# taz.de -- Kommentar Deutsche Syrienpolitik: Aleppo brennt – Merkel wandert | |
> Syriens zweitgrößte Stadt wird belagert, aber die Kanzlerin bleibt im | |
> Urlaub. Das zeigt: Die deutsche Politik hat im Nahen Osten versagt. | |
Bild: Trotz der dramatischen Lage in Aleppo bleibt Merkel im Urlaub | |
Eine hilflose Erklärung markiert das endgültige Scheitern der deutschen | |
Syrienpolitik. Die [1][Lage in Aleppo] sei dramatisch, die Bombardierung | |
von Krankenhäusern inakzeptabel und zynisch, sagte Angela Merkels | |
Vizesprecherin am Mittwoch. Das hört sich deutlich an, der Subtext lautet | |
aber: Aleppo ist eine Angelegenheit für stellvertretende | |
Regierungssprecherinnen – nichts, wofür Angela Merkel ihren Urlaub | |
unterbrechen würde. Südtirol statt Pendeldiplomatie zwischen Moskau, Paris, | |
Washington. | |
Syrien ist das dunkle Familiengeheimnis der deutschen Politik, etwas, das | |
weder Regierung noch Opposition aus dem Keller hervorholen möchten. Die | |
Linke nicht, weil dann deutlich wird, dass sie außenpolitisch Assad und | |
Putin nähersteht als Grünen und SPD. | |
Die SPD liefe Gefahr, das Scheitern von Steinmeiers „Nur Gespräche bringen | |
Frieden“-Diplomatie eingestehen zu müssen, weil Assad die Zeit zur | |
Bombardierung der Opposition genutzt hat. | |
Die Grünen müssten neu überlegen, ob Schwarz-Grün eine Option ist, weil mit | |
Merkel in Syrien weder eine menschenrechtliche noch eine realistische | |
Politik zu machen war. | |
## Die Kanzlerin hat permanent danebengelegen | |
Und die Unionsparteien müssten eine Debatte über die lange Kette von | |
Merkels Fehleinschätzungen des Nahen Ostens fürchten. In einer Region, in | |
der eine Krise die nächste hervorrief, hat die Kanzlerin politisch | |
permanent danebengelegen. | |
Merkel hat den falschen Krieg unterstützt – Bushs Irak-Intervention – und | |
den richtigen Militäreinsatz nicht gewagt: die Einrichtung von | |
Flugverbotszonen zum Schutz der Opposition vor Assads Luftwaffe. Als sich | |
in der Türkei unter Erdoğan mit der Perspektive auf einen EU-Beitritt die | |
Menschenrechtslage verbesserte, startete Merkel 2004 ihre | |
Bundestagswahlkampagne gegen eine türkische EU-Mitgliedschaft. Als die | |
Flüchtlinge aus Syrien perspektivlos in Lagern in der Türkei und dem | |
Libanon saßen, gab es keine finanzielle Hilfe. Die deutschen Grenzen | |
blieben dicht. | |
Dann die Kehrtwende, als sich die Flüchtlinge zu Fuß aufmachten: Nun | |
durften alle kommen. Als daraufhin die AfD an Zustimmung gewann, machte | |
Merkel die Tore wieder dicht und schloss den Pakt mit Erdoğan, der längst | |
wieder Krieg gegen die Kurden führte und Journalisten verfolgen ließ. In | |
Syrien rechnete die Bundesregierung anfangs mit einem schnellen Sturz | |
Assads, vom Auftauchen des IS war sie ebenso überrascht wie von der | |
russischen Intervention. | |
Die Kanzlerin, die bis zum Flüchtlingsherbst 2015 immer einen Blick für das | |
politisch Machbare und Notwendige hatte, hat im Nahen Osten versagt. Die | |
naheliegendste Erklärung dafür ist, dass sie stets vom Machterhalt in | |
Deutschland her gedacht hat. Und die Deutschen waren gegen einen | |
EU-Beitritt der Türkei und gegen Militäreinsätze im Ausland. Merkels | |
Politik ging so lange gut, bis die dadurch verursachten Probleme über die | |
deutsche Grenze kamen. | |
## Merkel denkt nicht in Worst-Case-Szenarien | |
Die zweite Erklärung: Merkel ist Teil der „Generation 89“, die mit Francis | |
Fukuyama die liberale Demokratie als das Ende der Geschichte begreift. Ihr | |
Erfahrungshorizont ist der Herbst des Mauerfalls, als sich das Regime | |
auflöste, ohne einen Schuss abzugeben – nicht der Sommer von 1914 oder | |
1933, als sich das liberale Berlin binnen Kurzem in die Hauptstadt der | |
Nazis verwandelte. Dass die Gespenster der Vergangenheit zurückkommen | |
können, ist in ihrem Optimismus nicht vorgesehen. Merkel denkt nicht in | |
Worst-Case-Szenarien. Auch deshalb sitzt jetzt der IS in Rakka, liegt die | |
AfD bei 15 Prozent. | |
Amtszeitbegrenzungen wie in den USA haben den Vorteil, dass über eine | |
Neuausrichtung der Politik debattiert wird. Hillary Clinton hat eine andere | |
Syrienpolitik angekündigt, ohne konkret zu werden. Barack Obama hat sein | |
Nichteingreifen im Interview mit dem Atlantic als Konsequenz aus dem | |
Irak-Desaster verteidigt. Titel: „Die Obama-Doktrin“. Bei Merkel käme | |
niemand auf die Idee, ihre Ad-hoc-Entscheidungen Doktrin zu nennen. | |
6 Aug 2016 | |
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## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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