# taz.de -- Russland und die US-Präsidentenwahl: Märchenstunde in Moskau | |
> In russischen Medien ist Trump oft der bessere Kandidat, das US-System | |
> korrupt – und Moskau der Ort, in dem Wichtiges entschieden wird. | |
Bild: Trump und Clinton als Exponate beim diesjährigen 12. Internationalen Pup… | |
Moskau taz | Einmal in der Woche hat Dmitri Kiseljow, Generaldirektor der | |
staatlichen russischen Agentur Sputnik, seinen großen öffentlichen | |
Auftritt. Zwei Stunden am Sonntagabend präsentiert er im politischen | |
TV-Wochenmagazin „Westi Nedeli“ (Nachrichten der Woche) die letzten | |
Entwicklungen in nah und fern. | |
Die Politikmagazine und Talkshows sind in Russland populär: Millionen | |
Zuschauer sehen sie, und danach gehören die Erklärungen zum argumentativen | |
Allgemeingut – nur selten wird etwas hinterfragt. | |
Dem „Komplex USA“ widmete Kuseljow am vergangenen Wochenende fünfzig | |
Minuten. Wie die amerikanischen Präsidentschaftswahlen ausgehen werden, ist | |
nach Ansicht des Chefkommentators schon klar. Kandidat Donald Trump könne | |
nicht gewinnen, sagte er. Grund: Der Republikaner habe seiner Konkurrentin | |
Hillary Clinton gedroht, sie wegen Korruption hinter Gitter zu bringen. | |
Der mit Wahlbetrug vertraute russische Zuschauer versteht den Hinweis | |
sofort: Um dem Gefängnis zu entgehen, müsste die Gegenseite Vorsorge | |
treffen und die Fälschungsmaschine in Gang setzen. | |
Kiseljows Methode, die Nachrichten aufzubereiten, ist geschickt. In | |
einfachen Worten benennt er die Unzulänglichkeiten des US-Wahlsystems – und | |
suggeriert zugleich dem russischen Zuschauer, in einer respektablen | |
Demokratie zu leben. | |
Trifft die ständige Kritik des Westens an der Intransparenz russischer | |
Wahlen, am Fehlen einer Konkurrenz, an Wahlbetrug und Einsatz fragwürdiger | |
Finanzmittel nicht eigentlich auf die USA zu?, fragt er. | |
## Da erscheinen die USA ganz alt und unmodern | |
Die Mischung aus zutreffenden Fakten und Unterschlagung wichtiger | |
einordnender Details hat Erfolg. So beklagt Kiseljow, dass die USA | |
internationale Wahlbeobachter „besonders aus Russland“ nicht zugelassen | |
hätten. Richtig ist, dass Russland aufgefordert wurde, sich der | |
Beobachtermission der OSZE anzuschließen, jedoch als eigenständige | |
Delegation teilnehmen wollte. | |
Auch der Hinweis auf das aus alter Zeit stammende amerikanische System der | |
Wahlmänner, die Präsident George W. Bush trotz weniger Wählerstimmen im | |
Jahr 2000 den Sieg bescherten, wird als Mangel an Demokratie | |
ausgeschlachtet. | |
Demgegenüber präsentiert sich Russland als modernes Staatswesen. Gewöhnlich | |
ist es die Archaik der russischen Autokratie, die der Westen Russland | |
vorhält. Putins Propagandachef Kiseljow ist bekannt als besonders | |
sarkastischer Kommentator. Unvergessen bleibt die Drohung nach der | |
russischen Besetzung der Krim im März 2014, Russland könne als einziges | |
Land der Welt die USA in ein „Häuflein Asche verwandeln“. | |
Dürfte Russland an den US-Wahlen teilnehmen, würde Donald Trump 33 Prozent | |
erhalten, Hillary Clinton käme nur auf klägliche 10 Prozent. Das ermittelte | |
das russische Romir-Institut im Rahmen einer Gallup-Umfrage in 45 Ländern. | |
Von allen sind die Russen Trump am meisten zugetan. Es mag die | |
Hemdsärmeligkeit des Republikaners sein, die sie anspricht. Viele sehen in | |
ihm ein amerikanisches Pendant zu Wladimir Putin. Auch er beherrscht die | |
Sprache der einfacheren Leute. | |
Schlüpfte Putin in die Rolle des Kämpfers für eine neue gerechtere | |
Weltordnung, so rüttelte Trump an den eingefahrenen Strukturen der | |
amerikanischen Politelite. Beide inszenieren sich als wagemutige | |
Außenseiter. Kremlchef Putin allerdings nicht innenpolitisch, sondern als | |
Herausforderer der internationalen Gemeinschaft. | |
## Moskau genießt die Aufmerksamkeit | |
Allerdings ergab die Gallup-Umfrage auch, dass die Russen vergleichsweise | |
wenig an den US-Wahlen interessiert sind. Das Desinteresse könnte darauf | |
zurückzuführen sein, dass der Bürger den Glauben an den Nutzen von Wahlen | |
verloren hat, schrieb die Tageszeitung Wedomosti. | |
Insgesamt wird in den russischen Medien viel über die US-Wahl und Russlands | |
Rolle berichtet. Der Zuschauer erhält den Eindruck, als sei Moskau jener | |
Ort, an dem sich das Schicksal der Welt entscheidet. Denn erstmals seit | |
vielen Jahren ist es Moskau gelungen, im US-Wahlkampf eine Rolle zu | |
spielen. | |
Durch Hackerangriffe auf die Demokratische Partei machte Moskau mehrfach | |
von sich reden. Und Trumps Lobpreisungen des Kremlchefs schürten überdies | |
seit Jahresbeginn den Verdacht, der Milliardär könnte gar ein U-Boot des | |
Kreml sein. | |
Moskau amüsierte sich und genoss die Aufmerksamkeit. Dass über Russland im | |
amerikanischen Wahlkampf gesprochen wurde, galt schon als Erfolg. Die | |
Forderung Moskauer Politiker, von Washington als gleichberechtigte Macht | |
auf „Augenhöhe“ behandelt zu werden, löste sich nebenbei ein. | |
Wenn US-Medien in Trump einen Agenten Moskaus witterten, gereichte dies dem | |
Kreml zu Ehren. Russlands Spitze schaut fasziniert zu. Sollte es gelungen | |
sein, beim Kalten-Kriegs-Gegner Unruhe zu stiften? | |
## Amerika ist doch keine Bananenrepublik | |
Letzte Woche ging Wladimir Putin vor dem Waldai-Klub in Sotschi, einem | |
internationalen Kreis von Russlandkennern und Politikern, auf amerikanische | |
Vorwürfe ein, Russland würde sich in die Wahl einmischen. Er nannte die | |
„angebliche Einmischung“ „Hysterie“. Die USA wollten die Öffentlichkei… | |
„russischen Hackern, Spionen und Agenten“ von den wirklichen Problemen zu | |
Hause nur ablenken. | |
„Sollte jemand glauben, dass Russland die Wahl des amerikanischen Volkes | |
beeinflussen kann?“, fragte Putin. Amerika sei doch eine Großmacht, keine | |
Bananenrepublik, meinte der Kremlchef. Das Publikum amüsierte sich. | |
Tatsächlich beschrieb Putin, mit welchem Instrumentarium er das Regelwerk | |
der internationalen Politik auseinandernimmt. | |
Donald Trump ist nicht Putins natürlicher Verbündeter. Auf die Avancen des | |
US-Milliardärs, der den Kremlchef wegen seiner Führungskraft lobte, ging | |
Putin bislang nicht ein. In der außenpolitischen Agenda könnte Moskau aber | |
frohlocken: Trump erwog, über den Status der Krim im russischen | |
Staatsverband nachzudenken, und steht auch einem Ende der | |
Russland-Sanktionen nicht grundsätzlich im Wege. | |
Die Nato-Partner verstörte der Kandidat der Republikaner mit Äußerungen zur | |
Bündnistreue gegenüber den baltischen Staaten. Dem Schutz einer | |
Wertegemeinschaft fühlt Trump sich nicht mehr verpflichtet. | |
In Moskau klingt das wie eine Märchenstunde. Trumps Plädoyer für einen | |
neuen Isolationismus hieße, die USA würden sich langfristig aus Europa | |
zurückziehen, die Nato würde sich auflösen und Washington verzichtete auf | |
die Rolle des Weltpolizisten. Alle russischen Wünsche wären erfüllt. | |
## Warum unterstützt der Kreml Trump? | |
Doch dem traut der Kreml auch nicht. Niemand kann den Kandidaten halbwegs | |
einschätzen. Warum unterstützt der Kreml ihn dennoch? Will sich der | |
russische Präsident an Hillary Clinton rächen? | |
Putin ist überzeugt: Die Massenproteste nach den gefälschten Dumawahlen | |
2011 in Russland seien von Washington gesteuert. Er glaubt, dass ihn eine | |
„Farbrevolution“ – wie etwa in der Ukraine – zu Fall bringen sollte. | |
Grundsätzlich gilt jedoch, dass russische Führungen mit republikanischen | |
Präsidenten bislang leichter eine gemeinsame Sprache gefunden haben. | |
Wahrnehmungen und Denkweisen liegen näher. | |
Manch russischer Trump-Anhänger hoffe insgeheim, Donald Trump könnte zu | |
einem amerikanischen Michail Gorbatschow werden, meint der Politologe | |
Alexei Makarkin. Es war ja der damalige KP-Generalsekretär Gorbatschow, der | |
in den 1980er Jahren den Kalten Krieg beendet hatte. | |
Russische Zyniker haben unterdessen etwas anderes im Sinn: Mit Übernahme | |
der Amtsgeschäfte durch Trump würde auch der Zerfall der USA einsetzen, wie | |
einst in der Sowjetunion. | |
Im Oktober riet Wladimir Schirinowski, ultranationaler Verbündeter des | |
Kreml, den Amerikanern, für Trump zu stimmen: Sonst liefen sie Gefahr, in | |
einen Atomkrieg hineingezogen zu werden, warnte er. Um dem Nachdruck zu | |
verleihen, hat Moskau mit atomaren Sprengköpfen bestückbare | |
Iskander-Raketen in Kaliningrad stationiert. | |
Auch Dmitri Kiseljow legte noch mal nach und sprach von „nuklearen“ Folgen | |
für das „unverschämte Verhalten“ der USA. Was war dem vorausgegangen? | |
Trumps sexuelle Fantasien aus der Umkleidekabine hatten den von Moskau | |
lancierten Enthüllungen über Wikileaks die Schau gestohlen. | |
Dem Kreml reicht es unterdessen, wenn Unruhe und Verstörungen das Vertrauen | |
in Wahlen und Demokratie untergraben und deren Mechanik beschädigen. Ein | |
Sieg Trumps ist in den Augen der russischen Regierung nicht unbedingt nötig | |
– böte andererseits jedoch auch die Chance zu einem Neuanfang in den | |
bilateralen Beziehungen, auch wenn die politische Situation in Moskau eine | |
Annäherung erschwert. Denn das Feindbild der USA und des Westens ist eine | |
Klammer, mit der Präsident Putin die Bevölkerung seines Landes bei der | |
Stange hält und seine Macht sichert. | |
Wenn Russland die USA und den Westen in Bausch und Bogen ablehnt, hat das | |
mit der Situation in diesen Ländern wenig zu tun. Das Geheimnis besteht | |
darin, dass der Antiamerikanismus auch losgelöst von den realen USA | |
existieren kann: als Projektionsfläche für die eigenen Versäumnisse. | |
2 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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