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# taz.de -- Urteile gegen Schwule: Späte Rehabilitierung
> Urteile über Schwule, die wegen Unzucht vor Gericht landeten, sollen
> pauschal aufgehoben werden. So will es Justizminister Heiko Maas.
Bild: Nazi-Gesetz: Sogar sexuell motivierte Umarmungen konnten mit Gefängnis b…
Justizminister Heiko Maas (SPD) will verurteilte Schwule rehabilitieren und
entschädigen. Das sieht ein vierseitiges Eckpunktepapier vor, das der taz
vorliegt. Die Strafverfolgung von homosexuellen Männern sei
„menschenrechtswidrig“ gewesen.
Die Bestrafunf von „widernatürlicher Unzucht“ zwischen Männern hat in
Deutschland eine lange Geschichte. Sie war schon vor dem Faschismus
strafbar. Ab 1935 konnten aber neben Anal- und Oralverkehr sogar sexuell
motivierte Umarmungen mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft werden.
Während viele NS-Gesetze nach 1945 wieder aufgehoben wurden, blieb die
Bestrafung von Sex zwischen Männern sowohl in der Bundesrepublik als auch
in der DDR bestehen. 1957 bestätigte sogar das Bundesverfassungsgericht die
Strafvorschrift. In Westdeutschland kam es ab 1945 zu 45.000 bis 50.000
Verurteilungen. In der DDR war die Verfolgung weniger intensiv. Erst Ende
der 60er Jahre wurde Sex zwischen Männern in Ost und West straffrei.
Die Urteile der Nachkriegszeit sollen nun durch ein Gesetz pauschal
aufgehoben werden, so das Eckpunktepapier des Justizministers. Ein
individueller Antrag der Betroffenen ist nicht erforderlich. Erfasst werden
auch Urteile der DDR-Justiz. Nur Handlungen, die auch heute noch strafbar
wären, etwa Sex mit Jungen unter 14 Jahren, sollen in dem Aufhebungsgesetz
nicht erfasst werden.
Maas will die Betroffenen zudem individuell entschädigen. Mit welchen
Summen die Zeit im Gefängnis dann vergolten wird, steht aber noch nicht
fest. Neben der Haftzeit sollen auch Geldstrafen und Verfahrenskosten
entschädigt werden. Beobachter rechnen nicht mit vielen Anträgen. Ein
Großteil der Betroffenen dürfte schon tot sein. Außerdem schämen sich viele
der Männer heute noch ihrer Sexualität.
Neben der individuellen Entschädigung soll es daher auch eine
„Kollektiventschädigung“ geben. Maas schlägt hierfür vor, die
„Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ finanziell zu stärken. Die Stiftung
erforscht unter anderem die Diskriminierung von Homosexuellen.
Das Ministerium will sein Konzept in der kommenden Woche den Fraktionen der
Großen Koalition vorstellen. Vermutlich hat Maas aber bereits positive
Signale erhalten. 2015 sagte der Minister noch, er werde die
Rehabilitierung erst dann auf den Weg bringen, wenn sie auch politisch
durchsetzbar ist: „Eine Ablehnung durch die Politik wäre für die
Betroffenen wie eine zweite Verurteilung.“ Der CDU-Rechtspolitiker
Jan-Marco Luczak begrüßte am Freitag die Initiative des Justizministers.
Bisher wurden Unrechtsurteile der NS-Zeit nur pauschal aufgehoben. Ein
Gesetz von 1999 erfasste dabei auch die Verurteilungen von Schwulen.
Die Verurteilungen der Nachkriegszeit wurden zwar in einer Resolution des
Bundestags im Jahr 2000 einstimmig als Verletzung der Menschenwürde
eingestuft, eine formelle Aufhebung ist bisher aber nicht erfolgt. Eine
entsprechende Initiative des Bundesrats lehnte 2012 die damalige
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ab, weil die
Aufhebung von Gerichtsurteilen durch den Bundestag ein Eingriff in die
Gewaltenteilung sei.
Im Mai veröffentlichte jedoch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein
Gutachten des Rechtsprofessors Martin Burgi. Dieser empfahl ein
Aufhebungsgesetz und sah auch keine verfassungsrechtlichen Probleme. Der
Rechtsstaat könne hier seine Fähigkeit zur Selbstkorrektur unter Beweis
stellen. Darauf beruft sich nun auch Maas.
Die Grünen forderten ihn zur Eile auf. „Die Zeit drängt, die Betroffenen
sind betagt“, erklärte der Abgeordnete Volker Beck. Neben den Verurteilten
sollten auch Männer entschädigt werden, die aufgrund von Ermittlungen Job
oder Wohnung verloren haben.
2 Jul 2016
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Homosexualität
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Heiko Maas
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Sexualität
Schwerpunkt Nationalsozialismus
NS-Straftäter
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