# taz.de -- Aufarbeitung der NS-Zeit: Die tiefbraune Akte Rosenburg | |
> Ex-NSDAP-Mitglieder nahmen bis lange nach 1945 aktiv Einfluss auf die | |
> bundesdeutsche Politik. Das bekamen unter anderem Homosexuelle zu spüren. | |
Bild: Erst in den späten 1960er-Jahren und unter anderem durch den Auschwitz-P… | |
Das Bundesjustizministerium war in der Nachkriegszeit stark mit alten Nazis | |
durchsetzt. Das ergab eine wissenschaftliche Untersuchung, die das | |
Justizministerium 2012 selbst in Auftrag gegeben hatte. „Diese personelle | |
Kontinuität hat den demokratischen Neubeginn belastet und verzögert“, sagte | |
Justizminister Heiko Maas (SPD), der den Bericht am Montag in Berlin | |
vorstellte. „Die Auswirkungen auf die Gesetzgebung der Nachkriegszeit waren | |
beträchtlich“, betonte der Historiker Manfred Görtemaker. | |
Die Zahlen sind eindeutig. Von 1949 bis 1973 waren 53 Prozent der näher | |
untersuchten Führungskräfte (ab Referatsleiter) ehemalige Mitglieder der | |
Nazipartei NSDAP. In den ersten Jahren der Nachkriegszeit war der Anteil | |
sogar kontinuierlich angestiegen. „Ende der 50er-Jahr hatten drei Viertel | |
der Führungskräfte im Ministerium eine NS-Belastung. | |
Dabei war Thomas Dehler (FDP), der erste Justizminister nach dem Krieg | |
völlig unverdächtig. Da er mit einer Jüdin verheiratet war, hatte er in der | |
NS-Zeit selbst Probleme. Sein Staatsekretär Walter Strauss (CDU), war in | |
der NS-Zeit aufgrund seiner jüdischen Herkunft sogar aus der Justiz | |
entfernt worden. | |
Beim Aufbau des neuen Ministeriums achteten Dehler und Strauss aber weniger | |
auf rechtsstaatliche Gesinnung, sondern mehr auf rechtstechnische | |
Fähigkeiten. Entscheidend waren gute Examina, Erfahren in ministerieller | |
Arbeit und die Zugehörigkeit zu regionalen Netzwerken. NS-Verstrickungen | |
interessierten kaum. | |
## Man half sich gegenseitig | |
Und nicht alle, die formell als unbelastet galten, waren es auch. Josef | |
Schafheutle, ab 1953 Abteilungsleiter für Strafrecht, war zwar kein | |
NSDAP-Mitglied, aber nur deshalb, weil die Partei ihn wegen seines | |
katholischen Hintergrunds nicht aufnehmen wollte. Er hatte mehrere Anträge | |
gestellt, so Görtemaker. | |
Doch das Justizministerium beschäftigte nicht nur alte Nazis, es half ihnen | |
auch vor Gericht. Ab 1950 gab es eine „Zentrale Rechtsschutzstelle“, die | |
Deutsche unterstützte, die im Ausland wegen NS- oder Kriegsverbrechen vor | |
Gericht standen. 1953 wanderte die Stelle vom Justizministerium ins | |
Auswärtige Amt. | |
Görtemaker und sein Co-Autor, der Rechtsprofessor Christoph Safferling, | |
betonten, dass die personelle Besetzung durchaus Auswirkungen auf die | |
Nachkriegsjustiz hatte. So blieb die im Nationalsozialismus verschärfte | |
Strafbarkeit der Homosexualität noch bestehen, als andere Staaten längst | |
das Sexualstrafrecht liberalisierten. | |
Das von den Alliierten aufgehobene politische Strafrecht wurde alsbald | |
wieder eingeführt und nur leicht abgemildert. Zuständig war der erwähnte | |
Josef Schafheutle. In der Folge wurde gegen Hunderttausende Kommunisten | |
ermittelt. | |
„Antikommunismus war der Kitt der Nachkriegszeit. Wer sich hier bewährte, | |
konnte auch alter Nazi sein“, so Christoph Safferling. Ab 1959 arbeitete | |
das Ministerium an einem neuen geheimen Kriegsrecht. Am Ende lagen in den | |
Schubladen des Hauses 45 Notverordnungen bereit. Im Kriegsfall wäre zum | |
Beispiel wieder eine polizeiliche Vorbeugehaft eingeführt worden, eine | |
Neuauflage der NS-Schutzhaft. „Das war ein organisierter Verfassungsbruch | |
und das Verfassungsministerium arbeitete mit“, zeigte sich Maas empört. | |
Diese Pläne wurden später freilich dann durch die deutlich | |
rechtsstaatlicheren Notstandsgesetze ersetzt. | |
Familienrechtliche Reformen, insbesondere die Gleichstellung der Ehefrau, | |
wurden in der Nachkriegszeit verzögert, obwohl sie im Grundgesetz | |
vorgezeichnet waren. „Hier wollen wir noch weiter forschen“, kündigte | |
Historiker Görtemaker an. | |
Erst ab Ende der 60er Jahre wehrte sich das Ministerium aktiv gegen den | |
Einfluss der Alt-Nazis. In der Großen Koalition war nun auch die SPD an der | |
Regierung beteiligt. Der Eichmann-Prozess in Israel und der | |
Auschwitz-Prozess in Frankfurt hatten die Öffentlichkeit sensibilisiert. | |
Die Studentenbewegung stellte die bislang vorherrschende | |
Schlussstrich-Mentalität offensiv in Frage. | |
„Die Akte Rosenburg“ nannten Görtemaker und Safferling ihre Untersuchung. | |
Die Rosenburg war der erste Amtssitz des Justizministeriums in Bonn. Die | |
Studie erscheint nun auch als Buch. | |
Den Auftrag zu der Untersuchung hatte 2012 die damalige Justizministerin | |
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gegeben. Sie hatte den | |
Wissenschaftlern völlige Freiheit bei der Untersuchung zugebilligt. | |
Görtemaker und Safferling konnten alle Personalakten auswerten, | |
Verschlusssachen wurden deklassifiziert. „In manchen Personalakten fanden | |
wir verschlossene Briefe“, erinnerte sich Safferling. Darin fanden sich | |
teilweise medizinische Gutachten, aber auch heikle Unterlagen, etwa über | |
die Verwicklung in „Arisierungen“. | |
Minister Maas will nun eine Initiative auf der Justizministerkonferenz | |
starten. „Auch das Unrecht der Juristen sollte Pflichtstoff der | |
juristischen Ausbildung sein.“ | |
Historiker Görtemaker pflichtete ihm bei: „Rechtsgeschichte sollte nicht | |
nur das römische Recht behandeln, sondern auch die jüngere Geschichte.“ | |
Strafrechtler Safferling will die Erkenntnisse aber nicht nur in ein | |
Nischenfach abschieben: „Die Bedeutung des Rechtsstaats muss vom ersten | |
Semester an im Mittelpunkt des Studiums stehen.“ | |
11 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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