# taz.de -- Flucht durch Libyen: Ohne Lösegeld geht nichts | |
> Milizen halten afrikanische Migranten an der Küste als Geiseln fest. Für | |
> die Reise nach Europa müssen sie sich freikaufen. | |
Bild: Ein junger Mann klammert sich an ein überfülltes Boot, 12 Kilometer nö… | |
TUNIS taz | Seit dem Massenansturm von 6.500 Flüchtlingen, die auf 56 | |
Schlauchbooten und Fischerbooten am vergangenen Mittwoch von Libyen | |
Richtung Italien losfuhren und gerettet wurden, bereiten sich nach Aussagen | |
der Lokalverwaltung der libyschen Hafenstadt Sabratha wieder mehr als 4.000 | |
Menschen auf die Überfahrt nach Italien vor. In zwei ehemaligen | |
Trainingslagern des „Islamischen Staates“ (IS) am westlichen Stadtrand | |
harren die aus der 120 Kilometer entfernten libyschen Hauptstadt Tripolis | |
herangeschafften Migranten unter katastrophalen hygienischen Zuständen aus. | |
Wer die bis zu 1.000 Euro für die Fahrt bezahlt hat, darf das Gelände erst | |
verlassen, wenn die Schmuggler genügend Boote herbeigeschafft haben. | |
Irgendwann geht es dann frühmorgens los. | |
Diejenigen, die auf den Baustellen oder Märkten nicht genug Geld für den | |
Platz auf einem Boot aufbringen konnten, landen in Gefängnissen. Es sind | |
meist alleinreisende Frauen oder Familien. Um sich der Öffentlichkeit als | |
offizielle Ordnungshüter zu zeigen, verhaften libysche Milizionäre gern | |
Afrikaner. In Sabratha konkurrieren zehn verschiedene libyschen | |
Gruppierungen um die Macht. | |
240 Migranten aus Somalia, Eritrea, der Demokratischen Republik Kongo und | |
anderen afrikanischen Staaten werden in dem Stadtteil Sukra zwischen Surman | |
und Sabratha festgehalten. Die Mehrheit von ihnen sind Frauen und Kinder, | |
vier Babys wurden in den letzten Tagen geboren, obwohl weder Ärzte noch | |
Hygieneartikel zur Verfügung stehen. Die Lage in den Migrantengefängnissen | |
von Surman, Zauwia und Sabratha hat sich in den letzten Wochen dramatisch | |
verschlechtert. | |
Osama Assaba von der Initative „I am human“ aus Surman berichtet von immer | |
mehr Todesfällen. „Das Risiko, als Migrant in Libyen zu sterben, könnte | |
bald so hoch sein wie auf dem Mittelmeer oder in der Sahara.“ | |
## Kein Ende in Sicht | |
Der 56-jährige Timothy Kitshenge aus Kongos Hauptstadt Kinshasa klagt | |
telefonisch gegenüber der taz, dass seine beiden Töchter und seine Frau | |
getrennt von ihm in Sukra untergebracht wurden und ihnen „mehrmals Gewalt | |
angetan wurde“. In der Männerabteilung des ehemaligen Schulgebäudes, wo er | |
festgehalten wird, gibt es keine Duschen, die Zelltüren bleiben bei 35 Grad | |
den ganzen Tag versperrt. | |
Für die Freilassung der im Gefängnis von Sukra einsitzenden Familien, | |
Frauen und Kinder verlangt die örtliche Miliz Lösegeld. Die Gefangenen | |
müssen Verwandte aus den Herkunftsländern anrufen, die dann bis zu bis 600 | |
Euro pro Kopf nach Libyen schicken sollen. Der Kongolese Kitshenge kann | |
weder das Lösegeld noch die Überfahrt bezahlen, da er in Tripolis schon | |
seine 15 und 16 Jahre alten Töchter mit Geld vor den Bewaffneten schützen | |
musste. | |
Ein Ende der Flüchtlingskrise ist nicht in Sicht. Die Zahl der Migranten, | |
die aus Ländern südlich der Sahara durch die Wüste kommen, ist nach | |
Schätzung von libyschen Aktivisten größer denn je zuvor. Jeden Montag | |
machen sich Konvois mit rund 50 Lastwagen und Geländewagen von Agadez in | |
Niger auf den Weg in die libyschen Wüstenoasen Sebha und Murzuk. | |
Der Menschenrechtler Fathi Fellani aus Sebha schätzt, dass libysche Milizen | |
wöchentlich mehr als 5.000 Westafrikaner aus der libyschen Südprovinz | |
Fezzan nach Tripolis transportieren. Das sei die einzige Verdienstquelle, | |
da „die Ministerien kaum noch Sold auszahlen und zurzeit die klimatischen | |
Bedingungen in der Wüste und auf dem Mittelmeer günstig sind“. Schmuggel | |
von Benzin, Waffen oder Menschen sei zur Haupteinnahmequelle in Libyen | |
geworden, sagt der 38-jährige Fellan. „Als 18-Jähriger verdient man in | |
wenigen Tagen mit Menschenschmuggel mehr als der eigene Vater in einem | |
Jahr.“ Deswegen würden sich immer mehr Libyer den Milizen anschließen, um | |
an diesen Geschäften teilhaben zu können. | |
In den ersten acht Monaten dieses Jahres ist bereits 95.000 Migranten die | |
gefährliche Überfahrt geglückt. Durchschnittlich jeder 42ste überlebt die | |
Überfahrt nicht. Am Montag wurden erneut 2.700 Afrikaner vor Libyen von der | |
italienischen Küstenwache aufgegriffen und 15 Tote geborgen. | |
7 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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