# taz.de -- Kolumne Liebeserklärung: Speichel lecken | |
> Freiheit nützt wenig, wenn man keinen Gebrauch von ihr macht. Das hat der | |
> Bayerische Rundfunk mit seinem Erdoğan-Interview gezeigt. | |
Bild: Legga? | |
Mit der Freiheit ist es so eine Sache. Wer einem befehlen könnte, frei zu | |
sein, würde einen im selben Moment schon unfrei machen. | |
Freiheit muss man sich nehmen und sie verteidigen, und man sollte sie | |
ethisch fundieren: indem man sie dazu nutzt, die Freiheit der Mächtigen, | |
wenn sie sie missbrauchen – die Willkür also –, zu attackieren und dadurch | |
zumindest einzuschränken; und indem man die mit Füßen getretene Freiheit | |
der Ohnmächtigen zum Thema macht und sie reklamiert. | |
Dass der Chefredakteur des BR-Fernsehens, Sigmund Gottlieb, in seinem | |
Interview mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan am | |
vergangenen Montag all diese Freiheiten hatte, aber einen nur sehr | |
unzulänglichen Gebrauch von ihnen machte, war allerdings eine Enttäuschung | |
mit Ansage. | |
## Bearschkriechung | |
Gottlieb ist der Oberradfahrer des deutschen TV-Politjournalismus, von dem | |
Fragen nach verhafteten Kollegen schlicht nicht zu erwarten waren – der | |
Mann hat sein Handwerk schließlich in der Bearschkriechung von Franz Josef | |
Strauß erlernt, sich im verbalen Treten gegen schon auf dem Boden liegende | |
Griechen hervorgetan und dem Versager auf dem Papststuhl, Joseph Ratzinger, | |
bei dessen Abgang in peinlichster Weise den Speichel geleckt. | |
Dass Gottlieb die Karriere gemacht hat, die er gemacht hat, entkräftet alle | |
Versuche, dem eigenen Nachwuchs das politisch-mediale System, in dem er | |
aufwächst, als Meritokratie zu verkaufen. Es muss um etwas anderes gehen | |
als ums Können, vielleicht ja – siehe die Ähnlichkeit von Gottlieb und | |
Trump – um die richtige Frisur. | |
Und doch verdanken wir Sigmund Gottlieb etwas sehr Wichtiges: dass wir in | |
unserem Respekt und in unserer Unterstützung für all jene Kollegen, die | |
Leib und Leben riskieren, um kritische Fragen zu stellen, nicht nachlassen | |
dürfen. | |
Machen wir mehr aus unserer Freiheit. Denn jedes Mal, wenn wir das nicht | |
tun, wird sie automatisch kleiner. Wie eben am Montagabend. | |
29 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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