# taz.de -- Türkische „Zaman“ in Deutschland: „Arbeitslosigkeit macht An… | |
> Ab Dezember werden alle RedakteurInnen der Zeitung ohne Arbeit sein. Die | |
> Jobsuche wird schwierig, weiß der Exmitarbeiter Ismail Kul. | |
Bild: Im Frühling 2016 versammelten sich Unterstützer vor dem Haupsitz der Ze… | |
Das neue Büro von Ismail Kul liegt versteckt hinter den Bücherregalen Spo | |
wie „Sport und Basteln“ und Th wie „Theater und Tanz“. Er sitzt mit sei… | |
Laptop auf den Knien im ersten Obergeschoss der Zentralbibliothek Berlin | |
Spandau. Dort gibt es einen Metallständer mit Tageszeitungen und Magazinen. | |
Die Besucher der Bibliothek können jeden Tag eine Stunde lang kostenlos das | |
Internet nutzen. Kul sitzt in einer Sitzgruppe am Fenster, kurze dunkle | |
Haare, Dreitagebart, hellblaue Augen, schwarzer Pullover. | |
Kul klappt den Laptop auf, er hofft auf eine E-Mail von einer deutschen | |
Regionalzeitung. Kul hat sich dort beworben, jetzt wartet er Morgen für | |
Morgen auf eine Antwort. Er sagt, es sei sein letzter Versuch. Zwanzig | |
Jahre lang hat er für den deutschen Ableger der Zaman gearbeitet, im Mai | |
hat die Zeitung auch ihren Politik- und Gesellschaftsredakteur entlassen. | |
„Ich habe nicht damit gerechnet, dass es mich trifft.“ Kul ist 44 Jahr alt | |
und hat eine Familie. Er klappt den Laptop zu und massiert seine | |
Handgelenke. Der Lesesaal wird beheizt, aber nur so stark, dass keiner | |
frieren muss. | |
An den anderen Tischen sitzen ältere Männer, sie beugen sich über | |
Zeitungen, einer blättert in einem Buch über Schach. Manchmal rumpelt der | |
nahe Kaffeeautomat. Kul trinkt Wiener Melange mit Extrazucker aus einem | |
Plastikbecher. | |
„Arbeitslosigkeit macht einem Angst“, sagt Kul, „man muss etwas tun, um s… | |
zu besiegen.“ Wenn Kul morgens seine Kinder in die Kita gebracht hat, kommt | |
er in die Bibliothek, manchmal fährt er am Nachmittag noch in seine alte | |
Redaktion im Regierungsviertel. Aber die meisten seiner Kollegen sind | |
entweder entlassen oder arbeiten mittlerweile von zu Hause aus. Am Ende des | |
Monats erscheint die Zaman zum letzten Mal. | |
## Entlassung als Chance | |
Kul wollte seine Entlassung als Chance sehen. „Ich wollte nicht länger nur | |
auf Türkisch schreiben.“ Mit zehn Jahren kam Kul mit seiner Familie aus der | |
Türkei nach Deutschland ins westfälische Hamm, der Vater hatte dort Arbeit | |
gefunden. Kul machte Abitur, studierte in Münster Politikwissenschaft und | |
Philosophie, in den Semesterferien lernte er 1996 die Gülen-Bewegung kennen | |
und begann für die Zaman zu arbeiten. | |
Als Kul Anfang 2016 erfuhr, dass die Zaman ihn entlassen wird, hat er | |
Bewerbungen geschrieben und an die Redaktionen deutscher Zeitungen | |
geschickt. Seitdem gab’s viele Absagen und ab und zu mal ein | |
Bewerbungsgespräch. „Sie haben mich gefragt, ob meine Frau Kopftuch | |
trägt.“, erzählt Kul. „Was hat das mit meinem Beruf als Journalist zu tun… | |
Der gescheiterte Putschversuch in der Türkei diesen Sommer habe auch die | |
türkische Community in Deutschland polarisiert. Für einen muslimischen | |
Journalisten sei es noch schwerer geworden, einen Job bei einer deutschen | |
Zeitung zu finden. Vor allem wenn man dem Umfeld der Gülen-Bewegung | |
angehört. | |
Keine zehn Minuten von der Bibliothek in der Spandauer Innenstadt liegt das | |
Wilhelmstadt-Gymnasium, eine Privatschule auf dem Gelände einer ehemaligen | |
Kaserne. Getragen wird die Schule vom Verein TÜDESB, der dem Netzwerk des | |
Predigers Fetullah Gülen nahe steht. Bildung gilt der Bewegung als | |
Grundpfeiler. In Deutschland werden ihr rund 300 Vereine, 24 Schulen und 40 | |
Nachhilfeeinrichtungen zugerechnet. Das Landesamt für Verfassungsschutz in | |
Baden-Württemberg hatte 2014 nach mehreren Anfragen aus dem Landtag einen | |
60-seitigen Bericht zur Gülen-Bewegung verfasst. Er kommt zu dem Ergebnis, | |
dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung nicht erfüllt | |
seien. | |
Dennoch heißt es dort, dass „Teile des von Gülen vertretenen Gedankenguts | |
mit einzelnen Positionen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung | |
nicht in Einklang zu bringen sind“, sie fänden aber keinen Ausdruck in | |
Aktivitäten, „die darauf gerichtet sind, die verfassungsmäßige Ordnung zu | |
beseitigen und durch eine islamische Ordnung zu ersetzen.“ An dieser | |
Bewertung hat sich bis heute nichts geändert, wie die Antwort der | |
Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken-Fraktion vom Mai zeigt. | |
„Wer uns eine Terrororganisation nennt, muss Beweise dafür liefern“, | |
fordert Kul, der inzwischen kaum noch türkische Medien liest. | |
Kul sagt, er erhalte keine Unterstützung von der Bewegung, zur Zeit lebe er | |
von Arbeitslosengeld I. Sein ehemaliger Redakteurskollege Esat Semiz sagt | |
über ihn: „Wenn Ismail Kul es nicht schafft eine neue Stelle zu finden, | |
schafft es keiner von uns.“ | |
12 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Markus Sehl | |
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