# taz.de -- Orthodoxie in Russland: Oh Gott, verhüte! | |
> In Bogoljubowo soll neben einem Kloster eine Fabrik entstehen, in der | |
> auch Präservative hergestellt werden. Für Gläubige ist das eine Schande. | |
Bild: Mit der Kirche auf gutem Fuß: Russlands Präsident Wladimir Putin gratul… | |
MOSKAU taz | In der Ortschaft Bogoljubowo, am Stadtrand von Wladimir, rund | |
200 Kilometer östlich von Moskau, braut sich ein Skandal zusammen. Und das | |
obwohl Bogoljubowo auf Deutsch so viel bedeutet wie von Gott geliebt. | |
Eben diese Gottesnähe ist Anlass der Erregung. Viele Menschen sind erzürnt, | |
dass anstelle der stillgelegten Ziegelfabrik demnächst eine andere | |
Produktionsstätte entstehen soll. Rund hundert Arbeitsplätze verspricht das | |
neue Unternehmen der strukturschwachen Region. Doch das beruhigt die | |
Geister nicht. Denn die geplante Fabrik stellt auch Präservative her. | |
Dass „bog“ – zu Deutsch Gott- als Herkunftsort nun auf jeder Packung steh… | |
soll, empfinden die Bürger als Entweihung und Schande. Bogoljubowo ist noch | |
viel mehr als ein Gott gefälliger Flecken. Es soll der einzige Ort in | |
Russland sein, wo die Gottesmutter leibhaftig erschienen ist, so die | |
Legende. Nebenher ist es aber auch noch ein Ort, von dem der russische | |
Staat langsam Gestalt annahm.“ | |
Es ist die Quelle der Orthodoxie in Russland. Ein „sakraler Ort und | |
heiliger Anfang aller Staatlichkeit“, meint Tatjana Fadejewa, die zur | |
Gemeinde des benachbarten Frauenklosters Swjato Bogoljubowo gehört. Die | |
Fabrik dieser „scheußlichen Erzeugnisse“ entstehe direkt neben dem | |
Heiligtum. „Gott wird es uns nie verzeihen“, meint Tatjana. | |
## Verhüterli der Premiunklasse | |
Die „scheußlichen Erzeugnisse“ sind in Russland als „Torex“, Verhüter… | |
Prämiumklasse, oder in der etwas günstigeren Ausführung als „Gladiator“ | |
bekannt. Das Unternehmen stellt aber auch noch russische Tesa-Streifen her. | |
Seit den Sanktionen versucht Russland, mehr Dinge des täglichen Bedarfs im | |
eigenen Land zu produzieren. | |
Präservative waren im russischen Sozialismus schon Mangelware. Der | |
Volksmund nannte sie „galoschy“ – vom französisch-deutschen „Galosche�… | |
Gummi-Überschuh – abgeleitet. Die Galosche war ein Hinweis auf die | |
Gefühlsechtheit des Produkts und nicht zuletzt auch für Moskaus | |
Spitzenplatz bei Schwangerschaftsabbrüchen verantwortlich. | |
Die aufgebrachten Bürger wenden sich jetzt mit Protestbriefen an Gott und | |
die Welt. Lokalpolitiker als Adressaten reichen ihnen nicht mehr. Sie | |
wollen beim Patriarchen der Orthodoxie Kyrill und Präsident Wladimir Putin | |
vorstellig werden. | |
Swetlana Smirnowa von der Gemeinschaft der protestierenden Gläubigen sieht | |
in der Empfängnisverhütung bereits ähnliche Suchtgefahren wie bei Drogen | |
für Jugendliche und Kinder heraufziehen. | |
## Erzürnte Laienpriester | |
Die offizielle Russische Orthodoxe Kirche hält sich bislang zurück, äußerte | |
aber Verständnis für die Befürchtungen der Gläubigen. Noch bestimmen | |
erzürnte Laienpriester das Geschehen. Vater Nikon etwa lenkt die Bewegung | |
„Für Glauben und Vaterland“ und gehört zu den „Motorradbrüdern für | |
Christus“. Selbst diese haben keine Lust auf „fleischliche Lüste“ in der | |
Nachbarschaft. | |
Heuchelei und Bigotterie sind inzwischen Teil des russischen Alltags. | |
Schamanismus, Scharlatanerie und Wissenschaftsfeindlichkeit beherrschen den | |
öffentlichen Raum. | |
Der Vorwurf gegen die „Gefühle von Gläubigen zu verstoßen“, erweist sich | |
als mächtiges Instrument, um Unerwünschte und Unerwünschtes auszuschalten. | |
Wer kann, stilisiert sich zum Gläubigen und sucht nach einer passenden | |
Gefühlsverletzung. Irgendwo wird er bei Kunst, Tanz und Theater fündig. | |
Klageführer haben nichts zu befürchten. Denn sie sind nur wütende Vorhut. | |
Im Unterschied dazu rufe die Planung einer chemischen Düngemittel-Fabrik in | |
der Nähe keine Proteste hervor, wundert sich eine Userin in den sozialen | |
Medien. Sie hatte Angst, ihren Namen zu nennen. Auch Russlands | |
katastrophale AIDS-Infektionsrate – nicht zuletzt Ergebnis mangelnder | |
Aufklärung – müsste die Kirche darin bestärken, Verhütungsmittel für alle | |
zugänglich zu machen. | |
## Verdacht auf Missbrauch erhärtet | |
Bogoljubowo kam schon einmal ins Gerede. 2010 beherbergte das Kloster | |
Mädchen aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Einige junge Frauen konnten | |
flüchten. Sie waren wie Gefangene behandelt worden und wiesen psychische | |
Störungen auf. Der Verdacht auf Missbrauch im Kloster erhärtete sich. | |
Die Kirche ließ jedoch keine öffentliche Kontrolle zu. Auch die Bevölkerung | |
in der Region wollte nichts Genaueres wissen. Man hatte die Mädchen gefügig | |
gemacht. „Die Monarchie kehrt zurück und einer der Mönche unter den | |
Erziehern des Klosters wird Russlands neuer Zar“, sei ihnen eingebläut | |
worden, berichtete die Zeitung Moskowski Komsomolez damals. | |
25 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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