Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Urteil zum Mordfall Boris Nemzow: Wenig glaubwürdig
> Fünf Tschetschenen werden für den Mord an dem Oppositionellen Boris
> Nemzow 2015 in Moskau schuldig gesprochen.
Bild: Die Angeklagten im Prozess um den Mord an Boris Nemzow
Moskau taz | Die Geschworenen im Moskauer Militärbezirksgericht haben alle
fünf Angeklagten im Mordfall des Oppositionellen Boris Nemzow für schuldig
befunden. Der Gegner von Präsident Wladimir Putin war im Februar 2015 auf
der Brücke über den Moskau-Fluss unterhalb der Kremlmauer mit sechs
Pistolenschüssen hinterrücks niedergestreckt worden.
Die fünf Verdächtigen wurden innerhalb weniger Tage dingfest gemacht. Sie
alle stammen aus der Nordkaukasusrepublik Tschetschenien und bekannten sich
nicht zu der Tat. Auch der Hauptverdächtige Saur Dadajew, den das Gericht
für den Mordschützen hält, plädierte auf unschuldig. Über das Strafmaß wi…
in der nächsten Woche entschieden.
Die letzten Tage vor der Urteilsfindung des Geschworenengerichts waren noch
einmal beschwerlich. Dreimal war das Urteil für denselben Tag angekündigt
worden, dann vertagte Richter Jurij Schitnikow jedoch erneut. Die
Geschworenen konnten sich nicht einig werden.
Zu guter Letzt wurden auch noch zwei Juroren des Gerichts verwiesen. Einer
Jurorin hielt der Richter vor, die Vorstrafen ihres 2013 verstorbenen
Ehemannes verschwiegen zu haben. An ihrer Ehrlichkeit lasse das zweifeln,
meinte Schitnikow. Ein zweiter Juror wurde entfernt, da er zur
Urteilsfindung Unterlagen mitbrachte, die nicht zu den Prozessakten
gehörten.
## Leibgarde von Kadyrow
Wadim Prochorow, Anwalt der Familie des Ermordeten, mutmaßte, das
sorgfältig aufbereitete Material könnte Quellen eines russischen
Geheimdienstes entstammen.
Der Todesschütze Saur Dadajew diente kurz vor der Bluttat noch im Bataillon
„Sewer“ (Norden) als Offizier. In Tschetschenien erfüllt das Bataillon
Aufgaben einer Polizeitruppe, die überdies in dem Ruf steht, eine
inoffizielle Leibgarde des Republikchefs Ramsan Kadyrow zu sein. Offiziell
hat Moskau jedoch das Sagen.
Dadajew gestand die Tat nach dem schnellen Zugriff im März 2015 zunächst.
Er schien überrascht zu sein, dass er für den Mord verantwortlich gemacht
werden könnte. Ein Komplize hatte sich durch Selbstmord der Festnahme
entzogen. Auch Dadajew widerrief die Aussage, zu der er unter Folter
gezwungen worden sei, wie er damals behauptete. Die Beweise gegen ihn sind
jedoch erdrückend.
Dennoch ist Dadajew nur ein Auftragsmörder. Organisatoren und Auftraggeber
bleiben im Dunkeln. Das Gericht vermied die Suche nach den Hintermännern.
## Regieren wie ein Sultan
Die Familie Nemzow ist überzeugt, der oder die Täter seien im Umfeld Ramsan
Kadyrows zu suchen. Der Oppositionelle hatte vorher Drohungen von
Untergebenen Ramsans erhalten, der Grosny wie ein Sultan regiert. Die
Forderungen des Anwalts, Ramsan und dessen engere Umgebung mit in den
Prozess einzubeziehen, überging das Gericht.
Für die Familie und Tochter Janna Nemzowa ist der eigentliche Organisator
und Drahtzieher Ruslan Geremejew. Der stellvertretende Kommandeur des
Bataillons „Sewer“ war Dadajews unmittelbarer Vorgesetzter. Kommandeur des
Bataillons war indes Alibek Delimchanow, dessen Bruder Adam wiederum
Kadyrow als Vertrauensmann in Moskau dient und Abgeordneter der Duma ist.
Geremejew wurde zwar vorgeladen, erschien jedoch nicht vor Gericht.
Ermittler suchten ihn sogar in Tschetschenien. Dort standen sie jedoch vor
verschlossenen Türen und zogen unverrichteter Dinge ab. Mit der
Intervention auf tschetschenischem Boden verstieß der Kreml erstmals gegen
die selbst auferlegte Zurückhaltung gegenüber Grosny, seit er das Ruder dem
Statthalter Ramsan Kadyrow übergab.
Geremejew und Dadajew kannten sich gut. Der Kommandeur mietete für Dadajew
und Helfershelfer in Moskau vor der Tat eine Wohnung an. Es ist unklar, ob
Geremejew sich in Tschetschenien aufhält oder zurzeit in Dubai weilt.
## 217.000 Euro Honorar
Dorthin soll auch Ruslan Muchudinow geflohen sein. Für die Ermittler ist er
der eigentliche Organisator und Auftraggeber des Mordes. Ruslan war
Geremejews Fahrer und jünger als der Vorgesetzte. Muchudinow soll auch das
Honorar von 15 Millionen Rubel (217.000 Euro) für die Täter besorgt haben.
Das klingt alles ziemlich abenteuerlich und wenig glaubwürdig. Dennoch
hielt die Staatsanwältin an dieser Version fest. „Warum soll ein Fahrer
nicht Auftraggeber eines Mordes sein?“ versuchte sie berechtigte Zweifel zu
zerstreuen. Was bisher über Auftraggeber gesagt worden sei, so die
uniformierte Staatsanwältin, sei doch „nur so dahergeredet“.
Zur Klärung des Tatmotivs trug der Prozess auch nichts Neues bei. Wollte
sich Ramsan mit einer Freundschaftstat beim Kremlchef in Erinnerung
bringen?
Für den Kreml steht jedenfalls fest: Der Fall gehöre zu den schwierigsten,
meinte Putins Sprachrohr Dmitri Peskow. Das hieße jedoch keineswegs, dass
die Fahndung nach den Verbrechern aufgegeben werde. Die Suche nach den
Hintermännern dürfte noch Jahre dauern, sagte Peskow. Nemzows politischer
Weggefährte, der Oppositionelle Ilja Jaschin, glaubt unterdessen, die Spur
der Auftraggeber führe direkt in den Kreml.
29 Jun 2017
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Boris Nemzow
Russland
Tschetschenien
Ramsan Kadyrow
Wladimir Putin
Russland
Russland
Russland
Wladimir Putin
Tschetschenien
Russland
Russland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Proteste in Russland: Tausende gedenken Boris Nemzow
In Moskau wird an die Ermordung des Kreml-Kritikers vor sechs Jahren
erinnert. Alexej Nawalny wird für seine Zivilcourage ausgezeichnet.
Präsidentenwahl in Russland: Wladimir Putin bekommt Konkurrenz
Die Journalistin Xenia Sobtschak will sich im kommenden März dem
Wählervotum stellen. Manche Beobachter halten das für ein Projekt des
Kreml.
Drangsalierung von NGOs in Russland: Als „Agentin“ im Visier des Kreml
Walentina Tscherewatenko macht Anti-Traumaarbeit im Kaukasus. Jetzt drohen
der Friedensaktivistin bis zu zwei Jahre Haft.
Putin und die Medien: Syrien oder sonstwo in Afghanistan
Der russische Präsident gibt auf der Krim Nachhilfe in Sachen Journalismus.
Mit der Wahrheit nimmt er es allerdings nicht so genau.
Russischer Oppositioneller Nawalny: Der Putin das Fürchten lehrt
Alexej Nawalny ist der führende Oppositionelle. Die Jugend geht für ihn auf
die Straße. Wie nachhaltig die Bewegung ist, muss sich noch zeigen.
Blogger über homophobe Tschetschenen: „Es fehlt an schneller Hilfe“
Der Westen sei zwar über die Hetze in Tschetschenien empört gewesen. Doch
das reiche nicht, sagt der Blogger Felix Gljukman.
Korruption in Russland: Bestechung als Ordnungsprinzip
Vom Gouverneur bis zum Beerdigungsinstitut: Warum die allgegenwärtige
Korruption in Wladimir Putins Reich unausrottbar ist.
Kritik an Korruption in Russland: Wenn das Volk spazieren geht
Bei Protesten werden mehrere hundert Demonstranten festgenommen.
Oppositionsführer Alexej Nawalny kam gar nicht erst aus dem Treppenhaus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.