# taz.de -- Soziologe über elitäre Bildung: „Bremens Kontrolle ist ein Witz… | |
> Laut einer Studie duldet der Bremer Senat, dass Privatschulen sich sozial | |
> abschotten. Marcel Helbig erklärt, warum das gefährlich ist. | |
Bild: Privatschulen sind für Leute, die sich besonders fühlen: Hogwarts in Or… | |
taz: Ihrer Studie „Das missachtete Verfassungsgebot“ zufolge dulden alle | |
Bundesländer die soziale Spaltung zwischen privaten und öffentlichen | |
Schulen. Gibt es die tatsächlich? | |
Marcel Helbig: Die wenigen, zitierfähigen Daten zu dieser Frage zeigen, | |
dass die soziale Spreizung zwischen privaten und öffentlichen Schulen in | |
den letzten Jahren [1][zugenommen] hat. | |
In Bremen schicken viele PolitikerInnen ihre Kinder auf eine Privatschule. | |
Haben sie eine Vorbildfunktion? | |
Jeder wählt die aus seiner Sicht beste Schule. Ob solche Fragen da eine | |
Rolle spielen, ist jedoch der falsche – weil populistische – Ansatz, das | |
Thema zu diskutieren. | |
Neuer Versuch: Wozu braucht es Privatschulen? | |
Ursprünglich wurden sie im Grundgesetz verankert, um es reformpädagogischen | |
und kirchlichen Schulen zu ermöglichen, auch alternative Bildungswege zum | |
öffentlichen Schulsystem zu gehen. Heute gibt es viele verschiedene | |
Privatschulen. | |
Sind die SchülerInnen an Privatschulen besser? | |
Die repräsentativen Studien zu diesem Thema zeigen, dass diese Schüler bei | |
Pisa-Tests tatsächlich besser abschneiden. Wenn aber für die Herkunft | |
statistisch kontrolliert wird, gibt es zwischen öffentlichen und privaten | |
Schulen keinen Unterschied. | |
Woran liegt das? | |
Privatschüler profitieren von einer besseren sozialen Zusammensetzung. | |
Dieses Markenzeichen entzieht den öffentlichen Schulen aber eben diese | |
Schüler aus reichem Elternhause. Hätten öffentliche Schulen die gleiche | |
soziale Zusammensetzung wie Privatschulen, dann hätten ihre Schüler auch | |
die gleichen Kompetenzen. Führt man den Gedanken weiter, schwächen | |
Privatschulen die Bildungschancen an öffentlichen Schulen. | |
Warum schicken immer mehr Eltern ihre Kinder auf eine Privatschule? | |
Seit dem Pisa-Schock denken viele Eltern, dass das öffentliche Schulsystem | |
nicht allzu leistungsfähig ist. Außerdem gibt es in Städten eine starke | |
soziale Spaltung. Gerade in Szenevierteln wie St. Pauli oder Kreuzberg, die | |
„in“, aber auch arm sind, wollen Besserverdienende ihr Kind nicht auf eine | |
öffentliche Schule schicken. Die Privatschule wird dann [2][gewählt], um | |
nicht wegziehen zu müssen. | |
Sie bezeichnen Bremen als Stadt mit sozialem „Sprengstoff“. Wie meinen Sie | |
das? | |
Privatschulen werden auch gewählt, um sich vom sozial schwierigen Klientel | |
abzusetzen. In Bremen gibt es besonders viele Kinder aus Familien, die | |
Hartz IV beziehen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch sehr viele | |
Akademikereltern. Und die haben das größte Interesse daran, ihre Kinder | |
abzuschotten. So wird das bestehende Problem noch verschärft. | |
Um das zu verhindern, erhebt die Bildungsbehörde jährlich die Schulgelder, | |
allerdings nur Mindest- und Höchstbetrag. | |
Was Bremen da macht, ist hinsichtlich der Einhaltung des sogenannten | |
[3][Sonderungsverbots] ein Witz. Damit kann das Verbot überhaupt nicht | |
kontrolliert werden. Offen bleibt, wie viele Kinder welches Schulgeld | |
zahlen müssen. Das durchschnittliche Schulgeld ist unbekannt. Und | |
Vergleichszahlen zur sozialen Zusammensetzung öffentlicher Schulen fehlen | |
ebenfalls. | |
In Bremen gilt die Formulierung des Grundgesetzes. | |
Dabei sollte der Senat in Landesgesetzen festhalten, wie er dieses Verbot | |
einhalten will. Alles andere ermöglicht willkürliche Entscheidungen. | |
Wichtig ist, die soziale Zusammensetzung der Schüler in privaten und | |
öffentlichen Schulen [4][zu erheben] und zu kontrollieren. Diese Daten | |
erhebt leider kaum ein Bundesland, genutzt werden sie in keinem. | |
Die Bremer CDU sagt, dass Stipendien der sozialen Segregation | |
entgegenwirken. | |
Das ist totaler Quatsch und pure Ideologie. Eltern, die Hartz IV beziehen, | |
interessieren sich nicht für kostenpflichtige Privatschulen, für die sie | |
vielleicht ein Stipendium erhielten. Sie wissen nicht, dass es Stipendien | |
gibt. Bei der CDU ist damit auch immer der Leistungsgedanke verbunden. Das | |
steht aber nicht im Einklang mit dem Sonderungsverbot. | |
Die Stipendien werden in Bremen statistisch nicht erfasst. | |
In Bremen wird nichts erfasst, was das Sonderungsverbot betrifft. Die | |
Erfassung von Stipendien wäre auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. | |
Wenn ich die soziale Zusammensetzung meiner Schüler nicht kenne, ist auch | |
egal, ob ich Stipendien erhebe oder nicht. | |
Die ehemalige Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper genehmigte nur wenige | |
Privatschulen. War das richtig? | |
Es geht nicht darum, Privatschulen zu verteufeln, sondern sie zu | |
kontrollieren. Würde die Bildungsbehörde dem nachkommen, wären einige | |
Privatschulen unter Umständen von der Schließung bedroht. | |
Dieser Kurs führte zu weniger öffentlichen Zuweisungen an Privatschulen. | |
Stärkt das die Segregation? | |
Vielleicht ist das auch eine Masche: Wenn das Land Privatschulen weniger | |
zahlt, spart es Geld. Als Reaktion erhöhen Schulen die Gebühren für Eltern. | |
Das geht aber nur, wenn das Sonderungsverbot nicht kontrolliert wird. | |
Setzen Länder auf soziale Segregation, um Geld zu sparen? | |
Das ist meine Vermutung, die Ihnen aber kein Bildungspolitiker so | |
bestätigen wird. | |
In Hamburg gab es 2015 eine Anfrage der Linken zum Sonderungsverbot. | |
Zehn Privatschulen waren anschließend von der Schließung bedroht. Eine | |
solche Anfrage muss in allen Bundesländern gestellt werden. | |
13 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2fzeits%2fNVWZ%2f2016%2fcont%2fN… | |
[2] http://www.privatschulen.de/presse-journalisten-pressemitteilung/pressemitt… | |
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_7.html | |
[4] http://www.boeckler.de/20888_20902.htm | |
## AUTOREN | |
Lukas Thöle | |
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