# taz.de -- Erfolg der Rebellen im syrischen Aleppo: Neue Bündnisse, neue Waff… | |
> Die Tage der Aufständischen in Aleppo schienen gezählt. Doch nun kam die | |
> überraschende Wende. Wie schafften sie es, wieder stärker zu werden? | |
Bild: Nahe der Kampflinie zum syrischen Regime: Rebellenkämpfer im Mai 2016 in… | |
ISTANBUL taz | Bis vor wenigen Tagen schienen die Rebellen in Nordsyrien | |
auf verlorenem Posten zu stehen. Niederlage um Niederlage hatten sie in den | |
letzten Monaten einstecken müssen. Den schweren russischen Luftangriffen | |
konnten sie ebenso wenig entgegensetzen wie der damit einhergehenden | |
Bodenoffensive syrischer Truppen, die durch Iran und schiitische | |
Milizionäre massiv verstärkt wurden. | |
Mit der Einkesselung der Rebellenhochburg Ost-Aleppo waren das syrische | |
Regime und seine Verbündeten nur noch wenige Schritte davon entfernt, die | |
Aufständischen in ihrem Kerngebiet rund um Aleppo und der angrenzenden | |
Provinz Idlib zu bezwingen. | |
Die Tage der Aufständischen schienen gezählt. Selbst Experten schlossen | |
nicht mehr aus, dass Machthaber Baschar al-Assad nach fünf Jahren Krieg als | |
Sieger vom Feld gehen könnte. | |
Dann kam am Samstag vorvergangener Woche die überraschende Wende. Den | |
Regimegegnern gelang es, den Belagerungsring zu sprengen. Darüber hinaus | |
vermochten sie ihrerseits, den südlichen Nachschubweg in den vom Regime | |
kontrollierten Westteil Aleppos zu kappen. „Die Kampfmoral der | |
Revolutionäre ist so hoch wie schon lange nicht mehr“, sagt ein Aktivist. | |
## Sie haben keine Befehlsprobleme | |
Woher kommt diese plötzliche Stärke? „Es ist unsere Geschlossenheit“, sag… | |
Rebellenkommandanten. „Vereint sind wir unschlagbar.“ In der Region gibt es | |
Dutzende von eher säkularen und Islamisten-Fraktionen sowie salafistische | |
Hardliner (siehe Kasten unten). Die Nusra-Front, der syrische Arm von | |
al-Qaida, hat sich Ende Mai überraschend in „Front zur Eroberung der | |
Levante“ umbenannt und von der islamistischen Terrorgruppe losgesagt. | |
Welche Rolle die ausländischen Unterstützer des Nusra-Nachfolgers dabei | |
spielten, ist unklar. | |
Für den Westen änderte sich nichts. Für die Rebellen stand einer | |
Kooperation mit den radikalen Salafisten jetzt nichts mehr im Wege. | |
Zusammen mit Ahrar al-Scham, einer der größten Fraktionen des | |
Eroberer-Armee-Bündnisses, stellten sie mehr als die Hälfte der 8.000 bis | |
10.000 Kämpfer, die an der Aleppo-Offensive beteiligt seien, berichtete die | |
panarabische Tageszeitung al-Hayat. | |
Im Gegensatz zu den eher gemäßigten Rebellengruppen plagen die Radikalen | |
keine Befehlsprobleme. Dank der reichen privaten Finanziers in den | |
Golfstaaten sowie der Hilfen aus Katar leiden sie auch nicht unter Finanz- | |
und Nachschubschwierigkeiten. Zudem scheuen sie nicht vor dem Einsatz von | |
Selbstmordattentätern zurück, die auch jetzt in Aleppo eine zentrale Rolle | |
dabei spielten, die feindlichen Linien zu durchbrechen. | |
Aber nicht nur die neu gewonnene Einheit, sondern auch neue Waffen – allen | |
voran Grad-Raketenwerfer und Panzerabwehrraketen – haben den Erfolg möglich | |
gemacht. Das belegen zahlreiche Videos ebenso wie Erhebungen von Experten, | |
die im Juni und Juli eine sprunghafte Zunahme dieses Kriegsgeräts | |
registrierten. Woher kommen die Waffen? Der Verdacht liegt nahe, dass sie | |
über die Türkei nach Nordsyrien gelangten. Die Regierungsvertreter in | |
Ankara wollten sich dazu nicht äußern. | |
Der Durchbruch an der sogenannten Ramusa-Linie in Südwest-Aleppo geht vor | |
allem auf das Konto des Eroberer-Armee-Bündnisses um den Nusra-Nachfolger | |
und Ahrar al-Scham. Von den Eingekesselten in Ost-Aleppo werden sie als | |
Retter in der Not gefeiert. Eine Radikalisierung des Aufstands scheint | |
programmiert, obwohl gerade in Aleppo viele Regimegegner das Joch des | |
Nusra-Nachfolgers ablehnen. | |
Noch ist der Kampf nicht entschieden. Die syrische Armee und ihre | |
Verbündeten würden ganz Syrien von den „Terrorbanden“ befreien, tönte ein | |
Regierungsblatt dieser Tage. Aber selbst schiitische Milizionäre aus dem | |
Irak und Libanon mokieren sich über die fehlende Kampfmoral der Soldaten. | |
Seit Monaten liegt die Hauptlast der Kämpfe auf den Schultern der Iraner, | |
der libanesischen Hisbollah und schiitischen Milizen aus der gesamten Welt, | |
vor allem aber dem Irak. | |
Die Zeiten, in denen iranische Revolutionswächter, die direkt dem | |
Oberbefehl von Ajatollah Ali Chamenei unterstehen, nur als Berater | |
fungierten, sind längst vorbei. Je mehr das Regime unter Druck geriet, | |
desto offener griff auch Iran ein. Der Einsatz der russischen Luftwaffe | |
ging im Herbst mit einer massiven Verstärkung der Iraner und ihrer | |
Verbündeten am Boden einher. Nicht nur Revolutionswächter, sondern auch | |
Soldaten und Offiziere der iranischen Streitkräfte sind in Aleppo im | |
Einsatz. | |
Eine wichtige Rolle spielt auch der Libanon: Fast jeder libanesische | |
Hisbollah-Kämpfer habe in den letzten fünf Jahren mindestens einmal in | |
Syrien gekämpft, sagte Nadav Pollak vom Washington Institute am Donnerstag. | |
## Wo der Kampf gegen den IS eine Nebenrolle spielt | |
Auch im Irak sind Tausende von Schiiten Syrien-Veteranen. Dutzende | |
irakische Milizen, die in den letzten zwei Jahren wie Pilze aus dem Boden | |
gewachsen sind, haben Kämpfer in das Nachbarland geschickt. Die Harakat | |
Hisbollah al-Nudschuba, ein Arm der berüchtigten Asaib Ahl al-Hak, legte | |
sich ihren Namen sogar erst in Syrien zu. | |
Trotz der hohen Verluste, die auch sie erlitten, scheint das Reservoir an | |
Freiwilligen unerschöpflich: Mitten in der irakischen Hauptstadt Bagdad | |
werben Milizen nicht nur für den Kampf im Irak, sondern auch in Syrien. Vom | |
„Schutz der Schreine“ wie früher ist längst nicht mehr die Rede, sondern | |
vom Kampf gegen Terroristen. | |
Die irakische Nudschuba-Miliz kündigte an, 2.000 zusätzliche Kämpfer nach | |
Aleppo zu schicken. Die Hisbollah-Brigade, eine der mächtigsten | |
schiitischen Milizen, hat nach eigenen Angaben 1.000 Kämpfer verlegt. Und | |
die libanesische Hisbollah verlegte eine Eliteeinheit nach Aleppo. | |
Die schiitischen Milizionäre sind aber auch an anderen Fronten im Einsatz, | |
etwa in der Region um Damaskus. Dass der Krieg gegen den „Islamischen | |
Staat“ (IS) dabei eine Nebenrolle spielt, zeigen die russischen | |
Luftangriffe: Zwar fliegt Russland auch Luftangriffe auf die IS-Hochburgen | |
Rakka und Deir al-Sor. Diese sind aber nicht vergleichbar mit den | |
Bombenangriffen in den umkämpften Gebieten der Küstenregion um Latakia, dem | |
zentralsyrischen Homs; hier haben Rebellen parallel zur Aleppo-Offensive | |
einen Angriff gestartet – und vor allem nicht mit dem Bombardement in der | |
Provinz Idlib und Aleppo. | |
Für alle Beteiligten geht es nicht nur um einen symbolischen, sondern einen | |
strategischen Sieg oder eine Niederlage. Weder Kosten noch Verluste sind | |
ihnen dafür bisher zu hoch. Derweil wachsen die Angst und die Not der | |
Zivilbevölkerung, die sich vor den Bomben und Artilleriegeschossen nicht | |
schützen kann. | |
14 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
## TAGS | |
Syrien | |
„Islamischer Staat“ (IS) | |
Baschar al-Assad | |
Aleppo | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Syrien | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Russland | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Syrien | |
Frank-Walter Steinmeier | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Syrien Bürgerkrieg | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bürgerkrieg in Syrien: Gräber und eine Puppe bleiben zurück | |
In Daraja bei Damaskus hat Assad gesiegt. Nach vier Jahren Bombardierung | |
und Aushungern haben die letzten 8.000 Bewohner kapituliert. | |
Wegen eines IS-Massakers an Soldaten: Irakischer Staat richtet 36 Männer hin | |
Im Irak sind Dutzende Männer gehängt worden. Die Verurteilten sollen | |
wiederum bis zu 1.700 Armeerekruten brutal exekutiert haben. | |
Rolle des Westens im Syrien-Krieg: Nicht dieses Foto ist schrecklich | |
Das Bild vom kleinen Omran, ausgebombt in Aleppo, geht um die Welt. Es hält | |
uns den Spiegel unseres eigenen Nichtstuns vor. | |
Russisches Militär im Iran: Widersprüchliche Signale aus Teheran | |
Die Stationierung von russischen Kampfjets im Land löst eine | |
innenpolitische Debatte aus. Die Regierung Rohani aber hüllt sich in | |
Schweigen. | |
Russische Intervention im Syrienkrieg: Luftangriffe erstmals vom Iran aus | |
Teheran und Moskau rücken im Kampf gegen die Assad-Gegner enger zusammen. | |
Russische Jets starteten von der iranischen Basis Hamadan in Richtung | |
IS-Stellungen. | |
Explosion an türkisch-syrischer Grenze: Tote Rebellen bei Anschlag auf Bus | |
Ein Selbstmordattentäter tötet über dreißig syrische Aufständische – in | |
einem Bus an einem Grenzübergang zwischen Syrien und der Türkei. | |
Steinmeier trifft Amtskollege Lawrow: Keine Waffenruhe für Aleppo | |
In Sachen Ukraine ist der deutsche Außenminister nach dem Treffen mit | |
seinem russischen Kollegen optimistisch. Doch beim Thema Syrien bleibt | |
Lawrow hart. | |
Angriffe auf Aleppo: Laut Aktivisten Dutzende Tote | |
Beobachter melden aus der umkämpften syrischen Stadt mindestens 50 tote | |
Zivilisten. An den Angriffen waren verschiedene Kriegsparteien beteiligt. | |
Humanitäre Hilfe für Aleppo: Steinmeier dringt auf Zugang | |
Der deutsche Außenminister fordert, die Hilfe unter Aufsicht der UN zu | |
stellen. In Aleppo wurde am Donnerstag trotz Waffenruhe weiter gekämpft. | |
Tote bei Kämpfen in Syrien: Keine Feuerpause für Aleppo | |
Ärzte aus den Rebellengebieten in Aleppo fordern Hilfe von US-Präsident | |
Obama. Bei einem Gasangriff wurden vier Menschen getötet. | |
Krieg in Syrien: Anhaltende Kämpfe um Aleppo | |
Die genaue Lage in Aleppo ist unklar. Die syrische Armee bombardiert weiter | |
Rebellenstellungen, die Rebellen kontrollieren noch den Ostteil der Stadt. | |
Kommentar Deutsche Syrienpolitik: Aleppo brennt – Merkel wandert | |
Syriens zweitgrößte Stadt wird belagert, aber die Kanzlerin bleibt im | |
Urlaub. Das zeigt: Die deutsche Politik hat im Nahen Osten versagt. |