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# taz.de -- Geschichte des Jazz: Schroffes aus der stillen DDR
> Jazz blühte im Ostdeutschland vor der Wende in den Nischen. Die Szene war
> klein, aber renommiert. Ihre Geschichte ist teils vergessen.
Bild: Ernst Ludwig Petrowsky am Saxophon und Uschi Brüning bei einem Jazzkonze…
„Je abgefahrener, desto besser“ hat auf den Leipziger Jazztagen Tradition.
Als sie im Juni 1976 im Kino Wintergarten und im Studentenklub Grafikkeller
debütierten, waren Bands und Musiker – in der Tat eine Jungsrunde – dabei,
die für den experimentellen Freejazz in der DDR standen, etwa das Quartett
Synopsis.
Saxofonist und Flötist Ernst-Ludwig Petrowsky und Pianist Ulrich Gumpert,
Klaus Koch am Bass und Günter „Baby“ Sommer an den Drums und der
Perkussion. Synopsis waren bereits 1973 beim Warschauer Jazz Jamboree
aufgetreten und hatten zwei Alben veröffentlicht, eines auf dem Ostberliner
Staatslabel Amiga, eines beim [1][Westberliner Freejazzlabel FMP].
Ihr Sound klang in ihrer Schroffheit in der stillen DDR unerhört, die Alben
klingen, als hätten die Musiker Gerhard Schulz, einen der Leipziger
Altvorderen, im Sinn gehabt. Er sagte 2018 im Deutschlandfunk: „Das war so
abstrus … das war spannend. Du musst Free Jazz wenigstens drei Stunden lang
laut hören, bis der Schmerz vorbei ist. Sonst kapierst du das nie, wenn du
über diese Schmerzgrenze nicht drüber hinausgehst.“
## Erstaunlich eingängig
Nun wurde Jazz in der DDR nicht nur von avantgardistisch geschulten
Quälgeistern gespielt, aber auffällig oft. Er lässt sich zurückverfolgen
bis auf das im November 1964 aufgenommene [2][Album „Solarius“ vom Rolf
Kühn Quintett], darauf enthalten sind Modern-Jazz-Stücke, nie unter sechs
Minuten, dabei erstaunlich eingängig und mit „Sie gleicht wohl einem
Rosenstock“ die Bearbeitung einer Volksweise. Den freien Umgang mit dem
Erbe sollten Synopsis und das aus ihnen hervorgegangene Zentralquartett
weiter ausbauen.
Der international renommierte und vernetzte DDR-Jazz spielte in Ostberlin,
in Rostock und in Schwerin, in Mittweida und in Freiberg. Dabei war das
Prestige des Jazz den Funktionären durchaus willkommen, seine
grundsätzliche Unabhängigkeit aber weniger.
Einer der Radikalen der frühen Achtziger war der Saxofonist Dietmar
Diesner. Er gehörte zu der multimedial agierenden Szene um Bands wie die
Dresdner Musikbrigade oder FINE mit der Tänzerin Fine Kwiatkowski.
## Radikales Instrumentarium
Diesner konnte 1988 auf Amiga ein Soloalbum veröffentlichen; im
Instrumentarium stehen neben Altsaxofon und Electronics ein blauer Eimer
und eine Stahltür. Ihre Musik zählt zum Radikalsten, was in der DDR
veröffentlicht wurde. Im Oktober 1988 gehörte Diesner zum Ensemble, das
[3][Heiner Goebbels Vertonung] von Heiner Müllers „Der Mann im Fahrstuhl“
während der Leipziger Jazztage im Zirkus Busch aufführte.
Ein west-östliches Gipfeltreffen, zwei Jahre, bevor Diesner mit Petrowsky
und dem Gitarristen Lothar Fiedler unter dem Titel „Kammerjägerei“ die
Reihe „Jazz in der Kammer“ am Deutschen Theater in Berlin am 10. November
1990 mit verabschiedete.
28 Sep 2021
## LINKS
[1] /Muenchner-Ausstellung-ueber-Freejazz/!5389156
[2] https://www.youtube.com/watch?v=hxYejExNdbU
[3] /Zur-Emeritierung-von-Heiner-Goebbels/!5513240
## AUTOREN
Robert Mießner
## TAGS
Jazz
DDR
Geschichte
Free Jazz
Theater
deutsche Literatur
Schwerin
Jazz
Experiment
Free Jazz
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