# taz.de -- Russlands Präsident spricht zum Volk: Der Ton macht die Musik | |
> Bei seiner Jahresansprache gibt sich Wladimir Putin sichtlich entspannt. | |
> Die Entwicklung der Wirtschaft des Landes bewertet er positiv. | |
Bild: Wladimir Putin bei seiner Ansprache im Kreml | |
MOSKAU taz | Russlands Präsident Wladimir Putin kann auch anders. Bei | |
seiner 13. Rede an die Nation seit seinem Amtsantritt 2000 zeigte sich der | |
Kremlchef von einer unbekannten Seite. Putin sprach wie üblich im | |
Georgs-Saal des Kreml vor Abgeordneten der beiden Parlamentskammern, den | |
Gouverneuren aus den Regionen und Honoratioren der russischen Gesellschaft. | |
Diesmal gab sich der Kremlchef ruhig und ausgeglichen. Dem Auftritt fehlte, | |
was die Darbietungen des Präsidenten meist begleitet. Er machte weder mobil | |
noch suchte er nach inneren oder äußeren Feinden. Kein einziges Mal wurde | |
er in Wort und Körpersprache aggressiv, sehr zufrieden schien er mit sich | |
zu sein. | |
Einer der Gründe ist Russlands erfolgreiche Selbstbehauptungspolitik auf | |
der internationalen Bühne. Putin machte gar eine Pause und schaute ins | |
Auditorium, doch das sprang nicht richtig an. Der nur durch Hartnäckigkeit | |
erreichte Erfolg müsse nun auch in anderen Dingen Zuhause eingesetzt | |
werden, führte Putin den Gedanken sinngemäß fort. | |
„Wir wollen keine Konfrontation, wir suchen keine Feinde“, sagte Putin. “ | |
Wir brauchen Freunde, aber wir dulden keine Missachtung unserer nationalen | |
Interessen“. Es sei wichtig die bilateralen Beziehungen zu den USA zu | |
normalisieren und „auf gleichberechtigter Ebene zu entwickeln“. | |
## Ein bisschen sticheln | |
Anknüpfungspunkte sieht Moskau vor allem im „gemeinsamen Kampf gegen den | |
internationalen Terrorismus“. Russland zählt allerdings auch jene Rebellen | |
zu den Terroristen, die gegen Baschar al-Assad kämpfen und von den USA | |
unterstützt werden. Mit Genugtuung merkte der Staatschef an, beide Länder | |
hätten eine gemeinsame Verantwortung für die globale Sicherheit. | |
Ein bisschen Stichelei musste dann doch noch sein. Es gäbe anti-russische | |
Propaganda und Mythen im Westen, auch seien russische Athleten von den | |
Paraolympischen Spielen ausgeschlossen worden. „Im Gegensatz zu anderen, | |
die Russland als Feind sehen, sehen wir um uns herum jedoch Freunde“, so | |
Putin. Damit griff er auf das ewige Muster zurück, wonach Russland | |
grundsätzlich Opfer ist und für nichts verantwortlich gemacht werden könne. | |
Als Vorbild für eine neue Weltordnung pries der Präsident Russlands | |
Beziehung zu China: “ Dies sei „Beispiel für eine Weltordnung und eine | |
harmonische Partnerschaft“, die von keiner Seite dominiert werde. | |
Demgegenüber versuche der Westen, Russland nach fremder Pfeife tanzen zu | |
lassen,“ damit wir unsere fundamentalen Interessen vernachlässigen“. | |
Die Sanktionen gegen Russland hätten jedoch nichts bewirkt. Die russischen | |
Gegensanktionen, der Einfuhrstopp von Lebensmitteln aus der EU etwa, hätten | |
aber dem heimischen Agrarsektor Auftrieb gegeben, deutete Putin an. In | |
diesem Jahr bringt der Export von Weizen und landwirtschaftlichen Produkten | |
mit 16 Milliarden Dollar mehr Geld ein als der Handel mit Rüstungsgütern | |
(14 Milliarden Dollar). | |
## Kleines Wachstum | |
Schon im letzten Jahr malte der Kremlchef trotz Krise ein zuversichtliches | |
Bild der russischen Wirtschaft und sah einen Silberstreifen am Horizont. | |
Grundsätzlich neigt Putin dazu, die wirtschaftlichen Leistungen zu rosig zu | |
bewerten. „Der Abschwung in der Realwirtschaft geht zurück, es gibt sogar | |
ein kleines industrielles Wachstum“, sagte er. 2016 sei der Rückgang gar | |
vernachlässigbar. | |
Als Hauptgründe für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nannte Putin | |
„interne Probleme“. Der Eindruck vom Westen abhängig zu sein, soll | |
möglichst vermieden werden. Zu den Mängeln zählt der Kreml vor allem | |
fehlende Investitionen, veraltete Technologien, ein Defizit an | |
Führungskräften und ein schwieriges Geschäftsklima. | |
Auch die Korruption nannte Putin erneut wie in den Vorjahren. Die | |
Mängelliste hat sich seit Jahren genauso wenig verändert wie die Vorschläge | |
zur Bewältigung der Schwierigkeiten. Nichts ist jedoch geschehen. Jahr für | |
Jahr fordert der Kremlchef die Bürokratie auf, Klein- und Mittelunternehmen | |
zu fördern statt Spießrutenläufe zu veranstalten. | |
Es sind strukturelle Probleme, die mit der dominanten Rolle von Staat und | |
Bürokratie in der russischen Selbstbereicherungsökonomie verknüpft sind. | |
Sie sind in klammen noch schwieriger zu lösen als in satten Zeiten. | |
Vielleicht rief Wladimir Putin seine Landsleute auch deshalb zu „Einigkeit | |
in schweren Zeiten“ auf. Die russische Gesellschaft dürfe sich nicht „durch | |
Verbitterung spalten“. | |
1 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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