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# taz.de -- Debatte Weltklima und Sozialpolitik: Global, aber sozial
> Klimapolitik muss auch das Soziale im Blick haben und mehr für die Leute
> tun, die sich ökonomisch bedroht fühlen. Besonders nach Trumps Wahlsieg.
Bild: Die Arbeitsplätze von Fabrikarbeitern könnten von der Klimapolitik bedr…
Aus ökologischer Sicht mag es sinnvoll sein, möglichst schnell die
Braunkohle-Tagebaue zu schließen und die dreckigen Kraftwerke abzuschalten.
Klimapolitisch ist es richtig, 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotoren
mehr zuzulassen.
Wie aber finden das die Zehntausend Arbeiter in Brandenburg, deren Jobs die
Klimapolitik bedroht? Wie finden es Hunderttausende Beschäftigte der
deutschen Autoindustrie, dass sie bald keine Motoren und Getriebe mehr
herstellen können und dadurch überflüssig werden?
Nach dem Wahlsieg Donald Trumps in den USA muss man solche Fragen
dringlicher stellen – und vielleicht anders beantworten als bisher. Vor
allem aber steht nun das Geschäftsmodell, auf dem die deutsche Wirtschaft
beruht, ganz grundsätzlich infrage. Die oft rücksichtslose Politik der
offenen Märkte, die seit den 1980er Jahren dominiert, darf so nicht
weitergehen.
## Wirtschaftlich bedroht
Denn unerwartet viele Menschen in den Industrieregionen des amerikanischen
Nordostens haben für Trump gestimmt. Um deren möglicherweise rassistische,
nationalistische, patriarchale und klerikale Haltung geht es hier nicht,
sondern um ihre sozialen und ökonomischen Motive.
Viele von ihnen sind wirtschaftlich bedroht. Vielleicht haben sie ihre
industriellen Arbeitsplätze durch die Finanzkrise verloren. Vielleicht sind
ihre Arbeitgeber wegen des Freihandelsabkommens Nafta nach Mexiko gezogen.
Haben sie weiterhin Arbeit, ist wahrscheinlich ihr Lohn in den vergangenen
Jahrzehnten kaum gestiegen. Sie fühlen sich abgehängt.
„Einfach abgehängt. Ein wahrer Bericht über die neue Armut in Deutschland.�…
So hieß ein Buch, das die Journalisten Nadja Klinger und Jens König 2006
veröffentlichten. Darin ging es um die Folgen der Hartz-Reformen.
Klinger und König porträtierten Menschen, die die rot-grüne Politik Gerhard
Schröders und Joschka Fischers aus der Bahn geworfen hatte. Allerdings
hielt der neue, rüde Liberalismus seinen Einzug schon früher – in den USA
mit Präsident Ronald Reagan, in Großbritannien mit Premierministerin
Margaret Thatcher, hierzulande unter der Kanzlerschaft Helmut Kohls ab
1981.
Die Politik der offenen Märkte bedeutet für viele Menschen weniger
ökonomische und soziale Sicherheit. Seit 2005 zahlen die Jobcenter
hierzulande nur noch ein Jahr lang Arbeitslosengeld. Im Gegensatz zu früher
rutscht man danach sofort auf das Niveau des Existenzminimums.
Der ehemalige SPD-Vorsitzende und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering
prägte den Begriff „Heuschrecken“ als wenig freundliche, aber durchaus
treffende Bezeichnung für Investmentfonds, die Unternehmen systematisch
kaufen, ausschlachten und schließen – auch das ein neues Phänomen der
vergangenen zwanzig Jahre.
Während die verfügbaren Einkommen des erwerbstätigen Bevölkerungsanteils
lange Zeit stagnierten, wuchsen die Boni der Investmentbanker und die
Vermögen der Elite immer weiter – und zwar schneller als in der
Vergangenheit. Das Ergebnis ist die zunehmende soziale Polarisierung.
Globalisierung bedeutet auch, dass die hier zum Verkauf stehenden
Smartphones nicht in den USA und Europa gefertigt werden, sondern in China.
Die Textilien kommen aus Bangladesch und anderen Entwicklungsländern.
## Fabrikarbeiter sehen ihre soziale Position bedroht
Im Weltmaßstab bringen diese Entwicklungen zwar Hunderten Millionen
Menschen Anschluss an den Wohlstand des Nordens. Hier aber fehlt der
Politik der offenen Märkte die soziale Balance. Viele Deutsche,
Österreicher, Niederländer, Franzosen und US-Bürger fühlen sich von der
Ökonomie überrollt. Dass sie rechte Parteien wählen, kann man als
Reaktionen auf einen empfundenen Kontrollverlust interpretieren.
Und dann kommen noch die Grünen und die Bundesumweltministerin der SPD, die
die Produktion von Benzin- und Dieselfahrzeugen in Deutschland ganz stoppen
wollen. Schätzungsweise erleben auch das Hunderttausende Fabrikarbeiter bei
Mercedes, BMW, Audi und VW als potenzielle Bedrohung ihrer sozialen
Position.
Politik gegen den Klimawandel ist zweifellos richtig. Aber vielleicht
sollte man sie etwas behutsamer betreiben. Wirtschaftsminister Sigmar
Gabriel hat manchmal recht, wenn er den Ökologen dazwischengrätscht.
Der Überschwang der Klimapolitik ist jedoch nur eine Nebenerscheinung, die
in die gleiche Richtung wirkt wie die Strategie der offenen Märkte.
Ein Alternativprogramm könnte so aussehen: Die neue Bundesregierung
beschließt Ende 2017, jedem Hartz-IV-Empfänger 100 Euro pro Monat mehr zu
überweisen. Ohnehin rechnen die Wohlfahrtsverbände vor, dass der derzeitige
Regelsatz von 404 Euro plus Wohnungskosten nicht das Existenzminimum deckt.
Die Erhöhung wäre ein deutliches Signal der Regierung, dass ihr die
Situation der ärmeren Hälfte der Bevölkerung nicht egal ist. Dieses Signal
würde rund 7 Milliarden Euro pro Jahr kosten.
## EU-Topf für Arbeitslose
Auch Europa braucht dringend eine Imageverbesserung. Dafür könnte die
Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung sorgen. Ein Prozent
der deutschen Bruttolöhne sollte in EU-Kassen fließen, um das Einkommen der
Erwerbslosen in Griechenland, Spanien und Portugal aufzubessern.
Eine solche Maßnahme würde etwa 13 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Die
Bundesregierung könnte dieses Geld in einen gemeinsamen EU-Topf zahlen –
aus dem in Notsituationen auch deutsche Arbeitslose einen Zuschuss
erhielten. Millionen Menschen würden auf diese Weise ganz unmittelbar
spüren: Europa tut etwas für mich.
Finanzieren ließe sich dieses Programm durch eine Steuererhöhung für die
reichsten 10 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung. Höhere Sätze der
Einkommensteuer für Großverdiener und eine schärfere Erbschaftsteuer für
große Vermögen müssten auf jeden Fall zum Instrumentenmix dazugehören.
Unter dem Strich sollten die Reichsten ein Prozent des
Bruttoinlandsprodukts pro Jahr mehr an den Staat abführen. Die öffentlichen
Einnahmen stiegen damit um etwa 30 Milliarden Euro. Dieses Programm gegen
das Gefühl des Abgehängtseins könnte am ehesten eine rot-rot-grüne
Bundesregierung umsetzen.
25 Nov 2016
## AUTOREN
Hannes Koch
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