# taz.de -- Beziehungen USA und Türkei: Am Tiefpunkt angelangt | |
> Ankara und Washington streiten sich über den Prediger Gülen. Der | |
> US-Geheimdienstdirektor sorgt sich um den Kampf gegen den IS. | |
Bild: Putschist oder muslimischer Vordenker? Fethullah Gülen ist weiter Streit… | |
Istanbul taz | Seit dem Putschversuch eines Teils der türkischen Armee am | |
15. Juli gibt es in der türkischen Regierung und weiten Teilen der | |
Öffentlichkeit eine Gewissheit und einen Verdacht. Die Gewissheit: | |
Drahtzieher des Putsches ist der islamische Prediger Fethullah Gülen. Der | |
Verdacht: Gülen wurde von den USA beim Putsch unterstützt – und wird | |
deshalb jetzt von der Nato-Vormacht gedeckt. | |
Erst vor wenigen Tagen überraschte das Hausblatt der herrschenden Partei | |
für Gerechtigkeit und Aufschwung AKP, Yeni Şafak, seine Leser mit einer | |
sensationellen Enthüllung. Demnach sei US-General John Campbell, vormals | |
Kommandant der Nato-Streitkräfte in Afghanistan, in den Tagen vor und | |
während des Putschversuches in der Türkei gewesen – in geheimer Mission. | |
Campbell hätte Kontakt zu den Putschführern gehabt, sie mit Geld für ihr | |
Vorhaben versorgt – angeblich über eine nigerianische Bank. | |
Nun ist der Wahrheitsgehalt solcher Storys in Propagandamedien einer | |
Regierungspartei immer fragwürdig. Zumal die Autoren Belege schuldig | |
blieben. Aber: Warum lässt Präsident Recep Tayyip Erdoğan überhaupt | |
derartige Beiträge in seiner Parteizeitung zu? Und warum glauben die | |
meisten Türken die Geschichte? | |
Der Hauptgrund: Fethullah Gülen, der Guru der gleichnamigen religiösen | |
Bewegung, die nach Ansicht Erdoğans hinter dem Putschversuch steckt, lebt | |
seit 1998 in den USA. Und: Washington weigert sich bislang beharrlich, ihn | |
an die Türkei auszuliefern. Schlimmer noch: Während die türkische Regierung | |
nach eigenen Angaben Dossier um Dossier nach Amerika schickt, um Gülens | |
Schuld zu bewiesen, stellt sich James Clapper, US-Geheimdienstdirektor und | |
damit Obamas Geheimdienstkoordinator im Weißen Haus, öffentlich hin und | |
sagt: „Wir, die US-Geheimdienste, haben keinerlei Hinweise darauf, dass | |
Fethullah Gülen in den Putsch verwickelt ist.“ | |
## Prominente Gülen-Unterstützer in den USA | |
Die beiden wichtigsten US-Zeitungen, die New York Times und das Wall Street | |
Journal, bieten Gülen ein Forum. Und das Wall Street Journal bezeichnet die | |
türkischen Beweise für Gülens Schuld als unter Folter erzwungene | |
Falschaussagen. Auf der Basis solcher Aussagen, so die Folgerung der | |
US-Zeitung, dürfe Gülen auf keinen Fall ausgeliefert werden. | |
Die Krönung der Pro-Gülen-Kampagne in den USA war eine öffentliche | |
Erklärung von Graham Fuller, ehemals hochrangiger CIA-Mitarbeiter, der nach | |
Informationen seriöser türkischer Zeitungen derjenige war, der dafür | |
gesorgt hatte, dass Gülen eine Aufenthaltsgenehmigung in den Vereinigten | |
Staaten bekam. Er behauptete nicht nur, Gülen sei unschuldig – sondern | |
schob auch noch nach, seiner Meinung nach sei der Prediger weiterhin das | |
Gesicht des Islams der Zukunft. | |
Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu war so erbost über die | |
Reaktionen aus Amerika, dass er sich zu der Behauptung hinreißen ließ, man | |
wisse ja, dass die USA die Anstifter des Putschversuchs seien. | |
## Kerry weist Kritik zurück | |
Für Länder, die gemeinsam dem Nato-Bündnis angehören, ist das ziemlich | |
starker Tobak. US-Außenminister John Kerry schrieb seinem Kollegen denn | |
auch empört zurück, solche Andeutungen und falschen Behauptungen seien | |
„sehr schädlich“ für die bilateralen Beziehungen zwischen USA und Türkei. | |
Doch die Lage zwischen den beiden angeblichen Verbündeten entspannt sich | |
nicht. Nachdem die türkische Regierung Bekir Ercan Van, den Kommandanten | |
des Luftwaffenstützpunkts von İncirlik, von wo aus die US-Luftwaffe den | |
größten Teil ihrer Angriffe gegen die Terrormiliz IS in Syrien fliegt, als | |
Putschverdächtigen festnehmen ließ, reagierte US-General Joseph Votel. Als | |
Chef des „Central Command“ ist er für alle US-Militäraktionen im Nahen | |
Osten verantwortlich. Er beklagte nun, dass „alle unsere Ansprechpartner in | |
der türkischen Armee verhaftet“ würden und „die Säuberung des gesamten | |
türkischen Sicherheitsapparates ein schwerer Rückschlag für den Kampf gegen | |
den IS ist“. US-Geheimdienstdirektor James R. Clapper schloss sich dieser | |
Warnung an. | |
## „Ihr solltet euch schämen“ | |
Da platzte Erdoğan der Kragen. Richtung Washington sagte er: „Anstatt uns | |
zu beglückwünschen und zu danken, dass wir einen Militärputsch mit | |
Hunderten Toten abgewehrt haben, stellt ihr euch an die Seite der | |
Putschisten. Ihr solltet euch schämen.“ Damit war vor zwei Tagen der | |
vorläufige Tiefpunkt im Verhältnis zwischen Ankara und Washington erreicht. | |
Am Sonntag eilte dann der amtierende US-Generalstabschef, Joseph F. | |
Dunford, in die Türkei. Nach einem Besuch bei den US-Truppen in İncirlik | |
wird er am Montag in Ankara den gerade im Amt bestätigten türkischen | |
Generalstabschef Hulusi Akar treffen. Die Amerikaner könnten, wie das Wall | |
Street Journal schreibt, zur Not zwar auf die Basis verzichten und die | |
Angriffe auf den IS von Flugzeugträgern aus fortsetzen. Ohne eine wirksame | |
Kontrolle der türkisch-syrischen Grenze aber dürfte der IS kaum zu besiegen | |
sein. | |
Es ist deshalb fraglich, ob Fethullah Gülen wirklich in den USA bleiben | |
kann. Man muss ihn ja nicht ausliefern, es reicht, wenn die USA ihn | |
ausweisen, schrieb ein Erdoğan-naher Kolumnist kürzlich. Nicht zuletzt das | |
Treffen von Erdogan mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, das | |
Anfang September in Petersburg stattfinden soll, wird US-Präsident Obama | |
noch einmal ins Grübeln bringen. | |
1 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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