# taz.de -- Münchner Ausstellung über Freejazz: Konzentrierter Freakout | |
> Wie Freejazz aus Protest und Emanzipationsbewegung entstand: Das Haus der | |
> Kunst in München dokumentiert das Wirken des Westberliner Labels FMP. | |
Bild: Cecil Taylor und Günter „Baby“ Sommer beim Festival „Improvised Mu… | |
„Sound Hermeneutik“ ist ein Begriff, den der Musiktheoretiker und Komponist | |
Michel Chion anführt, um Klangquellen zu entschlüsseln: Wie sie entstehen, | |
wer sie vom Zaun bricht, wohin sie führen. Chion hätte wohl Freude an der | |
kraftvollen Ausstellung „Free Music Production/FMP: The Living Music“ im | |
Münchner Haus der Kunst. Sie dokumentiert das Wirken des Westberliner | |
Freejazz-Labels Free Music Production (FMP). | |
Zwischen 1968 und 2011 hat FMP mehr als 200 Alben veröffentlicht: Seinem | |
Selbstverständnis als unabhängige Plattenfirma und seiner Funktion als | |
internationaler Vernetzer und Mittler zwischen West und Ost wird mit „The | |
Living Music“ in Klang, Wort, Bildern und Filmen entsprochen. Das erscheint | |
bitter notwendig, angesichts eines Diskurses über Freejazz, der heute | |
zumeist im angloamerikanischen Raum stattfindet. Es gibt hierzulande kein | |
Äquivalent zum US-Kritiker John Corbett, der regelmäßig über die | |
KünstlerInnen von FMP schreibt und lange vergriffene Alben von FMP auf dem | |
Label Atavistic wieder zugänglich gemacht hat. So fehlt es an | |
interessiertem Nachwuchs, obwohl es durch elektronische Musik und | |
Jazz-Renaissance Anknüpfungspunkte gäbe. | |
Die Urszene von FMP war Protest: Weil der Saxofonist Peter Brötzmann sich | |
weigerte, beim Jazzfest Berlin 1968 mit seiner Combo schwarze Anzüge zu | |
tragen, wurde er ausgeladen. Also startete er zusammen mit dem Bassisten | |
Jost Gebers das Total Music Meeting als Gegenpol. Gebers, hauptberuflich | |
Sonderpädagoge, verlegte sich bald vollständig aufs Festivalorganisieren | |
und Labelmachen. | |
„European Echoes“ von Trompeter Manfred Schoof hieß das erste Album, das | |
1969 bei FMP erschien. Jene Echos waren emanzipatorische Behauptung: | |
Natürlich hatten die Musiker die Studentenproteste mitbekommen, mehr noch | |
echote in ihren Stücken aber die Befreiung von musikalischen Zwängen. In | |
den frühen Sechzigern hatte Freejazz im afroamerikanischen Jazz Gestalt | |
angenommen, etwa bei den Kollektiv-Improvisationen des AACM in Chicago. | |
Freejazz machte Schluss mit romantischem Schönklang und den harmonischen | |
Kompositionsprinzipien des Cool Jazz, das gleichmäßige Metrum im Beat wurde | |
ausgesetzt, statt melodiöser Orientierung in Refrains ging es um den | |
konzentrierten Freakout. | |
Die Europäer warfen teils ihren E-Musik-Hintergrund in diese Gemengelage: | |
FMP-Mitgründer Alexander von Schlippenbach lernte beim Komponisten Bernd | |
Alois Zimmermann, bevor er das Globe Unity Orchestra gründete. Wie von | |
Schlippenbach dachten viele Freejazz-Musiker von FMP, sie treten durch | |
freie Improvisation in „herrschaftsfreie Kommunikation“. Ihr kathartisches | |
Gehonke und Geclustere bringt auch heutige Hörer durcheinander. Die Kunst | |
des Freejazz ist die Suche nach Ordnung im Chaos, in der die Ordnung des | |
Chaos steckt – als Genitiv-Chaos. | |
## Auch die Frauen jazzen | |
Mit einem Vorurteil räumt die Ausstellung auf: Dass Freejazz eine Domäne | |
für Alphamännchen mit großen Lungenflügeln gewesen sei. Schon bald waren | |
bei FMP Musikerinnen involviert. So sind Fotos von Konzerten der Feminist | |
Improvisation Group (FIG) zu sehen, ins Leben gerufen von den britischen | |
Musikerinnen Maggie Nichols und Lindsay Cooper und international besetzt | |
mit der französischen Bassistin Joëlle Léandre sowie der Pianistin Irène | |
Schweizer. Getreu dem Ausstellungsmotto sprudelt in jeder Ecke der Sound: | |
Listening Stations sind installiert, auch unveröffentlichte FMP- und | |
FIG-Aufnahmen sind zu hören. | |
Viele der 215 Originalcover sind zu einer Wandtapete gefügt. So ist zu | |
sehen wie nahe bildende Kunst und Freejazz sich standen. Peter Brötzmann | |
arbeitete als Grafiker und war vor seiner Jazzkarriere Assistent von Nam | |
June Paik, er gestaltete seine Cover selbst. Andere Alben wurden vom | |
Fluxus-Künstler Tomas Schmit gefertigt, viele der Musikerfotos auf den | |
Alben stammen von Ute Klophaus, die für Joseph Beuys fotografierte. | |
Mittendrin eine Single von Sven-Åke Johansson, gemalt von Martin | |
Kippenberger. | |
Ausdrucksstark sind die Gemälde von A. R. Penck (zusammen mit Peter | |
Kowald): „Was ist Gravitation? Das kennen wir schon“ ist da zu lesen. Die | |
Musik stiftete ihn zu tanzenden Strichmenschen an, Pyramiden, Kreisel, | |
Wellen, numerologischen Symbolen. Nicht alles fiel so spielerisch aus, in | |
Vitrinen sind Programmhefte zu studieren, in denen Rechtfertigungen über | |
Festivalfinanzen abgedruckt sind. FMP bewegte sich stets am Rande des | |
Existenzminimums und war auf Subventionen angewiesen, etwa von der Akademie | |
der Künste Berlin. Meist verkaufte FMP um die 500 Exemplare pro Album, die | |
KünstlerInnen mussten sich mit Konzertengagements und Stipendien über | |
Wasser halten. | |
Ein Foto vom Total Music Meeting, 1969, unterstreicht das Networking: | |
Pharaoh Sanders, Roy Ayers, Sonny Sharrock und John McLaughlin stehen mit | |
Gunther Hampel und Peter Brötzmann auf der Bühne. Der Vernetzungsgedanke | |
verhalf FMP in den Siebzigern und Achtzigern sogar zu Aufmerksamkeit im | |
Feuilleton. Zugute kam dem Label dabei, dass es die DDR-Freejazz-Szene | |
unterstützte. Ein Konzert vom Sommer 1988 gilt vielen als Vorbote der | |
Maueröffnung: Der New Yorker Pianist Cecil Taylor spielte damals mit dem | |
Ostberliner Drummer Günter „Baby“ Sommer. Taylor trug von Black Power | |
inspirierte Poesie vor. Zwischendurch tanzte er neben seinem Klavier. | |
10 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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