# taz.de -- Türkische „Zaman“ in Deutschland: „Ich bin nur ein Zeitungsl… | |
> Seit 20 Jahren ist Şuayip Ileri Abonnent von „Zaman“. Ende November | |
> erscheint die letzte Ausgabe der Zeitung, die ihn sein Leben lang | |
> begleitet hat. | |
Bild: Nur ein Leser, kein „Putschist“. Verhaftete Soldaten nach dem Putsch … | |
„Ich habe die Zaman immer abends gelesen, wenn ich von der Arbeit nach | |
Hause kam“, erzählt Şuayip Ileri. Zuerst den Wirtschaftsteil, dann | |
Kulturnachrichten, die Bildungsseite. Ein tägliches Ritual. | |
Şuayip Ileri heißt tatsächlich so: Şuayip Ileri. Er will nicht wie andere | |
unter einem Pseudonym in den Medien auftauchen. „Ich habe keine Angst“, | |
sagt Ileri, „ich bin nur ein Zeitungsleser.“ Der türkische Geheimdienst MIT | |
interessiere sich sehr für die Liste mit den Namen aller Abonnenten. Aber | |
dort wisse man ohnehin schon lange, dass er die Zaman abonniert habe. | |
Zwanzig Jahre lang ist Ileri schon Abonnent der Tageszeitung, die zum | |
Netzwerk des islamischen Predigers Fetullah Gülen gehört. Und er ist auch | |
Abonnent geblieben, als viele andere gekündigt haben. Aus Angst vor | |
Schwierigkeiten in Deutschland oder bei der Einreise in die Türkei. Auf | |
Facebook kursieren Beiträge mit den Namen von Abonnenten; sie werden | |
bedroht. Andere User rufen zum Boykott von Supermärkten und Geschäften auf, | |
die in der Zeitung Anzeigen geschaltet haben. | |
In die Türkei will Ileri derzeit lieber nicht fahren. Spätestens seit dem | |
gescheiterten Putsch im Juli, für den Erdoğan die Gülen-Bewegung | |
verantwortlich macht, ist das für ihn keine Option. | |
Mit seinem Vater in der Türkei telefoniert er. „Die Türkei ist fast am | |
Ende, es kann nicht mehr viel schlimmer werden.“ Ileri ist erleichtert, in | |
Berlin zu sein, hier lebt er mit seiner Frau und seinem Kind, das in die | |
Kita geht. Innerhalb der türkischen Community allerdings fühlt er sich | |
zunehmend isoliert. „Entweder du bist für die Heimat oder gegen die | |
Heimat.“ Es gebe nur noch schwarz oder weiß. Man stehe auf einer bestimmten | |
Liste oder nicht. | |
Ileri findet sich in dieser polarisierten Welt selbst nicht wieder. | |
Er sitzt in einem Konferenzraum in der Nähe des Berliner Gendarmenmarkts. | |
Gepolsterte Stuhlreihen, ein Vortragspult, ein Flipchart. Die Wände sind | |
kahl. Im dritten Stockwerk eines modernen Bürogebäudes mit Lichthof hat der | |
Verein Forum Dialog seine Räume. Ileris Frau hält hier Vorträge und ist | |
Mitglied im Vorstand der Bildungseinrichtung, die zur Gülen-Bewegung zählt. | |
Ihre Anhänger nennen die Gülen-Bewegung selbst „Hizmet“, also „Dienst�… | |
Wenn Şuayip begeistert von „unserer“ oder „meiner“ Zaman erzählt, dann | |
klingt es so, als spräche er über ein Familienmitglied. Dann liegt aber | |
auch wieder ein aktivistischer Ton in seiner Stimme. „Ich bin | |
Zaman-Abonnent, das bedeutet, ich unterstütze die Zeitung“, sagt Ileri. | |
„Die Zaman ist nicht nur eine Zeitung, sie hat auch eine soziale Aufgabe.“ | |
Ihre Werte bilden einen Dreiklang: „Dialog, Toleranz, Respekt“. | |
## Leben in Unordnung | |
Auch seine Frau habe ein eigenes Abo, erzählt er. Auf der Website kann man | |
es für 25 Euro im Monat bestellen. Die Zaman wird in Deutschland seit 1990 | |
als Abonnementzeitung vertrieben. „Die Zeitung ist ein wichtiger Teil | |
meines Lebens. Sie hat mir dabei geholfen, wie ich in der Welt leben soll.“ | |
In diesem Jahr ist sein Leben in Unordnung geraten. Bis vor Kurzem hat | |
Ileri in der Marketingabteilung der türkischen Fluggesellschaft Turkish | |
Airlines gearbeitet. Dann hat man ihm gekündigt. Zurzeit klagt er vor einem | |
Berliner Gericht gegen die Kündigung. Die Turkish Airline gehört zu 49 | |
Prozent dem türkischen Staat. Im Sommer entließ sie nach dem Putschversuch | |
in der Türkei auf einen Schlag über 200 ihrer Mitarbeiter. Die | |
Kündigungswelle hatte die Fluggesellschaft damals auch damit begründet, | |
dass die Mitarbeiter Verbindungen zur Gülen-Bewegung gehabt hätten. | |
Ileri wiederholt zum Abschied die Prinzipien wie ein Mantra, als könne er | |
sich daran festhalten: „Dialog, Toleranz, Respekt.“ Er hofft, dass die | |
Zaman ab November im Internet weiterexistieren wird. Dann läuft in | |
Offenbach die letzte Ausgabe der Zeitung durch die Druckerpressen. | |
20 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Markus Sehl | |
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