# taz.de -- Gericht entscheidet über Elbvertiefung: Tiefer, immer tiefer. Waru… | |
> Entscheidung in letzter Instanz: Wirtschaft und Politik halten die | |
> Vertiefung für alternativlos, Umweltverbände dagegen für katastrophal. | |
Bild: Fahrt ins Ungewisse: Containerschiff auf der Elbe | |
## Was ist die Elbvertiefung? | |
Die Unterelbe soll zwischen der Nordsee und dem Hamburger Hafen auf rund | |
120 Kilometer Länge vertieft und verbreitert werden. Dafür müssen etwa 40 | |
Millionen Kubikmeter Schlick mit Saugbaggern aus dem Flussbett geholt und | |
zum größten Teil in der Nordsee verklappt werden. Das entspricht rund 2,5 | |
Millionen Lkw-Ladungen. | |
Ziel ist, dass die Riesencontainerfrachter der neuesten Generation – 400 | |
Meter lang, mehr als 60 Meter breit – mit einem Tiefgang von 13,5 Metern | |
den Hafen jederzeit anlaufen können, bei Hochwasser auch mit 14,5 Meter | |
Tiefgang. Dafür muss die Fahrrinne auf etwa 19 Meter unter Normalnull (NN) | |
ausgebaggert werden – etwas Sicherheitsabstand nach unten muss sein, damit | |
die Schiffe bei Wellengang nicht aufsetzen. | |
## Ist es die erste Elbvertiefung? | |
Nein, die neunte seit Erfindung des Dampfschiffs. Um 1800 war die Unterelbe | |
nur rund 3 Meter tief, 1818 erfolgte die erste Vertiefung auf 5,4 Meter | |
unter NN. Die achte „Fahrrinnenanpassung“, wie das Projekt offiziell heißt, | |
auf 16,8 Meter unter NN erfolgte 1999. | |
## Wie viel kostet das Projekt? | |
Alles in allem etwa so viel wie die 789 Millionen Euro teure | |
Elbphilharmonie: Die Baukosten von gut 600 Millionen Euro trägt zu zwei | |
Dritteln der Bund, zu einem Drittel Hamburg. Weitere rund 160 Millionen | |
Euro für zusätzliche Maßnahmen des Naturschutzes und der Deichsicherung | |
muss Hamburg aufbringen. | |
## Wer ist für die Elbvertiefung? | |
Die üblichen Verdächtigen: die norddeutsche Hafenwirtschaft, sämtliche | |
Reedereien, die Industrie- und Handelskammern, Arbeitgeber und | |
Gewerkschaften, die Landesregierungen von Hamburg, Schleswig-Holstein und | |
Niedersachsen, wenngleich die in allen drei Ländern mit der SPD regierenden | |
Grünen leichte Magenschmerzen haben. Und die Bundesregierung will die | |
Vertiefung der Zufahrt zum größten Hafen Deutschlands und drittgrößten | |
Europas ebenfalls. | |
## Mit welchen Argumenten? | |
Es geht um eine „Schicksalsfrage“, so sehen Bund, Stadt und Wirtschaft es. | |
Ohne die Ausbaggerung könne der Hafen von den Containergiganten nur mit | |
verminderter Ladung (und deshalb weniger Tiefgang) angelaufen werden: Es | |
drohten Konsequenzen für Arbeitsplätze, Steuereinnahmen und | |
Wirtschaftswachstum in der Region, in der etwa 150.000 Jobs vom Hafen | |
abhängig sind. | |
Seit Beginn der Weltschifffahrtskrise 2009 in Folge des US-Bankencrashs | |
stagniert der Umschlag in Hamburg auf niedrigem Niveau. Damals wurden im | |
Jahr fast 10 Millionen Standardcontainer (TEU = Twenty-foot Equivalent | |
Unit) umgeschlagen. Nach einem Absacken auf gut 7 Millionen TEU stieg der | |
Umschlag im vorigen Jahr wieder auf etwa 9 Millionen Container an. Die | |
exakten Zahlen werden erst am 15. Februar veröffentlicht. | |
## Wer ist gegen die Elbvertiefung? | |
Die üblichen Verdächtigen: Die Umweltverbände Bund für Umwelt und | |
Naturschutz Deutschland (BUND), der Naturschutzbund (Nabu) und die | |
Umweltstiftung WWF. Über ihre Klage muss das Bundesverwaltungsgericht in | |
Leipzig entscheiden. | |
## Mit welchen Argumenten? | |
Die Naturschützer befürchten schwerwiegende ökologische Schädigungen von | |
Flora und Fauna an der Unterelbe. Sie ist als ökologisch hochsensibles und | |
besonders artenreiches Gebiet nach mehreren europäischen und deutschen | |
Naturschutzrichtlinien geschützt. Das von der Tide – also Ebbe und Flut – | |
dominierte Gewässer ist Heimat diverser seltener oder vom Aussterben | |
bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Zum Symbol wurde der | |
Schierlings-Wasserfenchel – eine unscheinbare, weltweit aber nur an der | |
Tideelbe existierende Pflanze. Die Hamburger Umweltverbände nennen sie | |
„unseren Pandabären“. | |
Nach einer Vertiefung drohe zudem bei Flut die Nordsee höher und schneller | |
in das Flusssystem einzudringen – die Folgen wären möglicherweise | |
Überflutungen der sensiblen Flachwasserzonen, eine Gefährdung der Deiche | |
und der tiefer gelegenen Ufer in Hamburg selbst. Zudem würde, das ist | |
unstrittig, das salzhaltige Wasser der Nordsee weiter in Richtung Hamburg | |
vordringen. | |
Die Obstbauern im größten Obstanbaugebiet Nordeuropas, im Alten Land am | |
Südufer des Flusses, haben deshalb die Versalzung ihres Grundwassers mit | |
Schäden für die Plantagen befürchtet. Hamburg will deshalb Millionenbeträge | |
für Entsalzungsanlagen ausgeben. | |
Zudem behaupten die Umweltverbände, dass die Ausbaggerung unnötig ist. Sie | |
setzen auf eine Kooperation der Nordseehäfen Hamburg und Bremerhaven mit | |
dem neuen Tiefwasserhafen in Wiltaz helmshaven. Dort sollten die | |
Riesenpötte einen Teil ihrer Container abladen und nur mit halber Fracht | |
und deshalb weniger Tiefgang weiterfahren. Das aber lehnt die | |
Hafenwirtschaft als unwirtschaftlich ab. | |
## Wie lief das Verfahren bislang? | |
Die erste Planung für die neunte Elbvertiefung begann 2006. Nach massiven | |
Einwendungen von Betroffenen wurde das Verfahren 2007 gestoppt, die | |
Planungen begannen von vorn. Im April 2012 erfolgte schließlich die | |
Planfeststellung, im Oktober 2012 erließ das Bundesverwaltungsgericht auf | |
Klagen des BUND und des Nabu einen vorläufigen Baustopp. | |
In der nachfolgenden Verhandlung rügte das Gericht eine Reihe von | |
Rechtsfehlern in den Planfeststellungsbeschlüssen, erklärte aber, dass | |
diese durch Nachbesserungen „geheilt“ werden könnten. Zudem aber bat es den | |
Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Beantwortung mehrerer Fragen zur | |
verbindlichen Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) der EU. | |
## Was ist die WRRL? | |
Sie ist die Grundlage allen Gewässerschutzes in der EU. Nach mehreren | |
Kategorien definiert sie den ökologischen Zustand von Flüssen, Seen, | |
Kanälen und auch Sumpf- und Feuchtgebieten. Der EuGH befand am 1. Juli | |
2015, dass auch eine ökologische Verschlechterung in einem Teilbereich eine | |
Verschlechterung des Gewässerzustandes insgesamt bedeute – und deshalb zu | |
untersagen ist. | |
Es habe in allen Gewässern der EU ein „Verbesserungsgebot“ zu gelten: | |
Menschliche Eingriffe – ob Freibad, Keksfabrik oder Atomkraftwerk – seien | |
zu untersagen, wenn dadurch der ökologische Zustand des Gewässers nicht | |
verbessert würde, eine Verschlechterung komme gar nicht in Frage. | |
Ausnahmen seien gleichwohl möglich, so das juristische Hintertürchen des | |
höchsten europäischen Gerichts: Wenn ein Bauvorhaben besonders großen | |
Nutzen habe „für die menschliche Gesundheit, die Erhaltung der Sicherheit | |
der Menschen oder die nachhaltige Entwicklung“, könne es trotzdem erlaubt | |
werden. Ebendas behaupten der Bund, der Hamburger Senat und die | |
Hafenwirtschaft. Sie hoffen deshalb zumindest auf eine Ausnahmegenehmigung. | |
## Was ist mit der Weservertiefung? | |
Parallel ist außerdem über die geplante Vertiefung der Weser zu | |
entscheiden. Diese soll gewährleisten, dass Deutschlands zweitgrößter Hafen | |
Bremerhaven jederzeit – wie Hamburg auch – von Frachtern mit einem Tiefgang | |
von 13,5 Metern angelaufen werden kann. Zwei weitere Etappen dienen der | |
besseren Erreichbarkeit des niedersächsischen Hafens Brake und des Bremer | |
Hafens, die beide auch weiter im Binnenland liegen. | |
Im September 2016 erklärte das Bundesverwaltungsgericht auf Grundlage des | |
EuGH-Urteils zur Wasserrahmenrichtlinie diese Planungen teilweise für | |
rechtswidrig. Sie sollen nun modifiziert werden. 2018 wollen Bremen und der | |
Bund einen neuen Versuch vor Gericht starten, die Erlaubnis zumindest für | |
eine Vertiefung der Außenweser bis Bremerhaven zu erreichen. | |
## Wie wird das Gericht am Donnerstag entscheiden? | |
Das ist offen. Mit den Baustopps an Elbe und Weser hatte das Gericht | |
unmissverständlich klargestellt, dass Politik und Wirtschaft nicht so ohne | |
Weiteres von einem Selbstgänger ausgehen dürfen. Mit der Anrufung des EuGH | |
hat das Leipziger Gericht die Verfahren zu Präzedenzfällen von europaweiter | |
Bedeutung hochgestuft. An den Urteilen zur Elbe und später zur Weser würden | |
sich in vergleichbaren Fällen auch höchste Gerichte in allen anderen | |
EU-Staaten orientieren. | |
Dennoch sei eine Prognose gewagt: Die Elbvertiefung wird im Grundsatz | |
gestattet werden, aber mit zusätzlichen ökologischen Auflagen versehen. | |
Daran würde das Projekt nicht scheitern, hat der Hamburger Senat bereits | |
signalisiert – selbst wenn es teurer würde als die Elbphilharmonie. | |
8 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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