| # taz.de -- EU-Flüchtlingspolitik in Libyen: Zurück in den Krieg | |
| > Libyen ist durch den Bürgerkrieg stärker zerrüttet als irgendein anderes | |
| > Maghreb-Land. Trotzdem will die EU Flüchtlinge dorthin zurückschicken. | |
| Bild: Bei einer Rettungsaktion: Flüchtlinge warten auf einem kaputten Schlauch… | |
| Rom/Brüssel taz | Eigentlich ist Manlio Scopigno kein Seemann. Der | |
| Brigadegeneral kommandierte Fallschirmregimenter. Italien entsandte ihn | |
| nach Somalia, Bosnien, Kosovo, Mazedonien, Libanon. Heute befehligt | |
| Scopigno die größte Seestreitmacht der EU: Die Militärmission Eunavfor Med, | |
| auch genannt „Operation Sophia“, die vor Libyens Küsten kreuzt, wo dieses | |
| Jahr schon über 4.600 Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa ertrunken sind. | |
| Eunavfor Med steht für European Union Naval Force – Mediterranean: | |
| EU-Marineverband für das Mittelmeer. „Sophia“ soll den humanitären Aspekt | |
| unterstreichen und steht für das Flüchtlingskind Sophia, das an Bord der | |
| Fregatte „Schleswig-Holstein“ geboren wurde. | |
| Manlio Scopigno sitzt an einem Nachmittag im November in den Katakomben | |
| eines Backsteinbaus auf einem Militärflughafen im Süden Roms. Er zeigt | |
| Bilder von Fregatten. Acht Schiffe sind für „Sophia“ unterwegs, zwei hat | |
| die Bundeswehr geschickt. 25 der 28 EU-Staaten sind an „Sophia“ beteiligt, | |
| insgesamt 1.200 Armeeangehörige. | |
| Ihr Gegner ist keine Armee. „Unser Auftrag ist, die Schlepperboote zu | |
| identifizieren und zu zerstören“, sagt Scopigno. In Zukunft aber sollen die | |
| Soldaten anderes tun, sagt Scopigno, „die Flüchtlinge zurück nach Libyen | |
| bringen“. Beamte der EU-Polizeiausbildungsmission Eubam Libya, an der auch | |
| die deutsche Bundespolizei beteiligt ist, beraten bereits die libysche | |
| Regierung, was mit den Flüchtlingen geschehen soll. | |
| Am 13. Oktober trafen sich die EU-Innenminister in Luxemburg. Wieder einmal | |
| forderte Thomas de Maizière (CDU), dass die im Mittelmeer geretteten | |
| Flüchtlinge nach Nordafrika zurück gebracht werden. In „sicheren | |
| Unterbringungsmöglichkeiten“ solle dort ein Asylanspruch geprüft werden. | |
| 2003 hatte SPD-Innenminister Otto Schily das erstmals vorgeschlagen. | |
| Seither tauchte die Idee immer wieder auf. Tunesien war als möglicher Ort | |
| für die Aufnahmelager im Gespräch. Aber wie wäre es zu rechtfertigen, | |
| Hunderttausende Menschen, die aus Libyen kommen, im Mittelmeer zu stoppen | |
| und im winzigen Tunesien abzuladen? | |
| ## De Maizière und seine Kollegen | |
| Und so verlangte de Maizières österreichischer Kollege Wolfgang Sobotka in | |
| Luxemburg „Abkommen, damit Europa Flüchtlinge sofort auch wieder nach | |
| Libyen zurückschicken“ könne. Ungarn hatte sich ähnlich geäußert. 256.000 | |
| Migranten halten sich nach Angaben der Internationalen Organisation für | |
| Migration derzeit in Libyen auf. | |
| Die libysche Regierung GNA (Government of Natonal Accord), die auf einer | |
| Marinebasis in Tripolis residiert, lehnt dies bislang ab. Die Regierung und | |
| der 7-köpfige Präsidialrat wurden von der EU und UN anerkannt, spielen aber | |
| im Land kaum eine Rolle. Dennoch wälze die EU ihre Verantwortung „auf | |
| unseren Schultern“ ab, sagte GNA-Außenminister Taher Siala. | |
| Als im April 2015 in einer Woche über 1.000 Menschen ertranken, beschloss | |
| die EU einen 10-Punkte-Plan. „Sophia“ war Punkt 2. Etwa 168.000 Menschen | |
| sind seit Anfang des Jahres über Libyen nach Italien gekommen, über 4.600 | |
| starben in den Schlauchbooten, für die die Schlepper pro Platz etwa 1.000 | |
| Dollar kassieren. Seenotrettung ist zwar „nicht unser Kernmandat“, sagt | |
| Scopigno, aber natürlich eine „Pflicht“. Rund 30.000 Menschen in Not haben | |
| „Sophia“-Schiffe bislang nach Italien gebracht. | |
| ## Fregatten versenken Flüchtlingsboote | |
| Bis jetzt nehmen meist zivile Schiffe die Schiffbrüchigen nahe der | |
| libyschen Küste auf, dann versenken EU-Fregatten die Boote. Im Sommer | |
| verlängerte die EU das „Sophia“-Mandat um ein Jahr bis 2017. Jetzt soll die | |
| Mission die völlig desorganisierte und undurchsichtige libysche Küstenwache | |
| trainieren. | |
| Dafür verließen am 24. Oktober ein niederländisches und ein italienisches | |
| Trainingsschiff den Hafen von Catania. Monatelang hatte die EU in Libyen | |
| nach Teilnehmern gesucht, Bedingung: seit zwei Jahren im Dienst Libyens und | |
| eine Selbstverpflichtung für weitere zwei Jahre sowie Loyalität zur GNA. | |
| Ein Sicherheitscheck sollte zudem verhindern, dass Dschihadisten dabei | |
| waren. | |
| Am 26. Oktober gingen 78 Auserwählte an Bord. In der ersten Phase sollen | |
| sie 84 Stunden büffeln, auf dem Stundenplan Menschenrechte, Seerecht, | |
| Maritime Sicherheit, Meeresschutz, Seenotrettung, Fischereiüberwachung und | |
| Englisch – macht 12 Stunden pro Fach. Die Ausbilder stammen aus Belgien, | |
| Griechenland, Deutschland und den Niederlanden. Außerdem schicken das | |
| UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die EU-Grenzschutzagentur Frontex | |
| Experten. Im Januar 2017 soll das Training in Malta und Griechenland | |
| weitergehen. | |
| ## Gaddafis Küstenschutz | |
| Manche der Küstenwächter stammten noch aus Gaddaffis Zeiten, sagt Scopigno. | |
| Deren Fähigkeiten wolle man „verbessern“. Eine dem libyschen | |
| Innenministerium unterstehende Truppe ist nicht dabei. „Die Kontaktaufnahme | |
| hat nicht geklappt“, begründet Scopigno. „Die antworten uns nicht.“ Die | |
| Übrigen aber seien „gut organisiert, wissbegierig und lernfähig“. | |
| Allerdings hätten sie „keine Kenntnis über Menschenrechte oder Seerecht“ | |
| und waren „nicht auf dem Stand westlicher Küstenwachen“. Dadurch seien sie | |
| durch „sehr aggressives Auftreten“ aufgefallen, sagt Scopigno. Ziel des | |
| Trainings sei deshalb „weniger aggressives Verhalten“. | |
| Ende Oktober hatte ein Boot der libyschen Küstenwache eine Rettungsaktion | |
| der deutschen NGO „Sea Watch“ gestört. Mehr als zwei Dutzend Menschen | |
| ertranken. „Sea Watch“ hat deshalb in Deutschland Anzeige „nach dem | |
| Weltrechtsprinzip“ erstattet, wie Sprecher Ruben Neugebauer sagt. Zwar habe | |
| es „auch Begegnungen gegeben, wo die libysche Küstenwache bei der Rettung | |
| mitgeholfen hat“. Trotzdem sieht Neugebauer die Truppe extrem kritisch. | |
| „Was wir sehr oft hören, ist, dass die Küstenwache die Flüchtenden | |
| zurückbringt. In Libyen werden sie eingesperrt und können sich dann wieder | |
| freikaufen“, sagt er. Die libysche Küstenwache ist selbst „Teil des | |
| Schleppergeschäfts“. | |
| Gleichwohl soll sie bald Ausrüstung aus Europa bekommen. Als Diktator | |
| Gaddafi 2007 Italien einen milliardenschweren Nachbarschaftsvertrag aus der | |
| Nase zog, versprach Rom die Lieferung von zehn Patrouillenbooten. | |
| Ausgeliefert wurden sie nie. Bis heute liegen sechs Boote in Tunesien, vier | |
| in Italien. „Man muss sichergehen, dass die Richtigen sie bekommen“, sagt | |
| Scopigno. | |
| ## Die „Richtigen“ werden belohnt | |
| Die Richtigen sollen die sein, die die EU jetzt ausbildet. Und dann soll | |
| „Sophia“ in die dritte Phase eintreten. Dann sollen die Schlepper direkt an | |
| der Küste bekämpft werden. Vor allem soll die libysche Regierung GNA den | |
| Europäern erlauben, in libyschen Gewässern zu patrouillieren und gemeinsam | |
| mit den frisch von der EU ausgebildeten eigenen Grenzern Schiffbrüchige | |
| aufnehmen. Das würde die Lage grundsätzlich ändern. | |
| „Wenn man akzeptiert, dass die Libyer retten können, dann muss man auch | |
| akzeptieren, dass sie sich um die Flüchtlinge kümmern können“, sagt | |
| Scopigno. Gerettete sollen nach Libyen gebracht werden, nicht mehr nach | |
| Italien. Und was soll dann mit den Menschen dort geschehen? „Es gibt | |
| Verantwortliche für die Flüchtlingscamps in Libyen, die der Regierung | |
| unterstehen“, sagt Scopigno. Es werde sondiert, ob diese Camps so gestaltet | |
| werden können, dass sie aufnahmefähig werden. | |
| Die Genfer NGO „Global Detention Project“ zählt in Libyen 24 | |
| Internierungslager. 15 wurden in den letzten zwei Jahren eröffnet, 9 | |
| stammen aus Gaddafis Zeit. Die wenigen NGOs, denen es in den Wirren der | |
| letzten Jahre gelang, einen Blick in die Lager zu werfen, sprachen von | |
| grauenerregenden Zuständen. In mindestens zehn der Lager sind nach | |
| taz-Recherchen willkürlich verhaftete Migranten untergebracht. Damit wollen | |
| sich lokale Milizen und Behörden als Partner für die EU zeigen. Nicht | |
| wenige hoffen, von der EU bezahlt zu werden. | |
| ## Eubam kann nicht arbeiten | |
| Ausgerechnet das im Chaos versunkene Libyen soll zum sicheren Drittstaat | |
| erklärt werden. Wohin die Menschen nach einer Rückschiebung kommen sollen, | |
| sondieren nach Angaben von Scopigno derzeit Beamte von Eubam Libya. Doch | |
| die für dieses Jahr mit 17 Millionen Euro ausgestattete Eubam Libya ist das | |
| beste Beispiel, wie prekär die Lage ist. | |
| Seit Jahren sollen die Beamten in Libyen ausbilden, die Bekämpfung | |
| irregulärer Migration war ein Hauptziel. Doch nie war die Situation | |
| annähernd stabil genug, dass sie hätten beginnen könnten. Alle Diplomaten | |
| wurden 2014 nach Tunesien evakuiert. Die GNA-Regierung verfügt weder über | |
| Sicherheitskräfte noch ein Budget. Nur eine Rumpfmannschaft von Eubam | |
| wartet von Tunis aus auf den Einsatz. | |
| Beim Europäischen Auswärtigen Dienst heißt es dazu: „Die Voraussetzungen | |
| für den Übergang zur Sophia Phase III liegen noch nicht vor.“ Dazu müsste | |
| Libyen Migranten nach internationalen Standards aufnehmen können. „Dies ist | |
| derzeit nicht der Fall.“ Damit sich dies ändere, führe Eubam einen „engen | |
| Dialog“, unter anderem mit den libyschen Behörden. | |
| Nicht einmal der mit 1,8 Milliarden Euro ausgestatteten Trust Funds for | |
| Africa, mit dem die EU die Flüchtlinge aufhalten will, kann so greifen. Aus | |
| dem Projekt sind gerade einmal 6 Millionen Euro für Libyen vorgesehen. Mit | |
| dem Geld sollen die lokalen Behörden „Alternativen zur Internierung, vor | |
| allem für Kinder“ entwickeln. Aber ein Start des Programms ist nicht in | |
| Sicht. „Wann immer das möglich ist“, werde ein Konsortium unter Führung d… | |
| dänischen Flüchtlingsrates mit der Umsetzung beginnen, heißt es bei der EU. | |
| Mitarbeit: Mirco Keilberth, Fabian Grieger, Paul Welch Guerra. Ein Teil der | |
| Recherche fand im Rahmen einer Reise der EU-Kommission statt, die die | |
| Kosten trug. | |
| 27 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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