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# taz.de -- Putin und die Medien: Syrien oder sonstwo in Afghanistan
> Der russische Präsident gibt auf der Krim Nachhilfe in Sachen
> Journalismus. Mit der Wahrheit nimmt er es allerdings nicht so genau.
Bild: Mit einem Smartphone hatte Russland Putin bislang noch nicht gesehen
Moskau taz | In den vergangenen Tagen hatte der russische Zuschauer
reichlich Gelegenheit, Wladimir Putin zuzuhören. Neben dem vierstündigen
Fragemarathon „Der Direkte Draht“ strahlte das staatliche russische
Fernsehen auch ein vierstündiges Interview des Kremlherrn mit US-Regisseur
Oliver Stone aus.
All dies fand neben der üblichen Chronistentätigkeit statt, die dem
Präsidenten ohnehin die Hauptrolle zuschreibt. Kurzum: Wladimir Putin
wandelte auf Pfaden großer asiatischer Vorgänger.
Im legendären kommunistischen Jugendlager Artek auf der annektierten
ukrainischen Halbinsel Krim unterwies der Kremlchef diese Woche den
jugendlichen Nachwuchs nebenbei noch in journalistischen Grundfragen. Ihm
schien es mehr um aufrechte Haltung als um Fakten zu gehen. So erwähnte er
auch nicht, dass eine gesicherte Nachricht aus mindestens zwei Quellen
bestehen sollte.
Im Gespräch mit Oliver Stone unterlief ihm denn auch der kleine Fehler.
Putin zeigte dem Regisseur ein Video auf einem Smartphone und erklärte ihm,
was es dort zu sehen gebe: „Das ist die Arbeit unserer Luftwaffe“, so der
Kremlchef.
## Alle Eindringlinge tot
Auf dem Video liefen weiße Gestalten herum, die von der Sichtvorrichtung
eines Hubschraubers ins Visier genommen wurden. „Sie sind bewaffnet, einige
halten nicht nur Maschinenpistolen in den Händen, sondern schwerere Waffen
zum Zerstören von gepanzerter Technik“, erzählt Putin. „Sie riskieren jet…
einiges, weil sie versuchen, von türkischem Gebiet hineinzukommen“ (nach
Syrien d. Red).
15 Minuten dauerte der Mitschnitt. Am Ende waren alle Eindringlinge tot.
Und Putin zufrieden. Mit einem Smartphone hatte Russland ihn bislang noch
nicht gesehen, im Unterschied zu Premier Dmitri Medwedjew.
Inzwischen ist klar: Das Video stammt von der US-Plattform
[1][military.com] und wurde 2009 in Afghanistan von der amerikanischen
Besatzung eines Apache-Hubschraubers aufgenommen. Es ist seit 2012 auf der
Website abrufbar. Die bewaffneten Gestalten sind Taliban.
Das bestätigte das russische Conflict Intelligence Team (CIT), das Angaben
des russischen Verteidigungsministeriums regelmäßig prüft. Das CIT
schaltete sich ein, da Putins Pressesekretär Dmitri Peskow behauptete, das
Material sei dem Präsidenten vom Verteidigungsministerium zugeleitet
worden. Die Aufnahmen würden aus Syrien stammen.
## Rache an Konkurrenten?
Warum sollten russische Militärs US-Videomaterial nutzen und das Gelände
als syrisch ausgeben, wenn sie selbst über Unmengen eigener Aufnahmen aus
Syrien verfügen?, gab das CIT zu bedenken.
Wollte sich eine Geheimdienstquelle an Konkurrenten im eigenen Haus rächen?
War es eine innere Auseinandersetzung zwischen den Diensten?, räsonierten
andere.
Verstörend kam hinzu: Das englischsprachige Video war mit einer russischen
Tonspur versehen worden und kursierte im patriotischen russischen Web seit
2012 als Einsatz russischer Kampfhubschrauber vom Typ Mi-28. Gegenüber dem
Sender RBK stellte ein russischer Militärexperte überdies fest, dass auch
Video und Tonspur nicht übereinstimmten. Sollten Präsident und Regisseur
aufs Glatteis geführt werden?
Anton Nosik, einer der bekanntesten russischen Blogger, vermutet, die
Urheber seien in der Grafikabteilung des Verteidigungsministeriums zu
suchen. Vergangenes Jahr hätten die „Photoshopper“ einen syrischen
Getreidesilo als Ölzisterne des „Islamischen Staates“ ausgegeben. Blogger
Alexej Kungurow hatte das aufgedeckt und war im Dezember wegen
terroristischer Tätigkeit zu zwei Jahren Straflager verurteilt worden. Das
umstrittene Video steht weiter auf der Website des Ministeriums.
## Moskauer Halbwahrheiten
Vielleicht war es aber auch nur ein harmloser Mitarbeiter der
Präsidialkanzlei, der während des Interviews aus dem Internet schnell mal
etwas zur Illustration herunterlud? Wer weiß.
Fest steht: Wladimir Putin nahm es im Interview mit Fakten auch nicht so
genau. Mindestens zwanzig Mal sagte er entweder nicht die Wahrheit oder
verschwieg Entscheidendes. Das ergab der Faktencheck der russischen Website
[2][The Insider].
Besonders beliebt sind in Moskau Halbwahrheiten, die sich um den
US-Raketenabwehrschirm in Europa ranken. Dass der US-Kongress die
Finanzierung der Abfangraketen 2009 einstellte, wird regelmäßig
unterschlagen. Auch die Behauptung, es sei möglich, Abschussrampen für
Tomahawk-Marschflugkörper für den Einsatz strategischer Raketen umzurüsten,
gehört zum Moskauer Verwirrspiel.
Und Regisseur Oliver Stone? Hakte jedenfalls nicht nach, was es mit dem
Video auf sich hatte. Sein Sohn Sean Stone ist seit Jahren Korrespondent
beim Sender RT, Moskaus Propagandakanal.
27 Jun 2017
## LINKS
[1] http://www.military.com/
[2] http://theins.ru/antifake
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Wladimir Putin
Russland
Krim
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