# taz.de -- US-Jazzer Jeff Parker auf Tour: Karambolage der Stile | |
> Im Jazz geerdet, im HipHop gereift: US-Gitarrist Jeff Parker, bekannt für | |
> seine Tätigkeit bei Tortoise, ist mit seinem neuen Album „The New Breed“ | |
> auf Tour. | |
Bild: Erneuerer der Great Black Music: Jeff Parker | |
„Klarer Sound überwindet Genregrenzen“, erklärt der US-Jazzgitarrist Jeff | |
Parker zu seiner Klangsignatur: einem crispen und melodischen Gitarrenton | |
als Marker für prägnante Songs. Aus seinem aktuellen Album „The New Breed“ | |
dringen unterschiedliche Leidenschaften: Zum einen, stoische HipHop-Beats, | |
wie sie auch die Produktionen eines J Dilla auszeichnen. Zum anderen | |
Samples als gecuttete Hooklines – auch das ein Merkmal von HipHop; und zum | |
Dritten der Sessioncharakter des elektrifizierten Jazz der Siebziger. | |
So interpretiert Parker mit „Visions“ einen Standard des Vibrafonisten | |
Bobby Hutcherson aus jener Zeit. Parker spricht von sich als „Kind des | |
Goldenen HipHop-Zeitalters“ der Neunziger. Ideen für das Songmaterial auf | |
„New Breed“ basieren auf Fragmenten aus jener Zeit. „Damals habe ich mich | |
intensiv mit dem Sampler als Instrument beschäftigt, inspiriert von J Dilla | |
und anderen HipHop-Produzenten. Diesen Ansatz habe ich nun mit Techniken | |
der Improvisation und Nachbearbeitung der Studioaufnahmen kombiniert.“ | |
Die Basictracks hat Jeff Parker mit samplebasierten Fragmenten am Computer | |
entwickelt. Diese Skizzen wiederum wurden zusammen mit seinen drei Sidemen, | |
dem Saxofonisten Josh Johnson, dem Drummer Jamire Williams und dem | |
Bassisten Paul Bryan, für „The New Breed“ mit analogen Instrumenten | |
nachgebaut und dann als First-Take-Versionen eingespielt. | |
## Der Flow ist mellow | |
Das Album hat eine Atmosphäre, wie sie mit dem Adjektiv mellow im | |
Englischen perfekt umschrieben ist: Bei einem aufreizend langsamen Tempo, | |
das die Schwere der Grooves betont, aber die Beseeltheit der Melodien | |
niemals an ihrer Entfaltung hindert, entsteht ein „Alles kann, nichts | |
muss“-Flow. „Schnelle Musik hat mich nie gereizt, von meinem Temperament | |
her bin ich einfach auch langsam, und ganz allgemein halte ich meine | |
Arrangements sehr luftig, denn der Raum zwischen den Noten definiert die | |
Stille.“ | |
Jazz kehrt als fernes Echo wieder: Da wäre die serpentinenartige Hookline | |
von „Executive Life“, die fast unheimlich aus dem Song verschwindet und | |
dann wieder zurückschleicht und umso majestätischer klingt. „Es war nicht | |
meine Absicht, dass darin Bebop-Elemente auftauchen, aber mich erinnert | |
diese Melodie an 'Ah-Leu-Cha’ von Charlie Parker, eine Art Bop-Fuge. East | |
Coast Jazz der Vierziger und Fünfziger spielte eine Rolle in meiner | |
Entwicklung als Musiker. Ganz ähnlich wie bei meinem Songwriting entstand | |
Bebop meist ‚bottom up‘, alles basiert auf der Bassline und entwickelt sich | |
von da weiter.“ | |
Jeff Parker sieht sich selbst als Teil der Great Black Music. | |
Jazztraditionen und das Erbe der afroamerikanischen Kultur benutzt er wie | |
einen Werkzeugkasten. Mit der Karambolage alter Traditionen in der Sphäre | |
des Digitalen erneuert und verändert Parker diese Musik. „Schon als | |
Heranwachsender wollte ich Jazzmusiker werden und habe Künstler wie Lee | |
Morgan, Horace Silver und Billie Holiday bewundert. Ich glaube, dass sich | |
Jazz als Kunstform durch die Erfahrungen der Schwarzen in den USA | |
entwickelt hat. Jazz hat schon als Kind meine Neugier erregt, der Sound hat | |
mich immer wieder vor neue Rätsel gestellt, es gibt einfach auch hohe | |
Anforderungen für Musiker. Jazz hat soziale Eigenschaften, er interessiert | |
sich für neue politische und gesellschaftliche Trends. Was den Jazz als | |
Musik definiert, wüsste ich nicht zu sagen, aber ich weiß, dass ich in | |
einer Ahnenreihe von Künstlern stehe, die durch ihre Verwurzelung in der | |
Gemeinschaft die Jazztraditionen und Spielweisen vorantreiben. Ich bin | |
stolz dazuzugehören, es macht mich demütig und lässt mich geerdet sein.“ | |
Bekannt ist Parker für sein Mitwirken beim Postrock-Bandkollektiv Tortoise. | |
Weniger bekannt ist, dass der 49-Jährige zuvor bereits in der Jazzszene | |
aktiv war. So spielte er regelmäßig mit dem Trompeter Rob Mazurek und | |
verbesserte seine Skills bei der Initiative AACM (Association for the | |
Advancement of Creative Musicians), einer der Keimzellen des | |
afroamerikanischen Freejazz in Chicago. | |
„Ich habe 1993 erstmals mit Musikern der AACM gespielt, wurde dann | |
Gitarrist von Ernest Dawkins’ New Horizons Ensemble und nahm 1995 die | |
Mitgliedschaft in der AACM an. | |
Die Ursprünge der AACM liegen in der Zeit der Bürgerrechtsbewegung und es | |
ist ein Ergebnis der Black Liberation. Dadurch kam ich in Berührung mit der | |
freien Jazzszene in Chicago. Ich wurde von meinen Mentoren ermutigt, meinen | |
Weg zu gehen.“ | |
## Ein Maurer als Mentor | |
Parkers wichtigster Mentor war der Maurer und Saxofonist Fred Anderson | |
(1929 bis 2010), von dem er viele außermusikalische Werte vermittelt | |
bekommen hat. „Fred hat nach der DIY-Maxime gelebt, unabhängig sein und | |
selbstständig bleiben. Musikmachen war für ihn innere Notwendigkeit. Was | |
ich von ihm gelernt habe, war essenziell für meine künstlerische Laufbahn.“ | |
„The New Breed“, so hieß eine Afrocentric Boutique, die Parkers Vater Ernie | |
in den siebziger Jahren für eine Weile in ihrer Heimatstadt Bridgeport, | |
Connecticut, betrieb. Ihm zu Ehren hat Jeff Parker das Album auch „The New | |
Breed“ genannt. Eine verblichene Fotografie des Ladens und seines Besitzers | |
ziert das Cover. Solche Orte waren in der afroamerikanischen Kultur stets | |
auch Treffpunkt und Umschlagplatz von kulturellem Wissen. „Mein Vater hat | |
mich in meiner Musikleidenschaft bestärkt, er war selbst | |
Schallplattensammler und hat mir Jazz nahegebracht. Während der Aufnahmen | |
für das neue Album ist er nach langer Krankheit gestorben.“ | |
30 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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Tony Conrad | |
Musik | |
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