei sich in
der Hosentasche.“
Die erste Liebe: eine Frau
Ganz oben auf dem Rammelsberg steht ein Turm. Früher lagerte dort das
benötigte Holz für das Bergwerk. Man maß es in „Maltern“, das Restaurant…
diesem Turm heißt noch heute Maltermeister Turm. Döndü steht auf der großen
Terrasse, hier kann sie weit über das kleine Goslar schauen. „Hier oben
verliebte sich Fatti das erste Mal in eine Frau.“
Mit 16 arbeitete Fatti im Maltermeister Turm als Küchenhilfe. Ihre Chefin
erkannte den Fleiß, lobte sie, schenkte der Türkin Anerkennung. Fatti stieg
zur Küchenchefin auf, briet als 20-Jährige Schnitzel mit Zigeunersoße und
frittierte Pommes mit Currywurst aus Schweinefleisch. „Das hätte sie selbst
gar nicht gegessen, aber sie war schnell, pfiffig und kräftiger als alle
anderen.“ Döndü L. arbeitete auch eine Zeit lang hier oben, als Kellnerin.
Es herrschte ein rauer Ton, wenn Fatti am Herd stand. „Sie gefiel sich
selbst in dieser Rolle.“
Und Fatti verliebte sich in jene Chefin, die als erste erkannte, welche
Kraft in diesem türkischen Mädchen steckte, das wie ein Junge aussah. Acht
Jahre war Fatti unglücklich in eine verheiratete deutsche Frau verliebt,
die auf ihre Arbeitskraft angewiesen war. Als Fatti ihre Sehnsucht
offenbarte, obwohl die andere es längst wusste, gestand die ältere Frau:
Mit den beiden wird es nie etwas, das müsse Fatti einsehen. Der Kittel am
Nagel, der Bruch.
Fatti flüchtete in eine Liebe, die sie nicht abwies, die zur Natur. Sie
arbeitete als Friedhofsgärtnerin. Und sie flüchtete aus der kleinen Türkei,
der Siedlung am Bergwerk. Sie zog bei den Eltern aus. „Sie wollte raus aus
der türkische Kultur – wollte nicht mehr Türkisch sprechen, verlernte es
sogar.“
Die Türken in Goslar nannten sie Erkek Fatti, die männliche Fatti, das
Mannsweib. „Sie sah immer aus wie ein Mann.“ Das wollte sie. Sie trug weite
Holzfällerhemden, beugte sich immer leicht nach vorn, damit man ihre Brüste
nicht zu sehr sehen konnte. Ihren Zopf knotete sie als Kind immer so streng
wie möglich nach hinten, später schnitt sie die Haare kurz.
Der, die, das, alles verdreht
„Fatti verstellte sich nie. Sie wusste, die Leute reden – es war ihr nicht
egal, aber sie konnte und wollte nicht anders.“ Nur für Mutter und Vater
blieb Fatti immer Fatma, ihre Tochter. Das Thema blieb unerwähnt.
Döndü L. durfte nicht lieben, wie sie es wollte. Als sie mit 18 Jahren den
deutschen Markus heiratete, brach der Kontakt zu ihren Eltern für viele
Jahre ab. Fatti hielt zu ihr. Markus der Polizist, ging alle Schritte der
Schwestern mit. Döndus Abnabelung, Fattis Suche, er wird ihr dritter
Verbündeter.
Fatti vertraute sich ihrer jüngsten Schwester Döndü als erste an. Mit ihr
ging sie zum Frauenarzt. „Sie ertrug die Blicke nicht, wenn sie allein dort
war und aufgerufen wurde. Sie wollte, dass es aussah, als ob ich gehen
würde.“ Döndu kaufte Fatti Büstenhalter.
Markus half ihr bei ihrer zweiten Scham, der deutschen Sprache. „Schreib
mir mal einen Dreizeiler“, hat sie immer gesagt, wenn sie Briefe an
Behörden, Ämter oder Versicherungen verfassen musste. Akribisch suchte sie
raus, was mitgeteteilt werden sollte, beschäftigte sich mit Gesetzen und
Bedingungen – nur telefonieren oder schreiben wollte sie nicht. Ihre Angst:
„Jemand hätte bemerkt, dass sie nicht muttersprachlich ist“, erzählt Mark…
L. Fatti sprach fließend Deutsch, nur die Artikel verdrehte sie oft. Der.
Die. Das. Fatti fragte sich, ob das der Grund sei, warum man sie nicht
versteht.
Oft rief Fatti die beiden an, kam zu Besuch, brach zusammen, wollte sich
das Leben nehmen. Ein Besuch bei einem Psychiater half. „Doch es war ja
nicht sie, die noch weiter an sich hätte arbeiten müssen, es waren die
anderen“, sagt Döndü L. Dann kamen die Probleme mit der Blase. Öffentliche
Toiletten und die Blicke, gleich welchen Geschlechts, quälten sie. Frauen
schrien sie an, sie solle das Bad verlassen.
Die Großstadt zu fremd
Glück empfand sie mit großen Autos – und mit Frauen, die sie liebte. Ihre
Freundinnen, meist schlanke, blonde, sehr feminine Frauen, waren immer
geschieden, brachten Kinder in die Beziehung. Einmal fragte sie ihre
Schwester, ob sie mit ihrem Mann nicht ein Kind austragen und ihr geben
könne. Und genau das wünschte sich Fatti – eine Familie, um die sie sich
kümmern, für die sie sorgen kann. Finanziell sicherte sie ihre Freundinnen
und deren Kinder ab. „Fattis Männerbild, an dem sie sich orientierte, war
ein türkisches, so sehr sie die Kultur auch ablehnte.“
In einer Phase ohne Partnerinnen, damals in den 90ern, bat sie Markus,
Kontaktanzeigen für sie zu schreiben: „Sie, 35, maskuliner Typ, NR, ehrlich
und treu, sucht feminine Freundin bis 35 Jahre. Treue & Ehrlichkeit sind
mir sehr wichtig. Bitte nur ernst gemeinte Antworten.“
Döndü und Markus L. begleiteten sie nach Braunschweig, brachten sie in
Kneipen, in dem sich lesbische Frauen trafen. Doch die Szene in der
Großstadt war Fatti fremd und zu weit weg. Sie wollte ihre Schwester in
Goslar nicht verlassen.
Ärzte erklärten, dass sie ihr Geschlecht ihren Empfindungen angleichen
könnte. Fatti war unsicher, entschied sich schließlich dagegen. Auch, weil
sie die letzte Verbindung zur Türkin Fatma davon abhielt, der Islam. So wie
Allah sie gemacht hat, so wollte Fatti leben und das Leben durchstehen.
## Dann begann der Schmerz
Als Fatti 40 Jahre alt wurde, wendete sich vieles für sie zum Guten. Ihre
letzte Freundin hatte den Mut, sich mit ihr in der Goslarer Innenstadt zu
zeigen und ohne Rücksicht auf die Blicke anderer zu ihr zu stehen.
Doch dann begann der Körperschmerz. Vier Jahre lang erklärten ihre Ärzte,
die Schmerzen kämen von Depressionen, weil sie mit ihrem Geschlecht nicht
klar komme. Auch die Familie dachte so.
Man verschrieb ihr Psychopharmaka, immer mehr. Fatti bekam Angstzustände,
meldete sich arbeitsunfähig, verließ kaum noch das Sofa in ihrem Haus.
Erst als Fattis Magen durchbrach, stellten die Ärzte fest, was sie vorher
nicht verstanden hatten. Fatti war krank. Magenkrebs. Acht Wochen lag sie
im Krankenhaus, alte Schulfreunde, Exfreundinnen, Chefs,
Familienmitglieder, auch die Eltern, besuchten sie am Sterbebett.
Fattis Leben endete im Juni 2016 mit einem natürlichen Tod, so wie sie die
ganzen 51 Jahre ihres Lebens natürlich war.
Döndü L. betet am Grab von Fatma Ç. Sie hält Daumen und Mittelfinger
zusammen, schließt die Augen. In Fatmas Todesanzeige stand die Sure 93,
Vers 4 des Korans: „Wahrlich das Jenseits ist besser für dich, als das
Diesseits.“ Fatti hatte diesen Vers selbst ausgesucht.
11 Jan 2017
## AUTOREN
Timo Lehmann
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Lesestück Recherche und Reportage
Reportage
Identität
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Schwerpunkt Türkei
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Dänemark
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