| # taz.de -- Die VVN wird 70 Jahre alt: „Der Faschismus starb nicht aus“ | |
| > Als kommunistisch verschrieen, zeitweise verboten, derzeit kämpfend gegen | |
| > die AfD: Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes wird am heutigen | |
| > 3. Februar 70 Jahre alt. | |
| Bild: Gebrandmarkt: lila Winkel für im KZ internierte Zeugen Jehovas, die aus … | |
| taz: Frau Kerth, ist die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) | |
| humanitär oder eher politisch orientiert? | |
| Cornelia Kerth: Durchaus politisch. Die erste Hamburger Organisation hieß | |
| bis 1947 „Komitee ehemaliger politischer Gefangener“. Die Politischen waren | |
| der aktive und bewusste Teil der Verfolgten. Sie setzten sich gleich nach | |
| der Befreiung zum Ziel, die Verbrechen zu dokumentieren, für die Bestrafung | |
| der Täter und die Entschädigung der Opfer zu sorgen. | |
| Half die VVN Überlebenden auch ganz konkret? | |
| Ja, sie war zuständig für die Ausstellung der „Verfolgtenausweise“, | |
| aufgrund derer Menschen bei Wohnungszuweisung und Essensrationen bevorzugt | |
| wurden. Das war die soziale Komponente. Sie richtete sich an alle | |
| Verfolgten. | |
| 1950 traten viele Nicht-Kommunisten aus und gründeten den Bund der | |
| Verfolgten des Nazi-Regimes (BVN). | |
| Das lag am Kalten Krieg. Bei ihrer Gründung 1947 war die VVN eine | |
| parteiübergreifende Organisation. Da waren Mitglieder von KPD, SPD, auch | |
| von CDU und FDP sowie Kirchenleute. Zwischen 1947 und 1949 und nachdem erst | |
| die Bundesrepublik und dann die DDR gegründet worden war, begannen große | |
| Debatten über die Zukunft. | |
| Inwiefern? | |
| Ursprünglich wünschten sich alle ein entmilitarisiertes einiges | |
| Deutschland. Mit Gründung der Bundesrepublik schwenkten CDU und SPD auf die | |
| Gründung eines separaten westdeutschen Staates mit | |
| Alleinvertretungsanspruch ein. Die SPD spaltete sich in einen ostdeutschen | |
| Flügel um Otto Grotewohl, der später die SED mitgründete. Die West-SPD | |
| unter Kurt Schumacher war antikommunistisch und fasste 1949 einen | |
| Unvereinbarkeitsbeschluss: Wer in der VVN blieb, wurde aus der SPD | |
| ausgeschlossen. Bald taten CDU und FDP es ihr nach. | |
| In der Tat waren Ende der 1940er-Jahre viele Schlüsselpositionen der VVN | |
| mit Kommunisten besetzt. | |
| Man hat immer großen Wert darauf gelegt, die Gremien paritätisch zu | |
| besetzen. Aber in dem Maß, in dem sich die anderen zurückzogen, hat sich | |
| das natürlich verschoben. | |
| Heißt das, anfangs waren genauso viele CDUler wie Kommunisten in der VVN? | |
| Natürlich nicht. Wie viele CDU-Leute waren im Widerstand, wie viele | |
| Kommunisten? Wie viele FDPler, wie viele Sozialdemokraten? In den ersten KZ | |
| von 1933 waren doch fast nur Kommunisten und Sozialdemokraten inhaftiert. | |
| Und warum war die VVN von 1951 bis 1967 in Hamburg, Rheinland-Pfalz, dem | |
| Saarland verboten? | |
| Das geschah während der Auseinandersetzungen um die Remilitarisierung | |
| Anfang der 1950er-Jahre. Eine Initiative organisierte eine Volksbefragung, | |
| die verboten wurde. Die VVN hat sie weitergeführt und wurde daraufhin in | |
| Hamburg polizeilich verboten. | |
| Seit 1971 trägt die VVN auch die Antifaschisten im Namen. Seit 1979 heißt | |
| sie „VVN – Bund der Antifaschisten“. Was brachte diese Erweiterung? | |
| Erstens passte sie programmatisch, denn die VVN war ja eine | |
| antifaschistische Organisation: Die Verfolgten des NS-Regimes sind in | |
| gewisser Weise „geborene“ Antifaschisten, die Zeugnis ablegen können vom | |
| Nazi-Terror. Und als 1968/69 die NPD in mehrere Landesparlamente einzog, | |
| begannen sich Schüler- und Studentenbewegungen für den historischen | |
| Faschismus und die VVN zu interessieren. Die VVN-Leute wiederum erkannten, | |
| dass der Faschismus mit den Nazi-Tätern nicht ausstarb und dass man | |
| künftige Generationen einbeziehen musste. | |
| Warum brauchte man dafür die Umbenennung? | |
| Damit Jüngere, nicht Verfolgte überhaupt eintreten konnten. Vor 1971 | |
| konnten nur Verfolgte Mitglied der VVN werden. | |
| Sie sagten, jeder Verfolgte sei qua Schicksal Antifaschist. Haben | |
| Widerstandskämpfer und passive Opfer wirklich etwas gemeinsam? | |
| Ja. Im KZ waren alle Häftlinge. Sicher gibt es auch Unterschiede. Wenn ich | |
| Widerstand leiste, weiß ich, worauf ich mich einlasse. Wenn ich – wie die | |
| jüdischen Hamburger oder die Sinti und Roma – Opfer werde, ist die | |
| Verfolgung gewissermaßen über mich gekommen. Folglich ist der Umgang damit | |
| verschieden. Für jemanden, der im Widerstand war, ist es | |
| selbstverständlich, hinterher Gerechtigkeit einzufordern und das zu seinem | |
| Lebensinhalt zu machen. Bei anderen Opfern ist die Bandbreite der | |
| Reaktionen größer. | |
| Trotzdem ergibt sich ein ideologisches Problem. Die VVN ist | |
| kommunistisch/arbeiterbewegt … | |
| Eben nicht. Sie war es nach 1945, aber nicht aus bewusster Entscheidung, | |
| sondern situationsbedingt. Und die VVN hatte immer den Anspruch, für jeden | |
| anderen offen zu sein. | |
| Solidarisiert sich der VVNler wirklich mit dem konservativen jüdischen | |
| Bankier, den die Nazis töteten? | |
| Zwischen den Ermordeten gibt es keinen Unterschied. Nach 1945 gab es den | |
| jüdischen Bankier in Deutschland nicht mehr. Im übrigen gab es auch viele | |
| jüdische Arbeiter. In der VVN habe ich etliche jüdische Kommunisten | |
| kennengelernt. | |
| Aber wie stark solidarisiert sich die VVN mit reaktionär gesonnenen Opfern? | |
| Ich würde behaupten, Überlebende des faschistischen Terrors haben es | |
| schwer, reaktionär zu sein. | |
| Wie verhält sich die VVN zu den adligen Hitler-Attentätern um Graf von | |
| Stauffenberg? | |
| Erstens: Widerstand ist Widerstand. Zweitens: Sie waren die ersten, deren | |
| Widerstand offiziell regelmäßig gewürdigt wurde und wird. | |
| Wie steht die atheistische VVN zum christlichen Widerstand Dietrich | |
| Bonhoeffers oder der vier Lübecker „Märtyrer“? | |
| Solidarisch. An der Außenmauer des Hamburger Untersuchungsgefängnisses | |
| hängt eine Tafel für die vier Lübecker Geistlichen, die Anfang der | |
| 1990er-Jahre unter anderem auf Initiative der VVN angebracht wurde. Im | |
| übrigen waren und sind auch Christen Mitglieder der VVN. | |
| Heute wird die VVN 70 Jahre alt. Fast alle Zeitzeugen sind tot. Sollte man | |
| die VVN nicht auflösen und in „Bund der Antifaschisten“ umbenennen? | |
| Nein. Die VVN ist unsere Herkunft als Organisation insofern, als die | |
| meisten durch die Zeitzeugengespräche geprägt sind, die es bis Anfang der | |
| 2000er-Jahre gab. Sie haben uns auch mitgegeben, dass Antifaschismus keine | |
| Angelegenheit von Kommunisten oder Sozialisten, dass er nicht Klassenkampf | |
| ist. Sondern dass er in die Mitte der Gesellschaft gehört. Und dass wir | |
| offen sein müssen für alle, die etwas gegen die neuen Faschisten tun | |
| wollen. Unsere Aktivitäten reichen von der Beteiligung an der Kampagne | |
| „Aufstehen gegen Rassismus“ gegen den Aufstieg der AfD bis zur Hamburger | |
| Filmreihe „Täter – Opfer – Widerstand.“ | |
| Manche behaupten, die VVN sei eine kommunistische Tarn-Organisation. | |
| Der Verfassungsschutz sagt, wir seien eine linksradikal beeinflusste | |
| Organisation. Ich finde diesen Vorwurf boshaft und absurd. | |
| 3 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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