# taz.de -- Doku über Flüchtlingskinder in Hamburg: Die Sehnsucht nach dem Ha… | |
> Ein junger Rom und eine Syrerin versuchen in Deutschland anzukommen. Der | |
> Film „Alles gut“ erzählt von Alltag und Abschiebung. | |
Bild: Die elfjährige Ghofran war in Syrien Klassenbeste, in Hamburg geht sie i… | |
„Djaner hat viel Stress“, sagt seine Mutter Alisa. Doch jetzt in | |
Deutschland ginge es dem Kind schon viel besser als daheim in Mazedonien, | |
wo auf ihm als Rom nur herumgetrampelt wurde. „Djaner will nur Stress | |
machen“, meint hingegen sein großer Bruder Mahmud. | |
Djaner selbst findet Deutschland toll, weil er nicht verprügelt wird und so | |
wie die anderen Kinder und mit ihnen in die Schule gehen und lernen kann. | |
Fast genauso jedenfalls. Ganz regulär kommt er in die zweite Klasse der | |
Loki-Schmidt-Schule in Hamburg, von wo er mit dem Schulranzen aus der | |
Spendenkammer glückstrahlend zu seiner Mutter spaziert. Traurig nur für | |
Bruder Mahmud – mit zehn Jahren muss der nämlich erst einmal in eine | |
Förderklasse. | |
Adel wohnt in derselben Hamburger Flüchtlingsunterkunft wie Alisa, Djaner | |
und Mahmud und verfolgt mit Sorge die Kriegsberichte aus Syrien im | |
Fernsehen. Der leicht korpulente Familienvater hat den weiten und | |
gefährlichen Weg über die Sahara und das Mittelmeer nach Europa gewagt. Das | |
Sterben unterwegs sei immer noch besser, als daheim unter Bomben zu leben, | |
meint er. | |
Seine Frau und vier Kinder sind noch in Syrien. Seit neun Monaten wartet | |
Adel in seinem Containerzimmer nervös auf die Genehmigung der | |
Familienzusammenführung und raucht vor Angst wohl noch mehr Zigaretten als | |
sonst. Nebenbei lernt er auch für einen arabischen Mann eher ungewohnte | |
Dinge wie Betten beziehen und sauber machen. Und irgendwann ist es dann so | |
weit und er steht mit einem Blumenstrauß am Flughafen, um seine Familie | |
begrüßen. | |
## Erst Klassenbeste, dann Förderklasse | |
Neben drei Jungs ist auch die elfjährige Tochter Ghofran angekommen, ein | |
stilles, aber selbstbewusstes Mädchen, das in Syrien Klassenbeste war und | |
nun bald in eine Förderklasse kommt. Anders als Djaner hat Ghofran Heimweh | |
(auch nach der zurückgelassenen Großmutter) und will nicht in Deutschland | |
bleiben. Aus ihrer Haltung und dem etwas altklugen Gesicht unter dem weißen | |
Kopftuch spricht deutliche Ablehnung gegen die neue Umgebung und die dort | |
herrschenden Lottersitten wie die knappe Bekleidung mancher | |
Sozialarbeiterin. | |
Dass sich hier selbst syrische Mädchen schminken! Aber auch Fahrrad | |
fahrende Frauen und der im Deutschkurs obligatorische Chor erscheinen der | |
gläubigen Muslima zunächst als unmoralisches Angebot. Vor solchen | |
Zumutungen flüchtet Ghofran sich in syrische Rap-Songs, die sie auf ihrem | |
Handy mitgebracht hat. | |
Djaner, Ghofran und die Eltern der beiden sind die Helden dieses | |
Dokumentarfilms, der rund um die Flüchtlingsunterkunft und zwei Schulen in | |
Hamburg-Holmbrook spielt. Im Zentrum steht die kleine Siedlung in | |
Modulbauweise, die mit ihren, im Grünen verstreuten, dunkelroten und blauen | |
Zweistöckern und vielen Freiflächen sogar eine gewisse Wohnlichkeit | |
ausstrahlt. | |
## Eine Dreherlaubnis ist selten | |
Dass die Filmproduktion von der kommunalen Betreibergesellschaft „fördern | |
und wohnen“ eine Dreherlaubnis für die Siedlung bekam, ist so selten wie | |
erfreulich und sicherlich auch den vergleichsweise vorbildlichen | |
Verhältnissen geschuldet. Statt schikanierendem Sicherheitspersonal sind | |
hier nur hilfsbereite Sozialarbeiter zu sehen. Und auch sonst zeichnet | |
der Film ein positives Bild von den sehr engagierten Menschen, die | |
professionell oder privat mit den Flüchtlingen arbeiten. | |
Überraschend ist das nicht, schließlich lassen sich eher | |
Willkommenssympathisanten für solch ein Filmprojekt interessieren. Das mag | |
auf den ersten Blick vielleicht beschönigend erscheinen, ist aber eine | |
kluge Strategie, die Probleme hinter der freundlichen Oberfläche umso | |
deutlicher hervorzuheben. Und gegen die kommen auch Lehrer und | |
Sozialarbeiter nicht an. Bei Djaner ist es die drohende Abschiebung der | |
Familie, die ja aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland kommt und | |
deren Asylantrag abgelehnt wurde. | |
Die Angst schlägt sich bei der Mutter als Depression, bei dem Jungen in | |
einem zunehmend verstörten und aggressiven Verhalten nieder, das Lehrer und | |
Mitschüler oft überfordert. Und dann kommt er eines Tages gar nicht mehr in | |
die Schule, weil Alisa sich und die Kinder irgendwo versteckt hält, nachdem | |
die Polizei bei ihr vor der Tür gestanden hat. | |
## Ghofran lernt Fahrradfahren | |
Ghofrans Aufenthalt dagegen scheint gesichert. Und auch sie selbst kommt | |
gegen ihre eigenen Widerstände langsam in ihrer neuen Umgebung an. Sie | |
lernt wieder zu lächeln und sogar das Fahrradfahren. Vater Adel hingegen | |
verzweifelt an der vergeblichen Suche nach einer Wohnung auf dem umkämpften | |
Hamburger Markt, wo eine Familie mit vier Kindern und wenig Geld kaum eine | |
Chance hat. | |
Und so klingen seine Selbstaufmunterungssätze bald resigniert und immer | |
resignierter. Aber dann steht er doch einmal gemeinsam mit Ghofran – und | |
Dutzenden anderen Mitbewerbern – vor einem gar nicht so hübschen Haus im | |
Grünen und gestattet sich, auch von einer schönen Zukunft zu träumen. | |
„Alles gut“ ist der erste lange Dokumentarfilm von Pia Lenz, die bisher vor | |
allem Dokumentationen und Reportagen für den NDR gedreht hat. Dabei hat sie | |
oft auch die Kamera geführt. So auch hier, um die Intimität vieler | |
familiärer Szenen in der räumlichen Enge nicht zu stören. Dazwischen gibt | |
es kurze Statements von Betreuern, Familienmitgliedern oder anderen | |
Kindern, bei denen nur die Einblendungen mit überflüssigen Alters- oder | |
Funktionangaben immer wieder darauf stoßen, dass die journalistisch | |
geprägte Filmemacherin (oder ihre Redaktion) der dokumentarischen Erzählung | |
nicht ganz vertraut. | |
Und die am Ende stimmig eingesetzte Musik von The Notwist irritiert anfangs | |
mit dräuenden Thriller-Anmutungen bei der Erkundung der Unterkunft. | |
## Von institutionellen Zwängen | |
Der erste Kinofilm über Integration in Deutschland, wie es die Werbung | |
vollmundig behauptet, ist „Alles gut“ – übrigens ein Zitat von Mutter Al… | |
– sicherlich nicht. Da gab es schon einige. Wichtig ist er trotzdem – und | |
das nicht nur, weil gerade erst eine Unicef-Studie die schlechte Situation | |
von Kindern im deutschen Flüchtlingsalltag beklagte. | |
Über die dort beschriebenen Beschwernissse der Erstaufnahme sind Djaner und | |
Ghofran ja hinaus. Die Stärke von Pia Lenz’ Film ist es, gerade kein Film | |
über etwas zu sein, sondern in einer aufgeladenen medialen Situation einen | |
ganz konkreten und vielschichtigen Eindruck vom schwierigen Leben in der | |
Fremde zwischen institutionellen Zwängen und ersten Schritten in die | |
Selbständigkeit zu geben. | |
Dabei war es ein Anliegen der Filmemacherin, der oft und leichtfertig | |
gemachten Abgrenzung zwischen „echten“ Kriegsflüchtlingen und | |
„Wohlstandsmigranten“ aus dem Balkan ein Korrektiv entgegenzusetzen. Die | |
traurige Geschichte von Djaners Familie zeigt dramatisch, wie groß die Nöte | |
auch in einer nicht direkt kriegsbedrohten Region sein können. Heimlicher | |
Star des Films ist sicherlich dennoch die junge Ghofran, die es | |
bewundernswert schafft, sich die neue Situation aktiv anzueignen, ohne ihre | |
Integrität zu verlieren. | |
Jedenfalls erst einmal. Denn „Alles gut“ endet nach einem Jahr Drehzeit | |
recht abrupt noch vor der Ankunft im außerinstitutionellen deutschen | |
Alltag. Die Enttäuschung der Zuschauer darüber ist wohl auch der Sehnsucht | |
nach dem Happy End geschuldet, das in der Realität meist ausbleibt. Es ist | |
eben nicht alles gut. Nur konsequent also, dass uns Pia Lenz solch falsches | |
Glück auch in ihrem Film verweigert. | |
23 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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