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# taz.de -- Dokumentarfilm „An der Seite der Braut“: Ein Ja-Wort für Flüc…
> Syrische Flüchtlinge reisen als Hochzeitsgesellschaft getarnt durch
> Europa. Ein erfolgreicher Akt zivilen Ungehorsams, wie eine Doku zeigt.
Bild: Ein Traum in Weiß: als Hochzeitspaar verkleidet über die Grenze
BERLIN taz | „Von welchem Gleis fährt der nächste Zug nach Schweden?“, wi…
Gabriele del Grande gefragt, als er, wie so oft, zum Mailänder Bahnhof
geht, um nach syrischen Flüchtlingen Ausschau zu halten. Die Frage stellt
Abdallah Sallam, ehemaliger Passagier eines Totenschiffs, wie er die
Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer nennt. Einen direkten Zug nach Schweden
gibt es nicht, muss ihm del Grande erklären. Beim Kaffeetrinken kommen sie
auf eine verwegene Idee: Sie könnten Abdallah und vier weitere Flüchtlinge
nach Schweden schleusen – getarnt als Hochzeitsgesellschaft.
Der Dokumentarfilm „An der Seite der Braut“ zeigt, wie dieser Plan im
November 2013 umgesetzt wird. Der Regisseur [1][Gabriele del Grande] ist
ein italienischer Journalist, der sich eingehend mit dem Thema Migration
beschäftigt. Seiner Bekanntheit ist es sicherlich zu verdanken, dass sich
2.617 Spender_innen fanden, um den Film zu finanzieren.
Die meisten Syrer_innen gelangen über Lampedusa in die EU, erklärt Del
Grande in der Doku, über eine Europakarte gebeugt. Viele Flüchtlinge wollen
jedoch nicht in Italien bleiben, sie träumen von Schweden, das als Land mit
der besten Aufnahmequote gilt. Doch die Dublin-III-Verordnung erschwert die
Reise in den Norden Europas.
## Umweg durch halb Europa
Nach der Verordnung ist das EU-Land für das Asylverfahren zuständig, in dem
der Flüchtling das erste Mal europäischen Boden betritt. In diesem Fall
also Italien. Um nach Schweden zu gelangen, durfte sich die aus
Flüchtlingen und Unterstützer_innen bestehende Gruppe nicht der Gefahr von
Kontrollen aussetzen.
Daher der Umweg über Marseille, Bochum und Kopenhagen. Und daher auch die
Tarnung. Denn: „Wer würde schon eine Hochzeitsgesellschaft aufhalten?“,
fragt sich Khaled Soliman al Nassiry, der neben Del Grande und Antonio
Augugliaro ebenfalls als Regisseur tätig ist.
Der Film folgt der 23-köpfigen Gruppe zunächst von Mailand nach Grimaldi
Superiore. Ein alter Trampelpfad führt dort über einen Gebirgszug. Schon
vor 50 Jahren gelangten italienische Emigranten über diesen Weg nach
Frankreich. Heutzutage wird er von Schleusern frequentiert.
In voller Hochzeitsmontur quält sich das Filmteam hinauf. Auf halber
Strecke entstand eine der bewegendsten Szenen: Die Wände eines verlassenen
Hauses zeugen von regem Verkehr. Hunderte Inschriften sind zu sehen.
Abdallah, der sich als Ehemann der Hochzeitsgesellschaft ausgibt, fügt eine
hinzu.
Mit einem Kohlestift malt er die Zahl 250 an die Wand. Er ist Überlebender
des Schiffsunglücks vom 11. Oktober 2013, das sich vor der italienischen
Insel Lampedusa ereignete. 250 – das ist, wie Abdallah weiß, die Zahl
derjenigen Flüchtlinge, die das europäische Festland nie erreichten.
## Widersprüchliche Zahlen
Kurz nach dem Schiffbruch wurde [2][von 34 Ertrunkenen berichtet]. Doch
nach Recherchen des Journalisten [3][Fabrizio Gatti] und der Initiative
[4][Watch The Med] liegt die Zahl deutlich höher. Sie gehen von 200 bis 268
Toten aus.
Im Film schildert Abdallah, wie die Flüchtlinge vom Boot aus die
Küstenwachen in Malta und Italien verständigten. Aber beide Küstenwachen
schoben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Letztlich schritten sie doch
ein, wenn auch zwei Stunden zu spät, wie Watch The Med feststellte.
Abdallah wurde aus dem Wasser gezogen. Anschließend habe die Küstenwache
Tote auf ihn geworfen. „Ich bin nicht ertrunken, aber ich wäre fast im
Leichenberg erstickt.“
All das hat Abdallah sichtlich geprägt. Seinen Schmerz fasst er nicht in
Worte, doch er spiegelt sich in seiner Körpersprache wider. Sein Blick ist
meist leer. Als der Zug von Kopenhagen nach Malmö anrollt, zittern seine
Knie. Der Kamera bleibt dies nicht verborgen. Genausowenig wie der bebende
Unterkiefer Ahmeds, als dieser in der Bochumer Wohnung eines Unterstützers
in die Runde fragt: „Kann es sein, dass man 1.000 Dollar bezahlt, um zu
sterben?“
Die letzten Bilder des Films zeigen den rappenden Manar auf einem zentralen
Platz in Malmö. Die Gruppe schafft es vollzählig nach Schweden. Doch für
den 13-jährigen Manar währt die Freude nicht lange.
## Verhängnisvolle Fingerabdrücke
Nach den Dreharbeiten wurden sein Vater Alaa und er wegen der
Dublin-III-Verordnung nach Italien abgeschoben. Auf Lampedusa war Alaa in
der Eurodac-Datei erfasst worden. Er habe mitansehen müssen, wie anderen
Flüchtlingen die Fingerabdrücke abgerungen wurden – ein Anblick, den er
seinem Sohn ersparen wollte, sagt er.
In Italien sind Vater und Sohn als politische Flüchtlinge anerkannt worden.
Nun leben sie in Deutschland. Abdallah genießt Asyl in Schweden, genauso
wie Mona und Ahmed. Die beiden bemühen sich derzeit darum, ihre Kinder
nachzuholen.
Die inszenierte Hochzeitreise war demnach ein Erfolg – auch für die
Aktivist_innen. Zuvor hatten sie sich mit Anwält_innen auf ein Verfahren
vorbereitet. Schließlich betätigten sie sich de jure als Menschenschleuser.
Doch statt Ermittlungen folgte eine Ehrung: 2014 erhielten sie den
Spezialpreis der Filmfestspiele in Venedig. Jetzt sind sie für den besten
Dokumentarfilm Italiens nominiert.
Nach der Vorführung im Theater Aufbau Kreuzberg, die Pro Asyl und Adopt a
Revolution am vergangenen Sonntag präsentierten, wurde die Aktivistin
Tasnim Fared, die im Film die Braut spielt, zur Atmosphäre während des
Drehs befragt. Die Reise sei voller Spannung gewesen, sagte sie. „Doch das,
was man in Syrien mitmacht, ist viel schlimmer. Und auch der Weg von Syrien
nach Italien ist viel schlimmer.“
## Die Gefahr des Nichtstuns
Im weiteren Verlauf wurde der Film in die aktuelle Debatte eingeordnet. Die
EU-Kommission arbeitet zur Zeit an einer [5][Quotenregelung zur
Flüchtlingsverteilung]. Alexandros Stathopoulos von Pro Asyl hält diesen
Plan für wenig hilfreich. Die Flüchtlinge sollten dort unterkommen, wo sie
bereits Familien haben.
Wie die Reaktion war, als sie von der Filmidee hörte, wurde Tasnim am Ende
noch gefragt. Sie habe direkt zugesagt mitzumachen. Sie dachte sich: „Beim
Filmemachen wird es Gefahren geben, doch die größere Gefahr ist es, dass
wir stehenbleiben und nichts tun.“ So liefert der Film – trotz Brautpaar –
kein Eheversprechen, aber ein Versprechen der Solidarität. Willst du
geflüchteten Menschen zur Seite stehen? Ja, ich will!
19 May 2015
## LINKS
[1] http://fortresseurope.blogspot.de/
[2] /!125399/
[3] http://espresso.repubblica.it/inchieste/2013/11/07/news/lampedusa-shipwreak…
[4] http://www.watchthemed.net/reports/view/32
[5] /Ringen-um-Aufnahme-von-Fluechtlingen/!159813/
## AUTOREN
Marco Wedig
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