# taz.de -- Bürgerkrieg in Syrien: Gräber und eine Puppe bleiben zurück | |
> In Daraja bei Damaskus hat Assad gesiegt. Nach vier Jahren Bombardierung | |
> und Aushungern haben die letzten 8.000 Bewohner kapituliert. | |
Bild: Kämpfer der Freien Syrischen Armee in der Provinz Daraa im Süden Syriens | |
BERLIN taz | Bevor sie in den Bus stieg, war Um Majas noch am Grab ihres | |
Mannes, der 2013 bei einem Bombenangriff starb. Dann verbrannte die | |
29-jährige Syrerin unter Tränen ihre Möbel, damit das Regime diese nicht | |
verkaufen konnte, und packte die Kleidung ihrer beiden Kinder ein, wie sie | |
den Journalisten der Internetseite Syria Direct erzählte. Das Einzige, was | |
Tochter Majas, sieben Jahre alt, mitnehmen wollte, war ihre Puppe. | |
Inzwischen sitzen die drei in einer Notunterkunft im vom Regime | |
kontrollierten Ort Harjaleh, der vierjährige Muadh hat staunend seinen | |
ersten Keks gegessen. Die Rebellen wurden mit ihren Familien in | |
Oppositionsgebiete der nördlichen Provinz Idlib gebracht. Ihre Heimat | |
Daraja liegt in Trümmern. Ein Ort, der wie kein anderer das menschliche | |
Drama Syriens symbolisiert. | |
Denn Daraja ist berühmt. Für seine Trauben und seine Revolutionäre, für | |
Massaker und surreale TV-Reportagen, für oppositionelle Medienmacher, | |
Fassbomben, Hungerblockaden, abgewiesene UN-Konvois und jetzt für die | |
Kapitulation seiner Bewohner. Dabei hatte vor fünf Jahren alles so | |
vielversprechend begonnen. | |
Früh entwickelt sich Daraya zum Zentrum friedlicher Proteste. Der 26jährige | |
Ghaith Matar wird dort zur Ikone des zivilen Widerstands, er verteilt | |
Blumen und Wasser an die Soldaten von Präsident Baschar al-Assad und wird | |
dafür „Syriens kleiner Gandhi“ genannt. Anfang September 2011 – kurz vor | |
der Geburt seines ersten Kindes – wird Matar von den Sicherheitskräften des | |
Regimes verhaftet und zu Tode gefoltert. Zur Trauerfeier gehen damals auch | |
westliche Botschafter. | |
## Ein Zentrum des zivilen Widerstandes | |
Als sich die Revolution landesweit militarisiert, etabliert sich in Daraja | |
die Freie Syrische Armee mit 3.000 Kämpfern, die den nahegelegenen | |
Militärflughafen des Regimes in Mezze bedrohen – einer der Gründe, warum | |
Assad den Ort um jeden Preis zurückerobern will. | |
Unter Menschenrechtlern haben Darayas bewaffnete Gruppen einen guten Ruf. | |
Bassam Ahmad vom Violations Documentation Center kann sich an keinen Fall | |
von Kriegsverbrechen durch die dortigen Rebellen erinnern. | |
Beeindruckend bleibt Darayas ziviler Widerstand. Im Januar 2012 | |
veröffentlichen Aktivisten die erste Ausgabe der Wochenzeitung Enab Baladi | |
(„Heimische Trauben“). Sie wird überwiegend von Frauen gemacht und erreicht | |
jeden Sonntag mehrere Hunderttausend Leser, vor allem über die sozialen | |
Netzwerke. | |
## Hat jemand die UNO gesehen? | |
Das einzige Mal, das Enab Baladi nicht erscheint, ist Ende August 2012. | |
Damals rückt das Regime mit Soldaten und Shabiha-Milizen in den Ort ein. | |
Sie gehen von Haus zu Haus und richten Bewohner hin, je nach Quelle sterben | |
zwischen 270 und 320 Menschen. | |
Die Berichterstattung des Assad-treuen Fernsehsenders al-Dunya TV über das | |
Massaker von Daraja gilt als besonders groteskes Beispiel für | |
Regime-Propaganda. Am 25. August 2012 läuft eine entspannte Reporterin in | |
Begleitung von Soldaten durch Daraja und befragt zum Teil schwer verletzte | |
Überlebende nach den verantwortlichen „Terroristen“, darunter ein | |
Kleinkind, das noch in den Armen seiner toten Mutter liegt. | |
Im September 2012 riegelt das Regime Daraja ab und startet massive | |
Luftangriffe – vier Jahre lang wird der Ort ausgehungert und bombardiert. | |
Der Lokale Rat zählt mindestens 9.000 Fassbomben-Angriffe. Die Menschen | |
ernähren sich von wässriger Suppe. Immer wieder wenden sich Frauen und | |
Kinder im Internet an die Weltgemeinschaft, zuletzt am 21. August mit einer | |
Vermisstenanzeige: „Hat jemand die UN gesehen? Bitte helft uns sie zu | |
finden!“ | |
## Eine Hilfslieferung in vier Jahren | |
Humanitäre Hilfe lässt das Regime in Daraja jahrelang nicht zu. Als die UNO | |
endlich die Genehmigung für einen Konvoi erhält, wird dieser am 12. Mai | |
2016 am Checkpoint abgewiesen. Die wartenden Menschen werden beschossen, | |
ein Vater und sein Sohn sterben. Einen Monat später, am 10. Juni 2016, | |
erreicht die erste und einzige Hilfslieferung die Eingeschlossenen in | |
Daraja. Nachdem die Lastwagen den Ort verlassen haben, wird dieser erneut | |
bombardiert. | |
In den vergangenen Wochen setzt das Regime nach Angaben des Lokalen Rates | |
auch Brandbomben ein. Dabei werden Felder niedergebrannt; die letzte | |
Untergrundklinik wird zerstört. Assads Strategie „ergebt euch oder sterbt“ | |
funktioniert – Darajas Bewohner geben auf. Zurück bleiben die Gräber ihrer | |
Liebsten und eine Puppe. Mayas hat sie dort gelassen, damit sie auf das | |
Haus aufpasst. | |
1 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Kristin Helberg | |
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