# taz.de -- Korruption in Russland: Bestechung als Ordnungsprinzip | |
> Vom Gouverneur bis zum Beerdigungsinstitut: Warum die allgegenwärtige | |
> Korruption in Wladimir Putins Reich unausrottbar ist. | |
Bild: Anti-Korruptionsdemo in Petersburg (Archivbild vom März 2017) | |
MOSKAU taz | Gebe es keine Korruption in Russland, wäre die russische | |
Literatur um vieles ärmer. Wer wollte schon auf Romane wie Nikolai Gogols | |
„Tote Seelen“ verzichten, in dem schwunghafter Handel mit Stimmen von | |
Verblichenen betrieben wird, um die materielle Lage zu verbessern. | |
Die gegenwärtige Bestattungspraxis ist auch nicht frei von Korruption, aber | |
an Raffinesse und Feinsinnigkeit reicht sie an die literarischen Vorbilder | |
nicht heran. Häufig liegt nicht der Angehörige im Sarg, der zu Grabe | |
getragen werden soll. Nicht selten wurde der Verstorbene bereits von einer | |
anderen Familie beerdigt. Die Verwechslung war nicht aufgefallen, obwohl | |
Russland am offenen Sarg Abschied nimmt. Auch die Immobilie Friedhof ist | |
zwischen rivalisierenden Clans umkämpft. | |
Korruption ist in Russland mehr als ein vorübergehendes Übel. Es ist ein | |
Ordnungsprinzip, das in vielen Lebensbereichen den Ton angibt. In der | |
jüngsten Erhebung von Transparency International landete Moskau | |
dementsprechend auf Platz 131 des weltweiten Korruptionsindexes von 176 | |
Staaten. | |
Wer in höhere staatliche Positionen aufsteigen darf, wird vorher einer | |
Prüfung unterzogen: Hat sich der Bewerber nichts zuschulden kommen lassen, | |
stehen die Chancen auf einen lukrativen Posten eher schlecht. Kandidaten | |
mit befleckter Weste werden in der semifeudalen Befehlskette des Kreml | |
bevorzugt: Sie sind loyaler und erpressbar. Das erklärt, warum Versuche, | |
der Korruption Herr zu werden, meist scheiterten. | |
Dennoch arbeitet der Geheimdienst FSB, der sich vornehmlich mit | |
Korruptionsfällen beschäftigt, nicht ohne Erfolg gegen hohe Amtsinhaber. So | |
wurden die Gouverneure von Sachalin, Perm und einer Reihe weiterer Regionen | |
in den letzten beiden Jahren wegen Betrugsvorwürfen festgenommen. | |
## In flagranti erwischt | |
„Es sind vor allem Gouverneure und niedere Beamte, die der FSB ins Visier | |
nimmt“, meint dazu der Direktor von Transparency International in Moskau, | |
Anton Pominow. Im letzten Jahr sorgte der Fall von Wirtschaftsminister | |
Alexej Uljukajew für Aufsehen. Er soll von dem staatlichen Ölriesen Rosneft | |
zwei Millionen Dollar erpresst haben – als Salär für die Zustimmung für den | |
Teilkauf der Ölfirma Baschneft. Dass ein materiell gesegneter Minister sich | |
darauf einließ und sich auch noch in flagranti erwischen ließ, gilt als | |
sehr ungewöhnlich, zumal zwei Millionen Dollar eher dem Status eines „Mer“, | |
eines Bürgermeisters, angemessen wären als dem eines Ministers. | |
Überdies galt Uljukajew als loyaler Beamter. Zum Verhängnis wurde ihm, dass | |
er den Aufkauf Baschnefts durch Rosneft zunächst verhindern wollte, weil er | |
ihn für eine Scheinprivatisierung hielt. Der Chef Rosnefts ist Igor | |
Setschin, ein Intimus Wladimir Putins und Ex-FSB- General. | |
Uljukajew fiel auf, obwohl er der Führungsriege entstammt, die sonst gerne | |
ausgespart wird. Derartige Vorfälle gelten als Signal, das nur Eingeweihte | |
genau deuten können. | |
Die Bevölkerung hat sich mit der Korruption arrangiert. Jahrhundertelang | |
war sie mit dem Problem der „kormlenie“ vertraut, zu Deutsch „Fütterung�… | |
Russische Beamte erhielten nie ein ausreichendes Salär, stattdessen aber | |
den Zugriff auf die Untergebenen, von denen sie sich die Privatschatulle | |
auffüllen ließen. Auch das sicherte Loyalität gegenüber der Führung. | |
Korruption stört die Bevölkerung zwar, sie rangiert aber laut Transparency | |
Studie nur an dritter Stelle aller Probleme. | |
Zuletzt sorgte eine Enthüllung des Fonds zur Korruptionsbekämpfung des | |
Oppositionellen Alexej Nawalny für Unruhe. Dem Premierminister Dmitri | |
Medwedjew legten die Rechercheure zur Last, dass er Besitzer eines | |
Euro-Milliarden-Vermögens ist – mit Weinbergen in der Toskana, Jachten und | |
weitläufigen Latifundien. All das wird von undurchsichtigen Stiftungen | |
verwaltet. | |
Das war der Auftakt für die Proteste, die im März begannen und die sich am | |
Montag fortsetzten. | |
13 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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