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# taz.de -- PKK-Prozess in Berlin: In den Kellern von Cizre
> Der HDP-Abgeordnete Faysal Sarıyıldız erhob in Berlin-Moabit schwere
> Vorwürfe gegen die türkische Regierung. Er ist Zeuge in einem
> PKK-Prozess.
Bild: Menschen aus Cizre vor ihrem zerstörten Haus, nachdem es in dem Distrikt…
Berlin taz | Dienstagmorgen im Kammergericht Berlin-Moabit. Faysal
Sarıyıldız betritt Raum 701 im schwarzen Anzug. Der Richter fragt seine
persönlichen Daten ab. Auf die Frage nach seinem Beruf antwortet er:
„Abgeordneter des türkischen Parlaments.“ – „Aber sie wohnen derzeit in
Köln?“ – „Seit acht Monaten, ja.“ – „Weshalb?“ – „Weil in de…
Haftbefehl gegen mich vorliegt und ich nicht mit einem fairen Prozess
rechnen kann.“
Sarıyıldız, der im Exil seine Tätigkeit als Abgeordneter der prokurdischen
Partei HDP de facto nicht mehr ausüben kann, stammt aus Cizre, einer
120.000-Einwohner-Stadt in der südosttürkischen Provinz Şırnak. Sarıyıld�…
werden in der Türkei unter anderem Mitgliedschaft in einer
Terrororganisation und Waffenschmuggel vorgeworfen. Er verließ das Land
bereits vor dem Putschversuch im vergangenen Juli, und bevor die beiden
Kovorsitzenden sowie unzählige weitere Mitglieder der HDP festgenommen
wurden.
Doch das ist nicht der Grund, weshalb Sarıyıldız vor dem Berliner Gericht
erscheint. Er sagt als Zeuge im Prozess gegen Ali D. aus, dem von der
Staatsanwaltschaft die Mitgliedschaft in der bewaffneten kurdische
Arbeiterpartei PKK vorgeworfen wird. Sarıyıldız, der sich entschieden hat,
auf kurdisch auszusagen, erklärt, er kenne D. nicht und sehe ihn zum ersten
Mal. Die Verteidigung lud ihn ein, um seine Beobachtungen von
Menschenrechtsverletzungen seitens der türkischen Sicherheitskräfte in den
kurdischen Gebieten zu schildern. Damit die Zusammenhänge des bewaffneten
Widerstands klarer werden.
Es sind schwere Vorwürfe, die Sarıyıldız am Dienstag gegen die türkische
Regierung erhebt. Er hielt sich während der vom Staat verhängten
Ausgangssperren im September 2015 und von Dezember 2015 bis März 2016 in
Cizre auf. Während der ersten Ausgangssperre seien 24 Menschen getötet
worden, die von offizieller Seite als Terroristen eingestuft wurden.
Sarıyıldız aber habe eine Liste mit den Namen aller Verstorbenen geführt,
die belege, dass es sich mehrheitlich um Zivilisten gehandelt habe. Es
befänden sich ein zwölfjähriges Mädchen und ein fünf Monate altes Baby
unter ihnen. Krankenwagen seien nicht durchgelassen, verletzte Zivilisten,
die sich trotz Ausgangssperre auf den Weg ins Krankenhaus machten, seien
von Sicherheitskräften ohne Vorwarnung erschossen worden.
Während der zweiten dreimonatigen Ausgangssperre sollen in den Kellern drei
verschiedener Gebäude verletzte Zivilisten von Sicherheitskräften mit
Benzin übergossen und in Brand gesteckt worden sein. Über den Fall hatten
nur wenige berichtet, darunter die bis vor Kurzem inhaftierte Autorin Aslı
Erdoğan. Sarıyıldız selbst habe die Tat nicht gesehen, jedoch währenddessen
mit einer Augenzeugin telefoniert. Als er Rauchwolken aus dem Fenster
gesehen habe, rief er beim TV-Sender IMC TV an, der die Zeugin Derya Koç
live zuschaltete. Koçs Leiche wurde eine Woche später ihrer Familie
übergeben, der TV-Sender IMC von der Regierung verboten.
Der Richter befragt ihn auch zu den Streitkräften. Sarıyıldız erzählt, dass
die Spezialeinheiten der Polizei ihre Operationen mit „Allahu Akhbar“-Rufen
starteten, auf Häuserfassaden fundamentalistische Parolen hinterließen und
von vielen Augenzeugen als IS-Sympathisanten oder gar -Anhänger eingestuft
wurden. Besonders brisant sind solche Angaben gerade, weil auch der
türkische Polizist, der kürzlich in Ankara den russischen Botschafter
Karlow erschoss, sich zur Miliz el-Nusra bekannte. Der Verdacht, dass die
türkische Polizei von radikalen Islamisten unterwandert wird, verstärkt
sich.
Welche Wirkung solche Aussagen konkret auf den Prozess gegen Ali D. haben,
bleibt fraglich. In der Regel werden nachweisliche PKK-Mitglieder von
deutschen Gerichten verurteilt. Doch Faysal Sarıyıldız verfolgt einen
universelleren Zweck: dokumentierte Verbrechen publik zu machen. Gemeinsam
mit über 50 anderen Personen erstattete er auch im Juni beim
Bundesgerichtshof Strafanzeige gegen den türkischen Präsidenten Erdoğan –
wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
3 Jan 2017
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
PKK
HDP
Cizre
Aslı Erdoğan
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Pressefreiheit in der Türkei
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