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# taz.de -- Die letzten Tage von „Zaman“: Folgen einer Abwicklung
> Die Zeitung „Zaman“ war ein Sprachrohr der Gülen-Bewegung. Unter dem
> Druck der türkischen Regierung schließt die deutsche Ausgabe.
Bild: Harun Odabaşı war Redakteur bei der „Zaman“-Redaktion in Istanbul. …
Ein letztes Mal springen am Dienstagabend vergangener Woche in Offenbach
ratternd die Druckmaschinen an. Sie haben in den besten Zeiten 40.000
Exemplare der Zaman pro Stunde gedruckt, nun ist es schon nach einer
Viertelstunde wieder still in der Fabrikhalle. Die letzte Ausgabe erscheint
nur noch mit 8.000 Exemplaren. Noch einmal warten vor dem Rolltor die
Lieferwagen mit laufenden Motoren auf die Zeitungspakete. Einer nach dem
anderen verlassen sie die Druckerei. So sieht es aus, das Ende der Zaman.
In Hannover versucht Harun Odabaşı ein neues Leben anzufangen. Er sitzt auf
einem zu kleinen Stuhl an einem zu niedrigen Tisch und wartet auf das
Mittagessen. Vor dem Fenster im Pausenhof einer Realschule am Stadtrand von
Hannover türmen sich die Blätterhaufen. Seine Tochter geht hier seit ein
paar Wochen zur Probe in eine Klasse. Odabaşı sitzt mit zwei Lehrern
zusammen, er legt sich eine Serviette über die Anzugshose.
„Ich hätte mir nie vorstellen können, irgendwo auf der Welt einmal einen
Asylantrag zu stellen.“ Bis vor einem halben Jahr war der 47-jährige
Odabaşı noch Redakteur in der türkischen Mutterredaktion der Zaman in
Istanbul. Schon im März hatte die Regierung die Kontrolle über die
Redaktion übernommen und die Zeitung nach dem Putschversuch im Sommer
geschlossen.
An einem Abend, ein paar Tage nach dem Putschversuch, saß Odabaşı mit
seiner Frau in der Istanbuler Wohnung, als es plötzlich an der Tür klopfte.
„Wir haben niemanden erwartet“, erzählt Odabaşı. Beide haben sich
erschrocken angeschaut.
Die Zaman war als Sprachrohr der Gülen-Bewegung schon länger ins Visier der
Regierung geraten. Vor der Tür stand aber nur ein Lieferant, der frisches
Trinkwasser brachte. In dieser Nacht beschlossen Odabaşı und seine Familie,
die Türkei zu verlassen. Ob es einen Haftbefehl gegen ihn gegeben hat, weiß
Odabaşı nicht. Die Familie stieg ins Flugzeug und kam über Prag mit einem
Visum nach Deutschland, hier hat sie Verwandte. Die ersten zwei Monate
verbrachte sie in einer Notunterkunft in Braunschweig. „Wir haben in der
Türkei bisher ein gutes Leben gelebt“, erzählt Odabaşı, „hier sind wir
niemand.“
## Immer mehr Asylsuchende aus der Türkei
Nach Statistiken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge haben bereits
im ersten Halbjahr 2016 so viele Menschen aus der Türkei Asyl in
Deutschland beantragt wie zuletzt im gesamten Vorjahr. Nach dem
Putschversuch und den anschließenden Verhaftungswellen in der Türkei sind
die Zahlen weiter gestiegen. Unter den Asylsuchenden sind Säkulare, Kurden,
Gülen-Anhänger. Erdoğans Gegner haben sich aber nur bedingt etwas zu sagen.
Seine Verfolgung hat sie alle zu Oppositionellen gemacht, aber nicht
vereint. „Wir haben mit der Cumhuriyet nur einen gemeinsamen Nenner“, sagt
Odabaşı, „beide sind wir in der Opposition.“
Auch der ehemalige Chefredakteur der Cumhuriyet, Can Dündar, hat sich
entschieden, die Türkei zu verlassen. Seit einigen Monaten lebt er in
Deutschland. In seinen Texten schreibt er weiter gegen die Politik Erdoğans
an – und warnt vor der Gülen-Bewegung, als deren Sprachrohr die Zaman gilt.
Zugleich sagte der linke türkische Journalist Ahmet Şık, ein erbitterter
Kritiker der Gülen-Bewegung und Autor des Buchs „Die Armee des Imams“,
angesichts der Lage in der Türkei: „Ich kann mich über die Schließung von
Zaman nicht freuen.“
Die Zaman hat das aggressive Vorgehen Erdoğans gegen die Medien mit voller
Härte zu spüren bekommen. Dennoch ist ihre Lage eine andere als die der
linksliberalen Oppositionszeitung Cumhuriyet. Die Zaman findet sich noch
nicht lange in der Rolle der Oppositionszeitung wieder. Ihre Geschichte ist
eng verbunden mit einem Bündnis zwischen Gülen und Erdoğan. Aus dem Kreis
der Gülenisten rekrutierte Erdoğan nach seinem überraschenden Wahlerfolg
2002 einen Großteil seiner Beamten, Richter und Offiziere. Auch die Zaman
galt jahrelang als Stimme der AKP-Regierung, bis es 2013 zum endgültigen
Bruch zwischen Gülen und dem damaligen Ministerpräsidenten kam. Als Erdoğan
immer offensiver begann, die Gülenisten aus dem Staatsdienst zu entfernen,
geriet auch die Zaman in die Opposition.
## Intransparent nach innen
Ihre Journalisten können in Deutschland genauso auf Asyl hoffen wie der
ehemalige Cumhuriyet-Chefredakteur Dündar. Dass er auf eine völlig andere
Geschichte des langjährigen Widerstands gegen Erdoğan – und gegen die
Gülen-Bewegung – zurückblicken kann, spielt für das Asylrecht keine Rolle.
Es schützt die türkischen Journalisten, weil sie politisch verfolgt werden.
Wie viele der Asylsuchenden aus der Türkei sich darauf berufen,
Gülen-Anhänger zu sein, sei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
nicht bekannt, so die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage
der Fraktion Die Linke. Die Gülen-Bewegung ist weder in der EU noch in
Deutschland als eine terroristische Vereinigung gelistet. Ein Bericht des
Landesamts für Verfassungsschutz aus dem Jahr 2014 kritisiert die
„Widersprüchlichkeit des nach außen hin säkularen Auftretens der
Gülen-Bewegung und der fehlenden Transparenz des nach innen gelebten
Islamverständnisses“, kommt aber zum Schluss, dass die Bewegung nicht die
Voraussetzungen für eine Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst erfülle.
Die erst auf Druck aus dem Landtag angefertigte Einschätzung zur
Gülen-Bewegung hat das Landesamt im Sommer mittlerweile von seiner Website
genommen. Das geschah „aus Verhältnismäßigkeitsgründen“, wie die
Pressestelle mitteilte, denn solche Vorbewertungen werden in der Regel
nicht veröffentlicht. Die Bundesregierung teilt in der Antwort auf die
kleine Anfrage die inhaltliche Einschätzung der Verfassungsschützer.
Die Vereine und Bildungseinrichtungen, die der Gülen-Bewegung in
Deutschland zugerechnet werden, beschreiben sich selbst als Förderer von
Dialog und Toleranz. Nach einer Studie des Türkei-Experten Günter Seufert
betreibt die Bewegung in Deutschland rund 300 Vereine, 150
Nachhilfeeinrichtungen und 24 staatlich anerkannte Privatschulen. Die
Schule in Hannover ist eine davon. Als reine Abonnentenzeitung richtet sich
die Zaman an die Gülen-Gemeinde in Deutschland. Auf ihren letzten Titel
druckte sie: „Die Zaman dankt ihrer Familie von Herzen.“
Odabaşı hofft, dass er von Deutschland aus wieder über die Türkei schreiben
kann. Auch wenn das Ende von Zaman ihm nun zuvorgekommen ist. Im Internet
versucht er Deutsch zu lernen. Seit drei Monaten wartet er auf die
Bearbeitung seines Asylantrags. „Ich muss mein Leben hier ordnen, bevor ich
wieder als Journalist arbeiten kann.“
4 Dec 2016
## AUTOREN
Markus Sehl
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