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# taz.de -- Business mit Flüchtlingen im Sudan: Die Ehre der Schleuser
> Tamir und Khalid treten wie seriöse Geschäftsleute auf – sie brachten
> 5.000 Flüchtlinge nach Europa. Beide sind stolz darauf. Und sie sind
> ausgestiegen.
Bild: Fällt jemand in der Sahara vom Wagen, wird nicht angehalten
Khartum taz | Der Mann, der 3.000 Menschen auf den Weg nach Europa gebracht
hat, hat die Ausstrahlung eines Staubsaugervertreters. Er sieht nicht aus
wie ein kaltblütiger Verbrecher, zu dem Schleuser hochgespielt werden. Dass
er so viel Menschen in drei Jahren überzeugt hat, nach Europa zu reisen,
wirkt wie ein Zufall. Oder wie ein Argument für die Triebkraft ihrer Not.
Khartum, die Hauptstadt des Sudan mit gut 5 Millionen Einwohnern, ist auch
eine 200 Jahre alte Kolonialstadt der Briten. Hier fließen der Blaue und
der Weiße Nil zusammen, an den Ufern hat sich das allmächtige sudanesische
Militär die Filetstücke gesichert. Die Stadt, die aus der Vereinigung der
Ortsteile Khartum, Omdurman und Bahri entstand, ist geprägt vom Empire-Stil
der Repräsentationsbauten, vom panarabischen Avantgardismus, der zu
leblosen staubigen Betonklötzen geführt hat. Und schließlich einem
Islamismus, der sich von den chinesischen Geschäftspartnern Protzbauten
errichten lässt.
Tamir, der Schleuser. Ein junger Mann, Mitte 20. Bis vor ein paar Wochen
hat er im Schleuser-Business gearbeitet. Er sitzt aufrecht in seinem Stuhl.
Sein Hautton ist dunkel – im Sudan eines der vielen Zeichen für seinen
sozialen Status: Er gehört nicht zu den Arabern, die die Machtelite
stellen. Er ist ein Aufsteiger. Sein Einstieg in das Schleuser-Business,
sagt er, war sanft. Eine Verführung während des Studiums in Ägypten.
Ein Sudanese im gleichen Wohnheim sprach ihn an, bot ihm für jeden
Flüchtling, mit dem er ihn verkuppele, eine Provision. Tamirs Hemd ist
sorgfältig gebügelt, die Streifen darauf heben sich klar voneinander ab.
Ein Ingenieur wie aus „Homo faber“. 200 US-Dollar bekam er pro Kunden,
eventuell 300 – und manchmal, das sagt er sehr stolz, auch 500 US-Dollar.
## Eine Maschine, die Menschen bewegt
Tamir ist den anderen Menschen, die hier noch erwähnt werden, nicht
begegnet. Aber er gehörte genau wie sie und Tausende andere auch zur
riesigen Maschinerie, die jedes Jahr Hunderttausende Menschen bewegt.
Menschen, deren Leben einen Preis hat, zusammen viele Millionen Euro.
Von dort, wo Tamir sitzt, sind es mit dem Auto fünf Minuten zum Flughafen.
Er liegt mitten in der Stadt, neben dem alten Zentrum. Als die Briten den
Flughafen hier planten, ahnte niemand, wie sich die Stadt ausdehnen würde.
Nur flache Bauten sind zu sehen, kaum eines höher als fünf Stockwerke. Bis
auf das „Hotel Paradise“, das am Abend mit einer rotglühenden Leuchtreklame
auf sich aufmerksam macht. Ein hässlicher Klotz, der dennoch Sehnsüchte
weckt. „Mit dem Geld, das man im Schleuser-Business verdient, kann man so
etwas bauen“, sagt der Sudanese Khalil begehrlich.
Ein selbstbewusster Mann, Mitte 30, breite Schultern. Europäisch mit Hemd,
Hose, feinem Schnurrbart. Auch er hat Flüchtlingen geholfen, knapp 2.000.
Er ist misstrauischer als Tamir, er hat mehr zu verlieren, seine Familie,
die Werkstatt, in der er deutsche Autos repariert. „Draußen steht mein
Auto, ich habe den Motor laufen lassen“, bemerkt er immer wieder. Sein
Fluchtwagen steht bereit. Schließlich hat die Regierung die Schleuserei
offiziell unter hohe Strafe gestellt.
## Keine Schwangeren, keine Mütter mit Kindern
Bei Khalil war es die Abenteuerlust, das leichte Geld, das ihn lockte. Am
Anfang klebte er gegen ein Handgeld sudanesische Visa in die Pässe von
Flüchtlingen, dann baute er eine Organisation auf. „Knapp 40 Leute
arbeiteten für mich“, sagt er strahlend. Er ist stolz, dass er nie
Schwangere oder Frauen mit kleinen Kindern mitgenommen hat. Er wusste um
die Risiken. Fällt jemand in der Sahara vor Entkräftung vom Pick-up, wird
nicht angehalten. Eher überlässt man diese Person einen sicheren Tod.
Frauen müssen damit rechnen, mindestens dreimal vergewaltigt zu werden. Und
zahlen die Flüchtlinge nicht genug, werden sie gefoltert, bis Verwandten
Geld schicken.
So was kam bei Khalil nicht vor. Er habe noch Ehre gehabt, sagt er. Die
heutigen Schleuser dagegen seien Verbrecher. „Manche Schleuser schneiden
ihren Kunden die Nieren raus, um sie zu verkaufen.“ Was wie ein
Splatterfilm klingt, ist nicht Khalils Fantasie entsprungen. Jahrelang
wurden ahnungslose Eritreer von Khartum nach Ägypten transportiert, auf die
Sinai-Halbinsel. Dort wurden sie gefoltert, bis ihre Verwandten
Zehntausende US-Dollar zahlten.
2008 stieg Khalid aus. Warum? Es lief doch alles gut. Jeder Trip, sagt er
selbstsicher, lief exakt nach Plan, die Fracht kam an. Doch da war das
Mittelmeer. „Davor hatte ich Angst“, sagt er leise. Die Milizen, die
Checkpoints, die Autos, die Wüste – all das konnte er unter Kontrolle
bringen. Nur das Meer hielt sich nicht an Regeln. Der schlimmste Moment
kam, als ein Freund nach Europa wollte. Khalid organisierte alles,
inklusive Überfahrt. „Tesfai, so hieß er, war ein enger Freund“, sagt er
stockend. Als Tesfai starb, weil sein Boot unterging, hörte er auf, sagt
Khalid. „Da habe ich die Schleuserei an den Nagel gehängt.“
## Die Täuschung von Kassala
Die Grenze zu Eritrea ist sieben Autostunden von der Hauptstadt entfernt.
Kassala heißt die Stadt, in der sich die meisten eritreischen Migranten
nach Überquerung des Todesstreifens wiederfinden. Denn die Soldaten ihres
Landes haben Anweisung, auf Flüchtige zu schießen. Es gibt viele
YouTube-Videos über Kassala, meistens erscheint die Stadt wie eine
Keimzelle des Friedens mit Flüsschen, Grün und singenden Migranten.
Für die Neuankömmlinge sind angeblich Buden aufgestellt, wo ihnen die
Schleuser die Verwirklichung ihrer Träume für Europa versprechen:
Rechtssicherheit, Freiheit, kostenlose medizinische Versorgung, öffentliche
Verkehrsmittel. Was immer sie suchen, dort finden sie es. Zumindest in der
Bude. Und dann kommen Leute wie Tamir ins Spiel.
Er sei, sagt Tamir, kein richtiger Schleuser gewesen, sondern nur ein
Rädchen im Getriebe, ein Anwerber. Über das Schleusen spricht er
kontrolliert, wie ein Geschäftsmann über den Handel mit Werbeflächen. Seine
Gesten sind kantig und direkt. Wenn die Lampen im Café sein Gesicht
beleuchten, beugt er sich in den Schatten.
## Furcht und Loyalität
Schließlich hat er bis vor Kurzem für einen der Größten in der Branche
gearbeitet, Wad Kabila. Ein Tarnname, den echten will Tamir nicht verraten,
da binde ihn seine Loyalität. Und vielleicht die Furcht vor Rache. Denn Wad
Kabila bewegt jährlich mindestens 7.200 Menschen. Und nimmt damit
wahrscheinlich um die 7,2 Millionen US-Dollar ein.
Der Sudan ist gut gelegen für jemanden, der mit dem Elend anderer Geschäfte
machen will. Die rasiermesserscharf geschnittenen Grenzen stoßen an
Ägypten, an den neuen Staat Südsudan, an Eritrea und Äthiopien, an den
Tschad. Und an Libyen. Der Sudan ist das Verbindungsstück zwischen dem
totenstillen Eritrea, aus dem keine Nachricht dringt, und dem vom
Bürgerkrieg zerrissenen Libyen.
Und Khartum ist die erste Station nach Europa. Hunderttausende Eritreer
leben hier. Bevor die Regierung gegen Schleuser vorging, waren sie gut zu
erkennen, verrichteten Billigjobs, beförderten in Motor-Rikschas
Passagiere. Jetzt sind sie getarnt, untergetaucht, aber sie sind immer noch
da und warten auf die Anrufe der Schleuser, wann es losgeht ins Paradies
Europa.
## Eine Jacke für die Sahara
„Probier die Jacke mal an“, sagt der Händler im Souq Arabi, einem der
größten Märkte Khartums. „Die ist schön warm!“ Von der Decke baumeln
verrüschte Kinderkleider, zum Schutz gegen Staub in Plastik gehüllt. „Das
ist die Jacke, die Flüchtlinge auf ihrem Weg durch die Wüste bevorzugen“,
sagt er und zeigt eine schwere, dunkle Jacke aus Kunststoff, mit einem
filzigen Innenfutter gegen den harschen Wind, wenn die Flüchtlinge auf den
Pick-ups tagelang durch die Sahara rasen.
„Die ist oft ausverkauft“, schwärmt der Händler, fast täglich würden
Eritreer oder Äthiopier kommen, um so eine Jacke zu kaufen. Die Decken, die
man braucht, um in einer kalten Wüstennacht auf dem Sand zu schlafen, hat
er in der Mitte gut sichtbar zu einem Stapel getürmt. Flüchtlinge sind ein
gutes Geschäft. Etwa 50.000 Eritreer fliehen Schätzungen zufolge jährlich
in das Nachbarland.
Das Café ist mit hohen Hecken von der Straße getrennt. Draußen rumpeln
Autos durch Schlaglöcher, die Fahrer blinzeln sich durch Staub und die
Dunkelheit. Im Café versprühen Ventilatoren kühlende Nebel. Tamir sitzt
geradezu herrschaftlich da, die Hände hängen lässig über der Lehne. Er
spricht schnell. Er stößt hervor, dass er den Flüchtlingen Tipps gegeben
hat, um die Reise zu überstehen, dass er ihnen riet, Biskuits und
Schwimmwesten zu kaufen, dass er immer um sie besorgt, aber letztlich froh
war, ihnen zu einem besseren Leben in Europa zu verhelfen.
## „Sie sind Outlaws so wie wir“
Er sprudelt, seine Sätze werden zu einem Wasserfall. Dann stockt er. „Die
Regierungsbeamten sind genauso korrupt wie wir, sie sind auch Outlaws, wie
wir. Die Regierung tut nur, als ob sie was gegen die Schleuserei macht.“
Mit solchen Leuten könne er umgehen – Angst habe er nur vor den wenigen,
die unbestechlich sind, die ihre Aufgabe und das Gesetz ernst nehmen. In
der Spiegelwelt, in der Tamir lebte, waren diese Wenigen eine Gefahr,
unberechenbare Irre – schließlich geht es doch nur ums Geschäft. Um ein
Geschäft, von dem alle profitieren. Vom Nachbartisch ist Lachen zu hören.
Für die Flüchtlinge ging es um den Traum von Europa.
„Ich sprach mit Frauen, die alles verkauft hatten, um zu reisen, die nur
noch die 2.000 US-Dollar hatten, mit denen sie ihren Kindern eine schöne
Zukunft in Europa kaufen wollten“, sagt er. „Solche arme Menschen, die um
einen Rabatt bettelten.“ Aber Tamir sagt nicht, ob er den Rabatt gewährt
hat. Es geht ja ums Business.
23 Nov 2016
## AUTOREN
Alexander Bühler
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