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# taz.de -- Blogger über homophobe Tschetschenen: „Es fehlt an schneller Hil…
> Der Westen sei zwar über die Hetze in Tschetschenien empört gewesen. Doch
> das reiche nicht, sagt der Blogger Felix Gljukman.
Bild: Zumindest eine Untersuchungskommission wurde wegen der homofeindlichen Vo…
taz: Herr Gljukman, Sie sind Blogger und Sie sind über das Internet auch
Ansprechpartner für verfolgten LBGTI-Personen aus Russland und
Tschetschenien. Vor zwei Monaten deckte die Nowaja Gaseta auf, dass Schwule
in Tschetschenien systematisch misshandelt und in manchen Fällen auch
ermordet wurden. Wie können Sie Betroffenen helfen?
Felix Gljukman: Wer Hilfe bei mir sucht, dessen Leben ist oft schon direkt
bedroht. Diese Menschen müssen also auf dem schnellsten Weg aus dem
Kaukasus herausgeschafft werden, noch besser wäre es, wenn sie Russland
gleich ganz verlassen könnten. Ich vermittle Kontakte und helfe bei Fragen
zur Vorgehensweise. In letzter Zeit sind aber auch oft Betroffene darunter,
die Geld brauchen, um sich nach schweren Misshandlungen medizinisch
behandeln zu lassen. Dutzende fürchterliche Geschichten sind das.
Gelegentlich ist aber auch mal jemand dabei, der mich lediglich bittet, ihm
bei der Partnersuche zu helfen.
Vermitteln Sie den Betroffenen auch psychologische Hilfe?
Ich hatte mal eine Psychologin, die mir gestand, sie hätte erst kurz zuvor
von gleichgeschlechtlicher Liebe erfahren. Sie war ahnungslos. Wenn ich
Leuten rate, psychologische Hilfe zu suchen, prüfe ich die Therapeuten
vorher, ob sie auch keinen Schaden anrichten. Leider verbreitet die
Mehrheit noch ziemlichen Blödsinn. Die Existenz von Homosexuellen wird in
Tschetschenien gesellschaftlich komplett geleugnet.
Sie leben mittlerweile aus Sicherheitsgründen im Ausland?
Ja, mein Mann und ich haben Russland erst vor Kurzem verlassen. Nach dem
Anschlag auf eine LGBTI-Disko in Orlando letztes Jahr wurden wir bei einer
spontanen Trauerveranstaltung vor der US-Botschaft in Moskau von der
russischen Polizei festgenommen und landeten auf einer Liste von
„Problemfällen“.
Was bedeutet das?
Die Polizei leuchtete mein Umfeld aus. Sie wollte wissen, ob ich schwul
bin. Auch bei meiner Großmutter standen sie eines Tages vor der Tür. Als
die Polizei mich später wegen einer Vorladung anrief, war klar: Auf uns
warten Unannehmlichkeiten. Wir entschlossen uns Hals über Kopf zur
Ausreise. Mein Mann stammt aus dem Kaukasus. Auch seine Familie ist nicht
bereit, sich mit seiner Homosexualität abzufinden. Die meisten Familien
reagieren dort auf ein Coming-out sehr hart, und viele verstoßen ihre
Kinder. Auch Ehrenmorde sind nicht selten.
Stimmen die Gerüchte, dass Ende 2016 am Stadtrand von Grosny ein Massengrab
mit LGBTI-Personen entdeckt wurde?
Persönlich kann ich das nicht bestätigen. Homosexuelle werden jedoch seit
Langem verfolgt, in letzter Zeit ist es aber besonders schlimm. Diese
„Jäger“ lauern LGBTI-Menschen überall auf, auch im Netz. Das ist einer der
Gründe, warum im Kaukasus fiktive Ehen unter Schwulen und Lesben besonders
verbreitet sind.
Nach den Berichten der Nowaja Gaseta brach eine Welle internationaler
Reaktionen los. Hat das etwas bewirkt?
Die Empörung im Ausland ist groß, aber es fehlt an schneller und
unbürokratischer Hilfe. Viele westliche Länder beschleunigen auch bei
lebensbedrohlichen Situationen die Visaausgabe nicht. Die USA und die
Niederlande lehnten sogar ab, diesem Personenkreis Visa auszustellen. Eine
Ausnahme macht Litauen, das schnell und unkompliziert zwei Betroffene
aufnahm. Einige sind inzwischen auf dem Weg nach Argentinien. Von vierzig
Menschen weiß ich, dass sie noch im Land sind und abwarten.
Was hält sie davon ab zu gehen?
Sie haben keinen Staat gefunden, der bereit gewesen wäre, sie aufzunehmen.
Eine wichtige Rolle spielt hier auch die Mentalität. Die Bedrohung ist
schwer nachzuprüfen, auch wenn es seit Monaten Hinweise gibt. Und kaum
jemand kann sich dem kollektiven Druck der Region entziehen. Sobald ein
Name fällt oder Vorkommnisse identifizierbar werden, hat das auch
Konsequenzen für Verwandte und Freunde, es droht ihnen Sippenhaft.
Das Auswärtige Amt hat sich nun auch eines Betroffenen angenommen. Wie
verhalten sich die westlichen Länder generell dazu?
Weder die USA noch die EU-Staaten reagieren schnell genug. Denn aus der
Entfernung ist es schwierig, Anschuldigungen nachzugehen, und niemand will
Entscheidungen treffen, die sich allein auf Verdachtsmomente stützen. Daran
zeigt sich vor allem eines: Im Westen stoßen die Mentalität und das
innergesellschaftliche Regelwerk Tschetscheniens auf Unverständnis. Wegen
der schwierigen Visabeschaffung suchen wir jetzt Länder ohne Visapflicht.
Der Kreml stellte sich bei diesem Thema ja zunächst taub. Auch nach
internationalen Protesten bewegte sich kaum etwas. Erst als im Mai Angela
Merkel Präsident Putin in Sotschi vor laufender Kamera auf die
Schwulenhetze ansprach, unternahm Moskau etwas.
Ja, die Regierung in der Hauptstadt Grosny ist nun ziemlich nervös. Sie
konnte diesmal nicht verhindern, dass das russische Ermittlungskomitee
Untersuchungen in Tschetschenien aufnimmt. Das kam überraschend. Bislang
gelang es Ramsan Kadyrow immer, die Moskauer Zentrale aus Entscheidungen
der Republik herauszuhalten. Auch die Ernennung Igor Sobols zum Leiter der
Untersuchungskommission weckte Hoffnungen, denn Sobol ermittelt
tatsächlich. Das klingt banal, doch für Tschetschenien ist das keine
Selbstverständlichkeit.
Ein aufgebrachter Kadyrow-Mitarbeiter bot in einer Art Übersprungshandlung
sogar an, eine Gay-Parade in Grosny abzuhalten.
Ja, aber das ist kein Zeichen für Frieden. Denn gleichzeitig droht eine
Gruppe von achtzig in Deutschland lebenden Tschetschenen Landsleuten im
Internet mit dem Tod, weil sie in der Diaspora nicht nach der Scharia
leben. Die schwulenfeindliche Politik ist jetzt also weder behoben, noch
macht sie an der Grenze Tschetscheniens oder Russlands halt.
Wie geht es nun für die Betroffenen weiter?
Wir müssen abwarten, was bei der Untersuchung herauskommt. Wird die
Schwulenverfolgung öffentlich eingeräumt und Klage erhoben? Oder verlaufen
die Untersuchungen im Sande? Letzteres hieße: Solange Ramsan Kadyrow in
Grosny das Sagen hat, wird sich nichts ändern. Bisher sind meine
LGBTI-Freunde aber zufrieden mit Sobols Vorgehen.
Dem Ermittler eilt in der Tat der Ruf voraus, ein knallharter Junge zu sein
und vor nichts zurückzuschrecken. Ist das ein Zeichen, dass Wladimir Putin
diesmal richtig sauer auf Kadyrow ist?
Das mag sein, aber für die politische Elite gilt bisher dennoch die Maxime:
Scheidet Kadyrow aus, könnte ein noch brutalerer Herrscher nachrücken und
einen neuen Krieg zwischen Russland und Tschetschenien entfachen.
20 Jun 2017
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
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