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# taz.de -- Genitalverstümmelung in Russland: Herr Putin und sein Beschneider
> Der Mufti von Dagestan rechtfertigt die Praxis weiblicher
> Genitalverstümmelung. Er empfiehlt den „Eingriff“ gegen Unzucht für alle
> Russinnen.
Bild: Zwei Männer eines Schlages: Putin und der Mufti Berdijew
Das war selbst für Russlands Öffentlichkeit zu viel, die von Quacksalbern
aller Art täglich mit den letzten Erkenntnissen aus der Welt des
Obskurantismus überhäuft wird.
Im Sender Goworit Moskwa rechtfertigte der muslimische Geistliche Ismail
Berdijew nicht nur die Praxis weiblicher Genitalverstümmelung in
Bergdörfern der Republik Dagestan. Er empfahl, den „Eingriff“ auch an allen
anderen Russinnen vorzunehmen. Berdijew ist Mufti der Republik
Karatschai-Tscherkessien am Nordabhang des Kaukasus und Vorsitzender des
muslimischen Koordinationszentrums im Nordkaukasus. Nebenbei sitzt er noch
in Wladimir Putins Rat für interreligiöse Kooperation. Berdijew ist kein
Niemand und überzeugt, ihm sei alles erlaubt.
Beschneidung schade keineswegs der Gesundheit, behauptete der Mufti. Sie
würde lediglich „die weibliche Lust ein wenig beruhigen“, sagte er. „Gut
wäre es, wenn dies an allen Frauen vorgenommen würde. Dann gäbe es keine
Verderbtheit auf der Welt.“
Berdijew reagierte damit auf einen Bericht der Menschenrechtsgruppe
„Russische Rechtsinitiative“, aus dem hervorging, dass
Genitalverstümmelungen in mindestens fünf abgelegenen Bergregionen
Dagestans auch heute noch an der Tagesordnung sind. Die Eingriffe werden
gewöhnlich an Mädchen unter drei Jahren vorgenommen, gelegentlich jedoch
auch an älteren. Die Forschergruppe konnte die Verstümmelung einer
Zwölfjährigen nachweisen. Medizinische und hygienische Bedingungen sind in
der Hochgebirgsregion katastrophal, häufig wird das Ritual in aller
Verborgenheit ausgeübt.
## Gegen westliche Werte
Berdijew betonte ausdrücklich: Beschneidungen seien keine Tradition des
Islam, als Mittel gegen „sexuelle Unmoral“ seien sie jedoch wirksam.
Russlands soziale Medien kochten, ein Shitstorm brach los. „Die Klitoris
ist ein uns vom Westen aufgedrängter Wert“, twitterte jemand in Anspielung
auf den Quell alles Bösen, den Westen. Andere wollten wissen, ob Berdijew
seinen beiden Töchtern auch frühzeitig den Sex ausgetrieben habe.
Unterstützung erhielt der Mufti unterdessen von dem orthodoxen Oberpriester
Wsewolod Tschaplin. Bis vor Kurzem diente der Erzpriester dem Moskauer
Patriarchat als Vorsitzender der Abteilung für Beziehungen zwischen Kirche
und Gesellschaft. Tschaplin pflichtete dem Mufti bei, dass Gott die Frau
allein dazu schuf, Kinder zu gebären und sie großzuziehen. Mehr nicht.
Der klerikale Teufelsaustreiber hatte früher schon durch eine orthodoxe
Kleiderordnung, die das Tragen von Miniröcken unter Strafe stellen wollte,
auf sich aufmerksam gemacht. Für Tschaplin ist die Gleichberechtigung der
Frau – kurzum „der Feminismus – die Lüge des 20. Jahrhunderts“. Er for…
den geistigen Bruder auf, „nicht von seiner Position zu weichen“.
## „Einer Vernichtung würdig“
Er selbst machte dann allerdings auf seiner Facebook-Seite für die eigene
Klientel eine Einschränkung: Nicht jede Frau komme für die Behandlung
infrage. „Wahrscheinlich ist es nicht nötig, alle zu beschneiden. Orthodoxe
Frauen sind ohnehin züchtig“.
Tschaplins Vorsicht hat wohl damit zu tun, dass er gerade Auftrittsverbot
erhalten hatte. Just in dem Moment, als sein muslimischer Kollege
Genitalverstümmelung pries, plädierte der Erzpriester auf dem noch nicht
völlig vom Kreml gleichgeschalteten Sender Echo Moskwy für den Mord an
„inneren Feinden“, sprich der politischen Opposition. Das Gebot „Du sollst
nicht töten“ gelte nur für eine begrenzte Zahl von Heiligen. Wichtiger für
die Gesellschaft sei der Staat, nicht der Mensch.
Deshalb „ist der Humanismus eine Ideologie des Satans“, meinte Tschaplin.
Das Töten sei keine Rache, sondern eine Mahnung für die Lebenden. Für die
Belehrung der Gesellschaft sei es manchmal unumgänglich, eine „bestimmte
Zahl jener zu beseitigen, die einer Vernichtung würdig sind“. Für Tschaplin
ist das Bibelexegese, für die Staatsanwaltschaft müsste es Verbreitung
faschistischen Gedankenguts sein.
Auch Berdijew ruderte zurück. Im Nachhinein will er mit dem
Verstümmelungsgebot nur einen Witz gemacht haben. Leider habe das niemand
verstanden, so der Mufti.
29 Aug 2016
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Russland
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