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# taz.de -- Immer mehr Türken beantragen Asyl: Plötzlich Flüchtling
> Eine Regisseurin, eine kurdische Gewerkschafterin und eine
> Wissenschaftlerin fühlen sich nicht mehr sicher. Jetzt hoffen sie auf
> Deutschland.
Bild: Im April belehrte Frau Merkel die Türken von einem Plakat herab, jetzt f…
Berlin taz | Als Damla Yıldırım am 14. Juli von Istanbul nach Berlin reist,
ahnt sie nicht, dass sie nicht zurückkehren wird. Die Regisseurin und
Aktivistin der linksgerichteten Partei HDP hat gerade einen Dokumentarfilm
über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dessen
Widersacher Fetullah Gülen gedreht und will ein paar Tage Urlaub machen.
Doch nach dem Putschversuch am 15. Juli wird ihr Filmteam in der Türkei
verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, Anhänger der Gülen-Bewegung zu sein.
Auch die 30-Jährige wird gesucht.
Damla Yıldırım beantragt in Deutschland Asyl. „Das war völlig ungeplant u…
überstürzt“, sagt sie rückblickend. „Aus Panik habe ich Asyl beantragt.�…
Yıldırım lebt derzeit in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft. Sie ist eine
von 4.437 Türkinnen und Türken, die in diesem Jahr Asyl beantragt haben –
mehr als dreimal so viele wie im vergangenen Jahr.
Seit dem gescheiterten Putschversuch und den anschließenden Festnahmen in
der Türkei ist die Zahl der Asylanträge noch einmal merklich gestiegen.
Allein im August beantragten 762 türkische Staatsbürger in Deutschland Asyl
– fast so viele wie im gesamten ersten Quartal. Und das, obwohl die
Ausreise für Beamte, Oppositionelle und Bürgerrechtler kompliziert geworden
ist.
Vor allem, wenn sie per Haftbefehl gesucht werden wie Sakine Esen Yılmaz.
Monatelang versteckte sich die 39-Jährige, bis sie fliehen konnte. Im April
wurde Esen Yılmaz zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt, weil sie auf
einer Jahre zurückliegenden Pressekonferenz auf Kurdisch gesprochen hatte.
„Propaganda für eine terroristische Organisation“, so die Anklage. Esen
Yılmaz ist Kurdin und Generalsekretärin der türkischen Lehrergewerkschaft
Eğitim Sen. Deren Mitglieder wurden zu Tausenden entlassen und zum Teil
festgenommen, vor allem im kurdischen Osten des Landes.
## Mehrfach im Gefängnis
Auch Sakine Esen Yılmaz war schon mehrmals im Gefängnis. Doch dieses Mal,
ahnte sie, würde sie nicht mehr so schnell herauskommen. Drei weitere
Gerichtsverfahren gegen sie sind noch offen. Ihr drohen bis zu 22 Jahre
Haft. Nach dem Putschversuch wurde ihr klar, dass sich ihr Land in eine
Diktatur verwandelt hat. „Plötzlich wusste ich, dass ich die Türkei
verlassen muss. Das hat mich sehr traurig gemacht.“
Die Flucht ins Exil bedeutet für „Staatsfeinde“ wie Esen Yılmaz auch eine
finanzielle Belastung. 16.000 Euro hat sie Schmugglern gezahlt, um, in
einem Lkw versteckt, bis nach Deutschland zu kommen. Drei Tage dauerte die
Fahrt. In der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Unna beantragte sie Asyl.
Trotz allem habe sie noch Glück gehabt, findet Esen Yılmaz. Die deutsche
Schwestergewerkschaft von Eğitim Sen, die Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft (GEW), kümmert sich um sie. Und im Gegensatz zu der
HDP-Aktivistin Yıldırım wohnt sie in Köln bei einem GEW-Mitglied. In die
Asylanhörung ging sie gut vorbereitet, konnte Gerichtsurteile und
Haftbefehle vorlegen. Ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf)
sie als politisch Verfolgte anerkennt, ist dennoch unklar.
## Ungewisse Entscheidungsgrundlage für Asylanträge
Derzeit liegt die Anerkennungsquote türkischer Asylbewerber bei 7 Prozent.
Doch seit die Menschenrechte am Bosporus erodieren, wissen die
Bamf-Entscheider offenbar nicht mehr, ob die bisherigen Vorgaben noch
gelten oder nicht. Ein Bamf-Entscheider, der anonym bleiben will, lässt die
taz wissen, dass es derzeit in der Behörde keine Entscheidungsgrundlage für
Asylanträge aus der Türkei gibt.
Herkunftsländerleitsätze (HKL) zur Türkei, mit deren Hilfe
Asylentscheidungen getroffen werden, lägen nicht mehr vor. „Die bislang
dort verbreite Ansicht, in der Türkei sei alles in Ordnung, ist nach dem
Putsch wohl nicht mehr vertretbar“, vermutet der Mitarbeiter. Derzeit
werden die HKL „überarbeitet und fortgeschrieben“, bestätigt das
federführende Innenministerium der taz. Wann die neuen Leitsätze kommen und
ob sie dazu führen werden, dass mehr Flüchtlingen aus der Türkei anerkannt
werden, ließ das Ministerium offen.
Die Frage ist auch außenpolitisch bedeutsam. Schon jetzt wirft Erdoğan der
Bundesregierung vor, „Terroristen“ zu beherbergen, und fordert deren
Auslieferung. Sollten Menschen wie Damla Yıldırım und Sakine Esen Yılmaz
den offiziellen Schutz des Nato-Partners erhalten, würde das die
Beziehungen zur Türkei weiter belasten. Die Diplomaten im Auswärtigen Amt
dürften es bevorzugen, wenn die Asylverfahren über Türken keine hohen
Wellen schlagen.
## Nicht an die große Glocke hängen
So ähnlich sieht es auch eine Türkin, die ein Stipendium für gefährdete
Wissenschaftler erhalten hat und nun zwei Jahre in Deutschland forscht.
Auch sie erwägt, hier Asyl zu beantragen. Nur will sie das nicht an die
große Glocke hängen. „Je mehr darüber berichtet wird, desto schwerer wird
es für diejenigen, die noch herauswollen.“
Auch für Angehörige ist die Situation oft heikel. Als HDP-Anhängerin
Yıldırım in Berlin Asyl beantragte, brach selbst ihr Ehemann vorübergehend
den Kontakt mit ihr ab. Die Zurückgelassenen haben Angst, stellvertretend
bestraft zu werden. Jedes Telefonat, das weiß auch Damla Yıldırım, könnte
ihn in Schwierigkeit bringen. Der Mann der Gewerkschafterin Esen Yilmaz hat
seine Lehrerstelle bereits verloren. Sie beide, beteuert sie, hätten nichts
mehr zu verlieren. Sie rechnet fest damit, als politisch Verfolgte
anerkannt zu werden. Und wenn nicht? „Dann stimmt auch hier etwas mit den
demokratischen Werten nicht.“
5 Dec 2016
## AUTOREN
Ralf Pauli
Elisabeth Kimmerle
## TAGS
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