# taz.de -- Klimakonferenz in Marrakesch: Kleinkariert und großartig | |
> Die Umsetzung des Klimaabkommens hat gerade erst begonnen. Der deutsche | |
> Plan gilt zu Hause als halber Flop. In Marokko gilt er als Vorbild. | |
Bild: Bundesumweltministerin Barbara Hendricks im Solarkraftwerk Quarzazate | |
MARRAKESCH taz | Hubert Weiger ist voll des Lobes. „Das Beste, was derzeit | |
möglich ist“, sei der „Klimaschutzplan 2050“ der Bundesregierung, sagt d… | |
Vorsitzende des Umweltverbands BUND. Er sitzt in einem Restaurant in der | |
Medina von Marrakesch. Bei Lasagne und gutem Rotwein schwärmt Weiger, ein | |
Urgestein der deutschen Ökoszene mit Tendenz zu knalligen Statements, von | |
den Klimaplänen seines Landes: „Eine Revolution!“ Deutschland sei damit | |
international weit vorn, vor allem wegen der konkreten Ziele für Verkehr | |
und Landwirtschaft. | |
Eine Woche zuvor, im kalten und verregneten Berlin, klang Weiger ganz | |
anders. Der Plan sei „Klimaschutz von Gnaden der Industrie und Kohlelobby“, | |
wetterte der Bayer, die Regierung habe „ganz kleines Karo geliefert“ und | |
sei „knapp an einer Totalblamage vorbeigeschrammt“. Mit dem Plan, so | |
Weiger, werde Bundesumweltministerin Barbara Hendricks „in Marrakesch in | |
Erklärungsnot geraten“. | |
Nach Erklärungsnot sieht Hendricks nicht aus. An der Spitze der deutschen | |
Delegation schlendert sie bei ihrem Eintreffen auf der Klimakonferenz über | |
die Hauptstraße des Zeltdorfs, das die Marrokkaner in den staubigen Boden | |
gestampft haben. „Barbara!“, grüßt sie Manuel Pulgar Vida mit breitem | |
Grinsen und Wangenküsschen. Mit dem ehemaligen Umweltminister von Peru hat | |
Hendricks 2014 die Klima-Nächte durchverhandelt. In der Pressekonferenz zur | |
Vorstellung ihre Klimaplans gibt es Applaus. Die UNO spricht von „deutscher | |
Führung“. Und in den Gesprächen mit anderen Delegationen höre sie „viel | |
Zustimmung und Lob für unseren Klimaplan“, erzählt Hendricks. „Alle sagen: | |
‚Gut, dass ihr vorangeht!‘ “ Ein französischer Experte wundert sich: „… | |
Plan wird in Deutschland wirklich kritisiert?“ | |
Die Begeisterung speist sich aus zwei Quellen: Erstens kennen selbst die | |
Experten kaum Details. Und im Vergleich damit, was von anderen Ländern | |
kommt, sind Hendricks’ 80 Seiten ein deutliches Signal. Gerade auf der | |
Konferenz, die sich vom Schock und der Unsicherheit nach der Wahl von | |
Donald Trump zum US-Präsidenten erholen will, begrüßen viele den deutschen | |
Vorstoß. Und das deutsche Geld: Die Bundesregierung sagt auch in Marrakesch | |
Millionensummen zu: für den Anpassungsfonds der UNO und für eine | |
„NDC-Partnerschaft“ mit über 40 Staaten, um armen Länder bei der | |
Aufstellung von Klimaplänen zu helfen. | |
Schließlich sind das Ende von Kohle, Öl und Gas, die „Dekarbonisierung“, | |
die Rettung der Wälder und eine irgendwie grüne Wirtschaft zentral im | |
Pariser Abkommen. Was dazu weltweit nötig wäre, haben die Analysten der | |
„Climate Action Tracker“ in Marrakesch wieder einmal drastisch | |
vorgerechnet: Für die Klimaziele müssten die OECD-Länder bis 2030 aus der | |
Kohle aussteigen, China bis 2040. Um die Erwärmung bis 2100 unter 1,5 Grad | |
zu halten, haben sie zehn Gebote für die nächsten zehn Jahre formuliert, | |
darunter: weltweit keine neuen Kohlekraftwerke, Verbot für | |
Verbrennungsmotoren ab 2035, nur noch Nullenergiehäuser ab 2020, die Rate | |
der Gebäudesanierung verdreifachen, ab 2020 alle Entwaldung stoppen. | |
## Minus 80 Prozent bis 2015 | |
47 Entwicklungsländer, die sich in der „Gruppe der Verwundbaren“ | |
zusammengefunden haben, machten am letzten Konferenztag noch einmal Druck | |
auf die reichen Länder: Die Armen verpflichten sich zu eigenen Klimaplänen | |
und zu 100 Prozent Erneuerbarer Energie „so schnell wie möglich“, | |
spätestens zwischen 2030 und 2050. | |
Alle Staaten sollen in den nächsten Jahren aufschreiben, wie sie zu echtem | |
Klimaschutz kommen wollen. Sieht man sich an, was bisher dazu so vorgelegt | |
wird, versteht man die Begeisterung für den deutschen Klimaschutzplan | |
besser. | |
Der schreibt fest, dass die Emissionen in Deutschland bis 2050 um 80 bis 95 | |
Prozent sinken sollen. Und er fixiert für 2030 ein Ziel von minus 55 | |
Prozent, die erstmals in einer Tabelle auf die einzelnen Branchen wie | |
Kraftwerke, Industrie, Gebäude, Landwirtschaft und Verkehr runtergerechnet | |
werden. Die anderen Länder sind von solche konkreten Planungen zum Teil | |
weit entfernt. Die „Mid Century Strategy for Deep Decarbonisation“ der USA | |
etwa wurde mit großem Hallo in Marrakesch gestartet und hat ähnliche Ziele | |
wie der deutsche Plan – allerdings erst 20 Jahre später. Die Emissionen | |
sollen 2050 zwar bei minus 80 Prozent sein, aber der Plan verlässt sich auf | |
eine Menge unbekannter Variablen wie die Abscheidung von CO2 oder neue | |
Technologien. Die unbekannteste Variable aber ist der neue oberste | |
Dienstherr der US-Klimadiplomaten. Ziemlich sicher wird unter Donald Trump | |
diese „Strategy“ in den Schubladen verschwinden. | |
China, der andere große Verschmutzer, hat so viele ehrgeizige Ziele, dass | |
sei bei der Präsentation im chinesischen Pavillon nur so über die | |
Bildschirme flitzen. Was die Beobachter bei dem Statistikgewitter | |
mitbekommen, ist beeindruckend: China hat demnach bereits bei | |
energieintensiven Produkten den Höhepunkt beim Kohleeinsatz überschritten, | |
bald sollen die CO2-Emissionen in allen Bereichen sinken. Allerdings: Auch | |
im allerbesten Szenario liegen die Emissionen 2050 nicht bei null – sondern | |
bei 4 Milliarden Tonnen. | |
Die Pläne von Kanada wiederum setzen darauf, dass die klimaschädlichen | |
Ölsande unrentabel werden, und auch hinter Mexiko machen Beobachter | |
Fragezeichen. Die EU hat laut dem Pariser Thinktank IDDRI zwar Fortschritte | |
gemacht, „ist aber nicht in der Spur, um ihre Ziele für 2030 und 2050 zu | |
erreichen“, heißt es in ihrer Analyse. Es fehle schlicht an den Fundamenten | |
für eine echte Dekarbonisierung. Umso größer ist das erneute Lob für | |
Deutschland: „Vor allem die Debatte über die Zukunft der Kohlereviere ist | |
ein gutes Beispiel“, sagt IDDRI-Chefin Teresa Ribeira. „Für die | |
Dekarbonisierung brauchen wir Konsens. Wir können nicht nur über | |
gestrandete Investments reden, sondern müssen verhindern, dass | |
Bevölkerungen und Regionen stranden. Da ist Deutschland führend.“ | |
## Polen einbinden | |
Automatisch schiebt sich Deutschland damit noch stärker in den Vordergrund | |
der europäischen Politik. Wenn die USA neben China ausfallen, könne „und | |
müsse Europa in diese Lücke stoßen“, sagt Barbara Hendricks. Aber so wie | |
die EU derzeit aussieht, heißt das: vor allem Deutschland. Die Briten, | |
neben den Deutschen immer die Klimamotoren in der EU, fallen durch den | |
Brexit aus. „Die Sorge ist groß, dass in der Eurokrise, den Flüchtlingen | |
und den Brexit-Problemen das Klimathema in Brüssel hinten runterfällt“, | |
sagt Bob Ward von der London School of Economics. „Deutschland müsste hier | |
die Führung übernehmen. Es muss vor allem Polen einbinden, aber es darf | |
nicht erwarten, dass alle Länder seine Energiewende einfach kopieren.“ | |
Deutschland solle in der EU auf eine radikale Dekarbonisierung drängen, | |
aber dafür akzeptieren, dass andere Staaten Atomkraft und die umstrittene | |
unterirdische Speicherung von CO2 (CCS) wählen. | |
„Unsinn“, findet Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan: „Die Menschen in Euro… | |
wollen keine Energiewende mit Risikotechnologien.“ Deutschland habe „die | |
Chance und die Verantwortung“ zu mehr Führerschaft beim Klima. So sieht das | |
auch Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für | |
Klimafolgenforschung und langjähriger Berater in der Klimapolitik. Bei | |
einem Ausstieg der USA aus dem Prozess könnte es eine neue Allianz geben: | |
zwischen China, Kalifornien und Deutschland: Mit dem US-Bundesstaat, der | |
sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt, könnten Chinesen und Deutschen eine | |
Blockade aus Washington umgehen. | |
Deutschland als Klimaschutz-Supermacht? Nach dem Hickhack um den | |
Klimaschutzplan, nach dem Verzicht auf ein Klimaschutzgesetz? Mit einer | |
Ministerin, die von ihrem Parteifreund und Parteichef Sigmar Gabriel | |
inhaltlich und persönlich blamiert wurde? | |
2912 Kilometer südlich des „grotesken Geschachers“ um den Klimaplan genie�… | |
Hendricks die warme Sonne der Zuneigung. Sie blinzelt in das grelle Licht | |
des Wüstenorts Ouarzazate, wo mit deutscher Hilfe für 2,2 Milliarden Dollar | |
ein riesiges Solarkraftwerk gebaut wird. Die Manager der marokkanischen | |
Betreiberfirma Masen bedanken sich bei der Geldgeberin, zeigen ihr stolz | |
die Anlage und chauffieren sie durch die graubraune Wüste und die Wälder | |
von glitzernden Parabolspiegeln. „Gut, dass der marokkanische Staat sich | |
das auf die Fahnen geschrieben hat“, lobt die Ministerin. | |
Im Gepäck hatte sie eine neue Finanzspritze von 60 Millionen Euro für das | |
Projekt. Und eine Zusage: Die nächste Klimakonferenz findet in einem Jahr | |
in Bonn statt, eigentlich nur aus einer Notlage heraus, weil Fidschi als | |
Gastgeber überfordert wäre. Nun also Bonn. Mitten in den | |
Koalitionsverhandlungen nach der nächsten Bundestagswahl, frohlocken viele | |
Klimaschützer: Da könne Deutschland dann in Echtzeit zeigen, wie sehr es am | |
Status der Klimagroßmacht interessiert sei. | |
18 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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