# taz.de -- Interview über LGBTI-Filmfestival: „Konflikte gibt es überall“ | |
> Seit sechs Jahren gibt es in der Türkei das Filmfestival Queerfest. Ein | |
> Gespräch mit Organisatorin Esra Özban über Zensur und die Filmindustrie. | |
Bild: Queerfest-Organisatorin Esra Özban in Berlin | |
Das Queerfest ist ein Filmfestival, das seit sechs Jahren vom „Pembe Hayat | |
Solidaritätsverein für LGBTT“ in der Türkei veranstaltet wird. Wir haben | |
mit Esra Özban, einer der Organisator*innen des Queerfests, über die | |
Berlinale, die Zensur in der Türkei und die politischen Kämpfe der | |
LGBTI-Szene gesprochen. | |
## taz.gazete: Kannst du für diejenigen, die das Queerfest nicht kennen, | |
ein wenig vom Filmfestival erzählen? | |
Esra Özban: Wir feiern in diesem Jahr das sechste Queerfest. Es wird seit | |
2011 vom Transverein Pembe Hayat (dt. Rosa Leben, Anm.d.Red.) veranstaltet. | |
Seit vorletztem Jahr findet das Queerfest in Ankara und Istanbul statt und | |
seit letztem Jahr auch in anderen Städten. Wir zeigen Gastfilme aus | |
unterschiedlichen Ländern, in diesem Jahr haben wir einen Film vom | |
schottischen Glitch Film Festival. Glitch ist das erste britische | |
Queer-trans-intersex-Filmfestival für people of colour. | |
Seit zwei Jahren haben wir außerdem einen Wettbewerb für Kurzfilme. Auch in | |
diesem Jahr gab es die Kategorie „Unter dem Regenbogen“. Hier zeigen wir | |
weltweit ausgezeichnete LGBTI-Filme in Überlänge und Queerdokumentationen. | |
In der Kategorie „weiches G“ zeigen wir Filme aus der Türkei. Den Auftakt | |
in dieser Kategorie machten wir mit den Filmen „Diren Ayol“ und „Gaci | |
Gibi“. | |
Darüber hinaus war es uns wichtig, eine Auswahl der Filme aus der Türkei zu | |
erstellen, die einen Überblick darüber gibt, welche Art von Filmen derzeit | |
zum Thema LGBTI existieren. So konnten wir darüber diskutieren, welche | |
Möglichkeiten LGBTIs haben, sich selbst zu repräsentieren. | |
Diese Auswahl hat uns dabei geholfen, uns Gedanken darüber zu machen, wie | |
ein Queer-Archiv auszusehen hat, wie wir unser kollektives Gedächtnis | |
schaffen, warum eine Archivierung wichtig ist. Die Regierung erfasst | |
personenbezogene Daten und natürlich gibt es Gruppen, die dabei übergangen | |
werden. LGBTIs sind nur eine davon. Nach den Ausflügen nach Istanbul und | |
Ankara werden wir im Frühjahr die Städte Denizli, Diyarbakır, Mersin und | |
Çanakkale besuchen. | |
## Wieso seid ihr auf der Berlinale und was für Erfahrungen habt ihr bisher | |
gemacht? | |
Die Berlinale ist ein wichtiger Knotenpunkt. Wir haben hier die Gelegenheit | |
mit anderen Veranstaltern zu sprechen und uns über unsere Arbeit | |
auszutauschen. Außerdem verfolgen wir intensiv die Filme der | |
Teddy-Kategorie und beginnen inspiriert von diesen, unser Programm für das | |
folgende Jahr zu planen. Teddy ist die Kategorie, in der alle LGBTI-Filme | |
zusammenkommen. Der Teddy-Preis ist einer der wichtigsten Preise für | |
LGBTI-Filme. | |
## Täglich wird die Zensur in der Türkei schärfer. Die Repressionen sind | |
nicht nur unter Politiker*innen, Journalist*innen und Akademiker*innen, | |
sondern in der gesamten Gesellschaft spürbar. Wie sieht es im Filmbetrieb | |
aus? | |
Die Regierung zensiert uns nicht direkt, aber es gibt Instrumente, derer | |
sie sich bedient. Zum Beispiel über Zoll- und andere | |
Genehmigungsbestimmungen. Über Umwege erschweren sie uns die Arbeit und der | |
Druck steigt von Tag zu Tag. Vor allem in der Soap-Industrie, in der | |
Transpersonen erst seit kurzem präsent sind, verschlechtert sich die | |
Situation. Es gibt auf dem Bildschirm keine oppositionelle Person oder | |
Gruppe, die nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. | |
Die Frauenrolle im Allgemeinen hat sich in den TV-Serien verändert. Wir | |
sehen ständig Gewalt und die Unterdrückung der Frau. Nichts, was in der | |
Türkei eigentlich erzählt gehört, kommt wirklich in die Nachrichten. Wir | |
leben in Zeiten, in denen selbst das Wort ‚Gay‘ marginalisiert wird und | |
jeder, der sich zu seiner Meinung bekennt, aus der Filmbranche verdrängt | |
wird. Dabei hatten die Proteste der LGBTI-Szene, wie zum Beispiel die | |
Gaypride vor allem nach den Gezi-Protesten einen gewissen Stellenwert in | |
der Gesellschaft erlangt. | |
Man kann sagen, dass sich die LGBTI-Szene in einem zuvor nicht vorhandenen | |
Maß politisch organisiert hat. Diese Sichtbarkeit und politische | |
Organisation gibt es trotz der Repressionen noch. Im vorletzten Jahr wurde | |
die Gaypride angegriffen, im letzten Jahr sogar verboten, doch die | |
Aktivist*innen haben sich anderweitig organisiert und alternative Aktionen | |
durchgeführt. Je mehr sich der Druck erhöht, umso kreativer werden unsere | |
Ideen für Ausweichaktionen, und das ist wohl die wichtigste Eigenschaft des | |
Queer-Aktivismus. | |
## Auf der Berlinale haben die „Cineasten für den Frieden“ eine | |
Protestaktion durchgeführt. Welche Ziele hat die Initiative? | |
Der Protest der „Cineasten für den Frieden“ hatte den Sinn, die | |
Dringlichkeit der Situation in der Türkei zu demonstrieren und erneut an | |
den Aufruf zum Frieden zu erinnern. Wir müssen fortwährend von den | |
Repressionen, der Gewalt, der Zensur und Entlassungen berichten und darauf | |
hinweisen, dass diese mit jedem Tag mehr werden. | |
Wir sind gegen Entlassungen, Zensur, Gewalt und Repressionen und wollen | |
Frieden. Dafür müssen wir gemeinsam einstehen und daher sind wir als | |
„Cineasten für den Frieden“ zum Film Market gegangen. Wir haben dort eine | |
Demonstration organisiert, bei der wir unsere Pressemitteilung verlesen, | |
mit Transparenten für unsere Sache geworben, und im Anschluss Flyer | |
verteilt haben. | |
Ich denke, es war wichtig, dass die „Cineasten für den Frieden“ sich hier | |
auf der Berlinale getroffen und sich Gehör verschafft haben. Dies ist ein | |
Ort, an dem sich die internationale Presse und Filmbranche trifft. Auch | |
wenn es in diesem Jahr nur einen einzigen Film aus der Türkei gibt, sind | |
viele Filmemacher*innen aus der Türkei zusammengekommen. In der Türkei gibt | |
es neben dem Fonds des Kultusministeriums nicht viele alternative | |
Fördermöglichkeiten. Daher ist der Austausch hier auf der Berlinale sehr | |
wichtig. | |
Auch wenn wir den Menschen hier vor Ort die Situation in der Türkei nicht | |
in Gänze erklären und nicht beweisen können, dass schwarze Listen geführt | |
werden, haben wir versucht, darauf aufmerksam zu machen. | |
Wohin fließt das Geld des Kultusministeriums, welche Filme werden | |
finanziert und produziert? Ein Teil der Gelder, mit denen in den | |
vergangenen Jahren Filmfestivals und Filme finanziert wurden, die es auf | |
die Berlinale geschafft haben, fließt heute teilweise in die Finanzierung | |
von Filmen und Filmfestivals, die ideologisch der Regierung nahestehen. Es | |
ist wichtig, dies auf nationaler und internationaler Ebene zu | |
thematisieren. | |
## Berlin gilt als „queer-friendly“. Wie nimmst du die Stadt im Vergleich | |
zu Istanbul oder Ankara wahr? | |
Ich denke nicht, dass es viel Sinn macht, die Türkei mit einer Stadt wie | |
Berlin zu vergleichen. Jeder Ort hat seine eigene Realität. Und dort leben | |
queere und LGBTI-Menschen auf ihre Weise. Vielleicht erscheint das Leben | |
der einen als einfacher, das mag rechtlich vielleicht sogar stimmen, aber | |
wir müssen unseren Kampf überall weiterführen. Natürlich wollen auch wir in | |
Ruhe unser Leben leben und wünschen uns, dass die Gewalt gegen uns aufhört, | |
dafür kämpfen wir. | |
Aber ich bin mir sicher, dass auch hier queere Menschen ihre Probleme | |
haben. Daher darf man sich nicht der Illusion hingeben, woanders sei das | |
Leben viel einfacher. Zum Beispiel weiß ich, dass geflüchtete | |
Queermenschen, oder Queers, die keine weißen Europäer*innen sind, auch ihre | |
Probleme haben. Daher ist es nicht sinnvoll zu sagen, hier sei es besser | |
als in der Türkei oder sonst irgendwo. Sinnvoller ist es zu akzeptieren, | |
dass es überall Konflikte gibt, die es jeweils unter den eigenen | |
Bedingungen zu lösen gilt. | |
17 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Ayşe Tunca | |
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