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# taz.de -- Kurdische Journalistin freigelassen: Eine der letzten Reporterinnen
> Kaum jemand berichtet noch unabhängig aus der Südost-Türkei. Nach ihrer
> Festnahme wurde die Journalistin Hatice Kamer nun wieder freigelassen.
Bild: Festgenommen und wieder freigelassen: Hatice Kamer
ISTANBUL taz | Sie war auf dem Weg nach Șirvan, einem Dorf in der Provinz
Siirt, unweit der türkisch-irakischen Grenze. Wenige Tage zuvor waren dort
bei einem Unglück in einer Kupfermine fünf Kumpel getötet und zwölf
zeitweilig eingeschlossen gewesen. Am letzten Samstag wurde Emine Erdogan,
die Frau des Staatspräsidenten zum Kondolenzbesuch in Șirvan erwartet.
Hatice Kamer, eine kurdische Journalistin, die überwiegend für den
türkischen Dienst der BBC und gelegentlich [1][für den WDR] berichtet,
wollte sich den Besuch der Staatspräsidentengattin anschauen. Sie kam nie
an. An einer Straßensperre etliche Kilometer vor dem Dorf wurde sie
angehalten. Ihre Personalien wurden überprüft. Man brachte sie ins
Hauptquartier der Anti-Terror Polizei in Siirt. Dort hielt man sie fest.
Nach Angaben des türkischen Dienstes der BBC ist Kamer in der Zwischenzeit
freigekommen. Sie wird derzeit ärztlich untersucht, damit festgestellt
werden kann, ob es bei ihrer Festnahme zu Misshandlungen durch die Polizei
gekommen ist.
Über die Gründe für ihre Festnahme gibt es keine offiziellen Angaben. Doch
die liegen auf der Hand. Hatice Kamer, 39 Jahre alt, ist eine der letzten
kurdischen Journalisten, die noch aus dem Südosten des Landes aktuell
berichten. Seit alle Zeitungen in der Türkei, in denen sie früher ihre
Artikel veröffentlichte, vom Staat geschlossen wurden, arbeitet sie für die
BBC, den WDR und andere ausländische Sender.
## Sie ist ein Tabu
Dem Staat ist sie schon länger ein Dorn im Auge, denn sie redet und
schreibt ungeschminkt über die Gewalt und Repression in der Region und geht
dahin, wo der Staat kritische Berichterstattung nicht wünscht – seien es
die bis vor wenigen Monaten umkämpften Städte wie Nusaybin oder Cizre, sei
es die Vernichtung der Altstadt von Diyarbakır oder jetzt das Grubenunglück
in Șirvan: Kamer war immer vor Ort.
Für den WDR veröffentlichte sie unlängst [2][eine Reportage] über das
Schicksal einer Familie, deren Sohn in Sur, der Altstadt von Diyarbakır
ermordet worden war. Die Mutter weiß bis heute nicht, wo und wie er getötet
wurde. Sie konnte den Leichnam erst begraben, als nach Monaten die Kämpfe
mit der weitgehenden Zerstörung von Sur beendet waren.
Die Arbeit von Hatice Kamer ist so wichtig, weil sich nur noch wenige
Journalisten trauen, direkt aus den Kurdengebieten zu berichten. Die großen
türkischen Zeitungen schreiben kaum noch über die kurdische Region. „Für
die türkischen Medien sind die Schicksale der Muslime in Myanmar oder auf
den Philippinen wichtiger als die Unterdrückung der Kurden“, schrieb Kamer
in ihrer WDR-Reportage.
Für ausländische Korrespondenten ist die kurdische Region mittlerweile
weitgehend tabu. Es gibt kein offizielles Verbot, die Region zu besuchen,
aber wer es versucht, landet meist schnell auf einer Polizeistation. Für
Fernsehjournalisten ist es mittlerweile unmöglich dort zu filmen. Aber auch
weniger auffällige, schreibende Journalisten, werden von den
Sicherheitskräften zumeist schnell identifiziert und anschließend unter
Druck gesetzt. Erst kürzlich wurde der französische Journalist Olivier
Bertrand in Gaziantep festgenommen und nach drei Tagen Polizeihaft nach
Frankreich abgeschoben.
## Vielleicht hat es geholfen
Hatice Kamer dagegen ist eine Journalistin von vor Ort. Sie wurde in der
Provinz Diyarbakır geboren, hat als Kind die schlimmen Jahre nach dem
Militärputsch 1980 und dem anschließenden jahrelangen Ausnahmezustand in
der kurdischen Region miterlebt. Sie kennt die Leute und die
Arbeitsbedingungen, zuletzt war sie Vorsitzende des Journalistenverbandes
von Diyarbakır.
Nach ihrer Festnahme am Samstag hatte sie keinen Kontakt zur Außenwelt.
Auch ihr Anwalt durfte sie nicht besuchen, wegen des Ausnahmezustandes
durfte die Polizei fünf Tage lang jeden Kontakt verweigern. Auch ihre
Schwester bestätigte dem WDR, dass sie Kamer nicht besuchen durfte.
Die BBC, der WDR, verschiedene Journalistenverbände und Reporter ohne
Grenzen hatten ihre sofortige Freilassung gefordert. Vielleicht hat es
geholfen.
27 Nov 2016
## LINKS
[1] http://www1.wdr.de/radio/wdr3/tuerkei-unzensiert/hatice-kamer-114.html
[2] http://www1.wdr.de/radio/wdr3/tuerkei-unzensiert/hatice-kamer-114.html
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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WDR
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Schwerpunkt Türkei
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