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# taz.de -- Treffen zwischen Putin und Erdoğan: Versöhnung der Autokraten
> Der gescheiterte Militärputsch macht möglich, was vor kurzem noch als
> undenkbar galt: die Wiederannäherung von Moskau und Ankara.
Bild: Eine Annäherung der beiden Herren täte vor allem diesem Bildschnitt gut
Moskau taz | Russland und die Türkei bewegen sich im Zeitraffer aufeinander
zu. Am Dienstag reist Recep Tayyip Erdoğan in die Heimatstadt Wladimir
Putins, St. Petersburg. Die Gespräche „mit meinem Freund Wladimir“ würden
eine neue Seite in den beiderseitigen Beziehungen aufschlagen, so der
türkische Präsident vor der Visite.
Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets im türkischen Luftraum an der
Grenze zu Syrien hatte Moskau im November letzten Jahres Sanktionen gegen
Ankara verhängt. Der Kremlchef erklärte die Türkei für russische
Pauschaltouristen zur No-go-Area. Türkische Studenten und Bauarbeiter
mussten Russland verlassen. Das russische Staatsfernsehen präsentierte den
türkischen Autokraten als Inbegriff des Satans.
Doch die Hysterie hatte etwas Künstliches. Die Kontrahenten waren sich nie
wirklich fremd. Nicht umsonst nannte die Zeitschrift Foreign Policy Erdoğan
die „anatolische Version“ Putins. Damals hinkte der Türke dem Russen bei
der Errichtung eines autoritären Präsidialsystems noch hinterher.
Putin verlangte eine Entschuldigung. Erdoğan sträubte sich. Erst im Juni
schickte der Sultan dem Zaren das Schuldeingeständnis. Seither gibt es rege
Kontakte. Nach dem Putsch gegen den türkischen Staatschef Mitte Juli war es
der russische Präsident, der ihn umgehend seiner Solidarität versicherte.
Auch westliche Regierungschefs unterstützten Erdoğan – warnten jedoch
davor, mit der Verfolgung der Putschisten nicht die Fundamente der
türkischen Demokratie einzureißen. Moskau dagegen verliert bis heute kaum
ein Wort über die innenpolitische Entwicklung in der Türkei. Und wenn doch,
dann äußert man meist „Verständnis“.
## Putschwarnung aus Moskau?
Die Kampfhähne Erdoğan und Putin haben sich also versöhnt – aber aus der
Schulddebatte ging der Russe als klarer Sieger hervor. Erdoğans
Syrien-Politik ist gescheitert, Russland und die USA unterstützen weiterhin
gegen den Willen Ankaras die Kurden. Darüber hinaus nehmen islamistische
Anschläge in der Türkei zu und auch die Wirtschaft stottert.
Die wachsende türkische Distanz zum Westen beflügelt den Kreml. Russland
behauptet schon länger, vom Westen umzingelt und belagert zu werden. Nun
stößt Erdoğan ins selbe Horn. Für Putin sind der Ausgang des Putsches und
Erdoğans Orientierungsschwierigkeiten ein Geschenk. Bei einem Sieg der
Militärs wäre die Westausrichtung der Türkei unumkehrbar geworden.
Hartnäckig halten sich in Moskau daher Gerüchte, der russische Geheimdienst
habe Erdoğan vor dem Putsch gewarnt.
Der türkische Kniefall im Juni und Erdoğans aktuelle Versöhnungstour nach
St. Petersburg zeigen, wer heute das Sagen hat: Putin. Wieder ist der
Kremlchef fein raus: Nach Ägypten und dem, was von Syrien noch übrig
bleibt, sucht nun auch die Türkei Moskaus Nähe. Selbst Israel und Teheran
sehen im Kreml einen potenziellen Ansprechpartner. Russlands Einfluss im
Nahen Osten ist ohne großen Aufwand in kurzer Zeit gewachsen. Auffallend:
Im Falle Erdoğans kostet Moskaus staatliche Propagandamaschine ihren Erfolg
bislang nicht aus.
Der Kritik der EU an der Türkei hält Russland seine „wertfreie“
Außenpolitik entgegen. Innenpolitisch liegen Moskau und Ankara ohnehin auf
einer Höhe. Beide befördern einen überbordenden Nationalismus, beide
versuchen eine imperiale Vergangenheit wiederzubeleben und beide huldigen
im religiösen Bereich orthodoxem Obskurantismus beziehungsweise politischem
Islamismus. Und die Chefs beider Staaten haben sich einen Namen als
Verschwörungstheoretiker gemacht.
## Miserables Geschäft mit Russland
Wird sich die Türkei vom Westen verabschieden und auch der Nato den Rücken
kehren? Noch ist das nicht abzusehen. Moskau jedenfalls träumt von einer
neuen Allianz. Nach der Normalisierung der Beziehungen zur Türkei könnte
die neben Russland und Kasachstan zu einem dritten, neuen Motor von Putins
Eurasischer Wirtschaftsunion werden. Diese Einbindung sieht Wladimir
Sotnikow, Leiter des Moskauer „Russland-Ost-West“-Instituts als vorrangiges
Ziel des Petersburgers Gipfels.
Ähnlich formuliert das Fjodor Lukjanow, Herausgeber der führenden
Zeitschrift für Außenpolitik, Russia in Global Affairs: Die Union sei
Moskaus Priorität. Noch sei jedoch nicht klar, ob Erdoğan bereit sei, sich
auf diesen Weg einzulassen. Aber: Der Tausch der EU-Zollunion gegen eine
Mitgliedschaft in der Eurasischen Union wäre wirtschaftlich für Ankara ein
miserables Geschäft, weil Russlands Wirtschaft schwach ist.
Neben geopolitischen Schachzügen wird es in Petersburg auch um Gemüse und
Obst gehen, deren Importverbote aufgehoben werden sollen. Vor allem ist
Russland aber an den ins Stocken geratenen Energieprojekten gelegen: dem
Ausbau des Atommeilers Akkuyu im türkischen Südosten und der Wiederaufnahme
des Baus der Turkish-Stream-Gaspipeline über den Boden des Schwarzen Meeres
bis in die Türkei.
Sollte Ankara bereit sein, seine Unterstützung der syrischen Opposition
einzustellen, könnte der Kreml womöglich vorschlagen, seine militärische
Hilfe für die Kurden abzubrechen, vermuten russische Beobachter. Fest steht
bislang: am Vorabend der Versöhnungstour hob die Türkei die Sendesperre für
das russische Propagandaportal „Sputnik“ auf.
8 Aug 2016
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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