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# taz.de -- Festnahmen in Tschetschenien: Schwule? Bei uns nicht!
> In der muslimisch geprägten russischen Teilrepublik lässt Präsident
> Kadyrow über 100 schwule Männer verhaften. Das hat Tradition.
Bild: Traditionelles Männlichkeitsbild: Präsident Ramsan Kadyrow im Kreise se…
Homosexuell zu sein kann in der Russischen Föderation einem Todesurteil
gleichkommen. Diskriminierungen sind an der Tagesordnung. Flankiert von der
Hetze der Russisch-Orthodoxen Kirche werden Schwule und Lesben von selbst
ernannten Hütern der Moral regelrecht gejagt und manchmal auch einfach
umgebracht. Um das „Kranke“ und „Abartige“ oder, wie es vornehm im
offiziellen Sprachgebrauch heißt, um „Menschen mit unkonventioneller
sexueller Orientierung“ auszumerzen, ist eben jedes Mittel recht.
In der muslimisch geprägten Nordkaukasusrepublik Tschetschenien hat sich
jetzt deren Präsident Ramsan Kadyrow des Problems auf seine Art und Weise
angenommen. Die russische oppositionelle Zeitung Novaja Gazeta, für die die
2006 ermordete russische Journalistin Anna Politkowskaja jahrelang
ausführlich auch über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien
geschrieben hatte, berichtete von systematischen Razzien gegen
Homosexuelle, bei denen über hundert Männer festgenommen und mindestens
drei getötet worden sein sollen.
Darunter soll auch ein 16-Jähriger gewesen sein, der, so die Novaja Gazeta,
nach einigen Tagen in seinem Heimatdorf in einem Hof regelrecht abgekippt
wurde, „nur noch ein Haufen gebrochener Knochen“.
Offiziell wird die Razzia als präventive Maßnahme wegen
Anti-Homosexuellen-Protesten einerseits sowie andererseits als Antwort auf
das Bemühen russischer LGBT-Aktivisten deklariert, schwule Männer aus
Tschetschenien herauszuholen.
## Ein Ort, von dem niemand zurückkommt
Ein Sprecher Kadyrows weiß allerdings nichts von solchen
Präventivmaßnahmen. Man könne solche Leute nicht festnehmen und verfolgen,
weil es sie in Tschetschenien schlicht nicht gebe. Sollte das anders sein,
würden sich ihre Familien ihrer annehmen und sie an einen Ort schicken, von
dem niemand zurückkomme.
Na bitte, geht doch! Andere die „Drecksarbeit“ erledigen zu lassen, damit
hat Kadyrow reichhaltige Erfahrungen. Seit 2007 herrscht der 40-Jährige als
Präsident über die Geschicke Tschetscheniens, das in zwei Kriegen in den
90er und Anfang der 2000er Jahre von Russland zu großen Teilen in Grund und
Boden gebombt worden war.
Zunächst galt Kadyrow, der von der Moskauer Akademie für
Naturwissenschaften mit dem Titel „Ehrenakademiker“ ausgezeichnet wurde,
jedoch wahrlich nicht die hellste Kerze am Baum, sondern als Herrscher von
Wladimir Putins Gnaden. Mittlerweile scheint er sich der Kontrolle des
Kreml weitestgehend entzogen zu haben und führt ein selbstherrliches
Regiment. In diesem System hat die Korruption schon längst endemische
Ausmaße angenommen.
## Mord, Folter, Entführungen
Seine gefürchteten Spezialeinheiten, die sogenannten Kadyrowzy, überziehen
das Land mit Terror. Mord, Folter, Entführungen sowie das
Verschwindenlassen von Menschen sind an der Tagesordnung. Die Täter werden
in der Regel nicht für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen.
Für Homosexuelle im muslimischen Tschetschenien ist die Situation noch
unerträglicher als anderswo in Russland. Bereits in den beiden Kriegen
wurden Tschetschenen systematisch von russischen Soldaten vergewaltigt, um
sie gezielt zu demütigen. Und wohl wissend, dass ihre Familien sie wegen
dieser Schande verstoßen würden.
Deshalb kann sich Kadyrow sicher sein, dass sich im Falle der jüngsten
Razzia Angehörige der Opfer wohl kaum an Polizei und Gerichte wenden
werden. Schon seit Monaten harren tschetschenische Flüchtlinge im
weißrussischen Brest aus und versuchen nach Polen zu gelangen. Dort werden
sie immer wieder abgewiesen. Und wenn jetzt Homosexuelle dort anklopfen?
Droht ihnen das gleiche Schicksal? Menschenrechte und Schutz für verfolgte
Minderheiten: Da war doch mal was, oder?
3 Apr 2017
## AUTOREN
Barbara Oertel
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Sexualität
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