# taz.de -- Türkei nach dem gescheiterten Putsch: Erdoğan verbittet sich west… | |
> Der türkische Präsident wehrt sich gegen internationale Kritik. | |
> Gleichzeitig kündigt er die Rücknahme von Beleidigungsklagen an. Die | |
> gegen Böhmermann bleibt aber. | |
Bild: Vermisst Zuspruch aus dem Westen: Erdoğan | |
Ankara/Mainz afp/dpa | Nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei | |
hat sich Präsident Recep Tayyip Erdoğan gegen internationale Kritik gewehrt | |
und dem Westen mangelnde Solidarität vorgeworfen. Die EU und die USA mögen | |
sich „um ihre eigenen Angelegenheiten“ kümmern, statt ihm Ratschläge zu | |
erteilen, sagte er am Freitag in Ankara. Zugleich kündigte er an, sämtliche | |
Beleidigungsklagen zurückzunehmen – allerdings sind Anzeigen im Ausland | |
galt davon nicht betroffen. | |
„Einige Leute geben uns Ratschläge. Sie sagen, sie sind besorgt“, sagte | |
Erdoğan in seiner Rede im Präsidentenpalast. „Kümmert euch um eure eigenen | |
Angelegenheiten! Schaut auf eure eigenen Taten.“ Kein einziger ranghoher | |
westlicher Politiker habe seit dem gescheiterten Militärputsch vor zwei | |
Wochen die Türkei besucht, um sein Mitgefühl auszudrücken. | |
„Diese Länder und Staatsführer, die sich nicht um die türkische Demokratie, | |
das Leben unserer Bevölkerung und deren Zukunft sorgen, während sie so | |
besorgt über das Schicksal der Putschisten sind, können nicht unsere | |
Freunde sein“, sagte Erdoğan weiter. Er kündigte an, alle „im Rahmen des | |
Gesetzes“ zulässigen Schritte gegen die Beteiligten an dem versuchten | |
Militärputsch zu unternehmen. | |
Zugleich sagte der türkische Staatschef, er ziehe als Zeichen des guten | |
Willens die Anzeigen gegen hunderte Journalisten, Politiker und Bürger | |
zurück, denen er Beleidigung zur Last gelegt hatte. Den Behörden zufolge | |
liefen Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung in mehr als 2000 Fällen. | |
Erdoğan hatte auch Anzeige gegen den deutschen Satiriker Jan Böhmermann | |
wegen eines Schmähgedichts gestellt. | |
## Anzeigen zurückgezogen, aber nur in der Türkei | |
Die Strafanzeigen wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten sind | |
in Deutschland nach Angaben des Medienanwalts Ralf Höcker noch nicht ad | |
acta gelegt. „Die Ankündigung bezieht sich nur auf die Türkei. In | |
Deutschland ändert sich vorerst nichts“, sagte Höcker am Samstag. Der | |
Anwalt hat Präsident Erdoğan bereits bei rechtlichen Auseinandersetzungen | |
wegen Beleidigung vertreten. Erdoğan hat unter anderem Anzeige gegen den | |
TV-Satiriker Jan Böhmermann erstattet. | |
Böhmermanns Anwalt war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. | |
Ein ZDF-Sprecher sagte am Samstagvormittag, dem Sender lägen noch keine | |
Informationen darüber vor, welche Konsequenzen Erdoğans Ankündigung für die | |
Anzeigen in Deutschland habe. Der Satiriker hatte Ende März in seiner | |
Sendung „Neo Magazin Royale“ ein Gedicht mit dem Titel „Schmähkritik“ | |
vorgetragen. Es handelt unter anderem von Sex mit Tieren und | |
Kinderpornografie und transportiert Klischees über Türken. | |
## Minister: Gülen-Anhänger aus Militär entfernt | |
Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim sagte unterdessen, seit dem | |
Umsturzversuch seien alle Anhänger der Gülen-Bewegung aus dem Militär | |
entfernt worden. „Wir haben das Militär von allen FETO-Elementen gesäubert, | |
die sich als Soldaten verkleidet hatten“, sagte Yildirim im | |
Präsidentenpalast. Er spielte damit auf die Hizmet-Bewegung des Predigers | |
Fethullah Gülen an, die von der Regierung als Fethullah Terrororganisation | |
(FETO) bezeichnet wird. | |
Die türkische Regierung macht den im Exil in den USA lebenden 75-jährigen | |
Geistlichen Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Seit dem versuchten | |
Umsturz wurden in der Türkei mehr als 18.000 Menschen festgenommen, | |
zumeist, weil sie Gülen nahestehen sollen. Der Prediger bestreitet aber | |
jede Verwicklung und hat den Putschversuch scharf verurteilt. | |
Auch die Verfolgung von angeblich Gülen nahestehenden Journalisten setzten | |
die Behörden fort. Die Justiz ordnete für 17 Journalisten eine | |
Untersuchungshaft an. Den Betroffenen werde Mitgliedschaft in einer | |
„terroristischen Vereinigung“ vorgeworfen, berichtete die | |
Nachrichtenagentur Anadolu. Demnach wurden am Freitag insgesamt 21 Reporter | |
einem Richter vorgeführt, vier von ihnen kamen anschließend wieder frei. | |
Unter den Reportern, für die eine Untersuchungshaft angeordnet wurde, ist | |
auch die bekannte Journalistin und frühere Abgeordnete Nazli Ilicak. Der | |
frühere Hürriyet-Journalist Bülent Mumay kam hingegen wieder auf freien | |
Fuß. | |
Unterdessen äußerte sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker | |
skeptisch zum Flüchtlingsabkommen zwischen Brüssel und Ankara. Das „Risiko | |
ist groß“, dass der Deal scheitere, sagte er der österreichischen Zeitung | |
Kurier vom Samstag. „Der bisherige Erfolg des Paktes ist fragil.“ Sollte | |
der Deal scheitern, könne damit gerechnet werden, „dass wieder Flüchtlinge | |
vor Europa stehen“. Unter dem Abkommen hatte sich Ankara unter anderem dazu | |
verpflichtet, alle neu auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden | |
Flüchtlinge wieder zurückzunehmen. | |
30 Jul 2016 | |
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